gestern war keine zeit
heut ist kein tag
morgen keine zukunft
„freiheit stärke glück“
refrain: dort für den frieden vögeln
oder hier nur einen runterholen
das ist doch wohl die frage
schrei gegen die wand
schreib es an die wand
schreite durch die wand
„freiheit stärke glück“
refrain: dort für den…
Aber … das hieß soviel wie trotz alledem. Mit Texten von Bert Papenfuß wurde es auch Programm, vorgetragen in überfüllten Wohnungen, Kneipen, Kirchenräumen am Prenzlauer Berg in Berlin oder in Aschersleben. Verse, geschrieben für Rockgruppen wie „Rosa Extra“, dokumentarisch festgehalten in den Akten der „Behörde“, die alles belauschte, in ihren Zuträgern auch sich selbst – und nichts verstand. Gedichte einer anarchisch-jugendlichen Revolte, die schon die kommende „Wende“ ankündigen: „die mAcht wird …. Gestürzt werden.“ Mit TrakTat zum Aber legen wir Band 5 der Gesammelten Texte von Bert Papenfuß vor, Texte der Jahre 1981–1984.
Janus Press, Klappentext, 1996
Stefan Bruns: Zerlegen und Zerhacken
Neue Zürcher Zeitung, 11.6.1996
− Neben Sascha Anderson und Rainer Schedlinski, die 1991 als Stasi-Spitzel enttarnt wurden, war er einer der führenden Köpfe der Prenzlauer-Berg-Szene: Bert Papenfuß. Mit Bernd Imgrund sprach er über seine Stellung in der ehemaligen DDR, seine Schwierigkeiten mit dem wiedervereinigten Deutschland und die gerade erschienenen ersten Bände seiner GESAMMELTEN TEXTE. −
Bernd Imgrund: Die jetzt herausgekommenen ersten drei Bände deiner GESAMMELTEN TEXTE sind bestückt mit Gedichten aus den Jahren 1972 bis 1977. Wie kann ein damals 17jähriger einen bereits derartig elaborierten, individuellen Stil entwickelt haben?
Bert Papenfuß: Ich habe mit 13, 14 Jahren angefangen, nach einer Artikulationsmöglichkeit zu suchen. Zuerst habe ich gemalt und Musik gemacht, aber bald stellte ich fest, daß ich mich durch Schreiben am besten ausdrücken kann. Also habe ich mir mit 16 gesagt, ich werde Dichter, und das habe ich dann halt gemacht.
Imgrund: Was gab es denn in den frühen 70er Jahren in der DDR zu lesen? Liest man deine Gedichte, könnte man eine Ahnenreihe von Dada über die Konkrete Poesie bis zu Ernst Jandl aufstellen.
Papenfuß: Klar kannte ich Dada, Schwitters war wichtig für mich. Es gab eigentlich alles zu lesen, man mußte es sich nur irgendwie beschaffen. Jedenfalls ist das Gejammer, daß wir hier kulturell ausgehungert waren, totaler Quatsch.
Imgrund: Wie bedeutend ist für dich das Lautmalen, der mündliche Vortrag von Gedichten?
Papenfuß: Wir durften ja nicht publizieren, und die Folge davon war, daß wir viele Lesungen gemacht haben, in kirchlichen Räumen, bei Ausstellungseröffnungen oder bei privaten Veranstaltungen. Daraus entwickelte sich eine gewisse Versiertheit im Vortrag, aber ich wollte nie Lautpoesie wie die Konkreten machen, das war mir immer zu kristallin, zu akademisch.
Imgrund: In HARM sprichst du bzw. dein lyrisches Ich einmal von unserer wesenlosen zeit, in SOJA heißt das abgewandelt meiner umwelt gebrichts an geschlechtlichkeit. Ist das zu lesen als Reaktion auf die sterile, vertrocknete DDR-Sprache, als ein Ausdruck dafür, daß Schreiben auch physische Befreiung ist?
Papenfuß: Die offizielle Sprache in der DDR war nicht verknöcherter als jede andere Machtsprache. Es ist mir völlig einerlei, ob ich das NEUE DEUTSCHLAND von vor 15 Jahren oder die FAZ von heute in der Hand habe. Das ist keine Sprache, in der ich meine Gefühle ausdrücken kann. Ich bin ein Triebtäter, Schreiben ist zwanghaft. Ich muß den ganzen Scheiß, der sich ansammelt, einfach wieder loswerden.
Imgrund: Das korrespondiert mit dem Satz Ich fühle mich nicht als Experimentator, sondern das ist mein Leben, du du mal in bezug auf deine Gedichte geäußert hast. Dagegen steht die im Literaturfeuilleton beliebte Einordnung deiner Arbeiten in die poststrukturalistische Sprachphilosophie. Da wird immer vom Austritt des Sprechenden aus der Sprache und vom Konkurs des Subjekts gesprochen. Siehst du dich auf der Straße von Derrida, Kristeva, Baudrillard?
Papenfuß: Nein, überhaupt nicht. Jenen Satz habe ich gesagt, um mich gerade von diesen Theorien abzurücken. Meine Texte wurden in einen viel zu intellektuellen Kontext gestellt. Diese poststrukturalistische Rezeption ist von mehreren Seiten lanciert worden. Für das westdeutsche Feuilleton war das eine Möglichkeit, mit den Texten überhaupt umzugehen, und auf der anderen Seite haben Sascha Anderson und Rainer Schedlinski das forciert, ich weiß nicht, wieso. Vielleicht, um interessant zu wirken.
Imgrund: In ZORO IN SKORNE, dem einleitenden Text zur Anthologie VOGEL ODER KÄFIG SEIN, haben Jan Faktor, Stefan Döring und du mal versucht, Eure Texte theoretisch zu orten. Da wird von der freiwilligen Isolation, mit Betonung auf freiwillig, geredet und davon, daß nicht durch Alternativ- oder Anti-Haltung Opposition ausgeübt werde, sondern durch Unkontrollierbarkeit. In SOJA favorisierst du die Figur des Schalks.
Papenfuß: Klar, das macht mir Spaß. Ich sitze auch gerne im Elfenbeinturm, aber wenn mir das zu langweilig wird, dann gehe ich halt auf den Marktplatz, um da rumzuschreien.
Imgrund: Und dieses Rollenspiel konntest Du in der DDR durchziehen mit dem Gefühl, dadurch bis zu einem gewissen Grade unkontrollierbar zu sein?
Papenfuß: Diese Vorstellung war natürlich utopisch. Die Paranoia der Überwachung war real, die Stasi stand auch vor meinem Haus. Aber das war so albern, ich hatte keine Lust, deshalb mein Leben umzustellen. Und war schon damals, Anfang der 80er Jahre, klar, daß wir für unsere Aktionen und Texte nicht mehr in den Knast kommen würden.
Imgrund: Wie klar war euch denn, daß Spitzel in euren eigenen Reihen waren?
Papenfuß: Es gab immer mal wieder Verdächtigungen, ab und zu hat sich jemand selber enttarnt, weil er bei der Stasi aussteigen wollte. Als ich 1977 Sascha Anderson kennenlernte, wurde der schon als Spitzel verdächtigt.
Imgrund: Warum hast du dich trotzdem mit ihm eingelassen?
Papenfuß: Ganz einfach, wir haben das nie geglaubt, daß der für die Stasi arbeitet.
Imgrund: Worauf basierten denn die Vorwürfe gegen Anderson?
Papenfuß: Der hat ja damals in Dresden gelebt. In so einer kleinen Stadt kriegt man das mit, wenn einer ständig vorgeladen wird und auch hingeht. Die normale Reaktion war, sich krank zu melden und diese Vorladungen wegzuschmeißen. Das machte man solange, bis die dich entweder in Ruhe ließen oder holen kamen. In dem Fall hat man sich dann eben besonders verstockt angestellt, bis man irgendwann rausgeschmissen wurde.
Imgrund: Wie verlief eure Zusammenarbeit mit den oppositionellen Kirchenkreisen?
Papenfuß: Wir haben viele Lesungen im Rahmen von Kirchenfesten gemacht, aber ich habe die Scheiß-Kirchentage und Friedenspfeifen immer gehaßt, mit denen konnte ich nie ernsthaft reden. Mich störte dieses Moralische, Weltverbesserische.
Imgrund: Bei diesen Veranstaltungen Ende der 70er, Anfang der 80er, die häufig in Privatwohnungen abgehalten wurden, sei Politik weitgehend ausgeklammert gewesen, liest man häufig. Trotzdem müßt ihr doch irgendeine konkrete Vorstellung von einer anderen Gesellschaft gehabt haben.
Papenfuß: Ich war damals Anarchist, und das bin ich auch heute noch. Natürlich war ich immer auch politisch, ich habe mich immer zu aktuellen Themen geäußert. Dieses Berufen auf eine unpolitische Haltung, das setzte später ein. Das kam auch von Anderson und Schedlinski, die wahrscheinlich ihren Führungsoffizieren klarmachen wollten, laßt die in Ruhe, das sind keine Staatsfeinde, sondern Dichter, die bleiben bei ihrer Sache.
Imgrund: Anarchismus ist ein Begriff zwischen revolutionärer Militanz und absoluter Gewaltlosigkeit. Was hast du dir denn du rausgepickt?
Papenfuß: Da gibt’s nichts rauszupicken. Wenn es um kollektive Strukturen geht, dann Bakunin, wenn es ums Individuum geht, dann Stirner, Rudolf Rockers Anarchosyndikalismus für den Aufbau von Industriestrukturen – da irgend etwas ausschließlich zu vertreten, ist völliger Quatsch. Genauso ist das mit der Gewaltlosigkeit: Wenn es in einer bestimmten Situation nicht ohne Gewalt geht, dann ist eben Militanz angesagt. Anarchist sein heißt für mich, jenseits irgendwelcher festgeschriebenen Direktiven oder Theorien auf jede Situation frei und angemessen zu reagieren. Und danach sieht man weiter.
Imgrund: Das läuft dann doch auf einen individuellen Anarchismus hinaus und nicht auf einen gesellschaftlichen?
Papenfuß: Ja, das stimmt. Ich gehe manchmal zu Stirners Grab.
Imgrund: Also war der Weg des dezidierten politischen Oppositionellen à la Lutz Rathenow oder Wolf Biermann für dich nie eine Alternative?
Papenfuß: Nein. Die Leute haben mich von Anfang an gestört. Die Sentimentalität von Biermann konnte ich nie leiden, mit dessen Texten konnte ich auch ästhetisch nichts anfangen, mit dieser Liedermacherei bei Kerzenschein.
Imgrund: Was heißt das?
Papenfuß: Meine Gefühle wurden von diesen Leuten nicht artikuliert. Diese ganze ältere Generation war ja stark von Brecht beeinflußt, überall wurden Brecht-Vorträge gehalten, das war widerlich. Ich habe nie etwas gefunden an dieser vorgeschobenen Klarheit, die bei Brecht so gelobt wurde. Das stimmte doch hinten und vorne nicht. Beobachte Deine eigenen Gefühle und Deine Umwelt, und Du weißt, daß das alles menschenverdummende Vereinfachung ist. Das führt nur zu Sentimentalismus und Borniertheit in alle Richtungen.
Imgrund: Nun scheint Biermann das ja ähnlich zu sehen. Mit Anspielung auf deinen Generals-Vater verglich er Deine Attacken auf die deutsche Sprache mit dem Gemetzel von Soldaten in der Schlacht.
Papenfuß: Ich fand das schon ganz witzig. Im Nachhinein tut mir nur leid, daß ich mich dazu herabgelassen habe, gegen Biermann zu polemisieren. Das war’s einfach nicht wert.
Imgrund: Wenn du schon Biermanns Texte langweilig findest: Kannst du ihn dann zumindest als Symbol des Widerstands würdigen?
Papenfuß: Ist doch alles Quatsch! Im Vergleich zu Biermann war vielleicht Lutz Rathenow ein Widerstandskämpfer. Biermann war Nomenklatura. Das war allen Leuten, auch in der sogenannten oppositionellen Szene, völlig klar.
Imgrund: Warum ist Biermann denn deiner Meinung nach ausgewiesen worden?
Papenfuß: Weiß ich nicht. So gut kenn ich mich in der DDR-Kulturpolitik nicht aus. Da mußt du mal Margot Honnecker fragen, die hatte lange Zeit ihre schützende Hand über Biermann. Außerdem hat der sowieso schon vor seiner Reise in den Westen gewußt, daß er, wenn er sich nicht völlig konform verhält, ausgebürgert wird. Für mich was das kein Zeichen des Widerstands, das war nichts. Kann ich mich gar nicht mehr dran erinnern. Ich weiß nur noch, daß in der Zeit Punk-Rock aufkam, das hat die Biermann-Affäre für mich doch sehr stark überschattet.
Imgrund: Punck-Rock begann 1977, das war auch die „Hoch-Zeit“ der RAF in Westdeutschland. Was haben deren Aktionen bei euch für eine Resonanz gefunden?
Papenfuß: Die Aktionen der RAF, da waren wir uns mit Honnecker einig, stießen bei uns auf Sympathie…
Imgrund: unverhohlene oder klammheimliche?
Papenfuß: Unverhohlene, das konnte man hier ja machen. Aber an gute Informationen über die theoretischen Schriften der RAF zu kommen, war in der DDR sehr schwierig. Die bezog ich eigentlich nur aus den SPIEGEL-Artikeln. Diese Artikel waren schon wichtig. Andererseits war das auch wieder so weit weg, daß wir da keinen richtigen Zugang zu hatten.
Imgrund: Hattet ihr unter den arrivierten DDR-Schriftstellern irgendwo eine Lobby?
Papenfuß: Ja, es gab eine Lobby. Für mich haben sich z.B. Gerhard Wolf, Christa Wolf und Karl Mickel eingesetzt, andere hatten mehr Kontakt zu Heiner Müller. Diese Leute waren überhaupt ziemlich solidarisch, die haben ständig unser Zeug gekauft, haben uns Geld gegeben, haben Einladungen in den Westen befördert. Als ich 1986 in die Akademie der Künste eingeladen wurde, hat Heiner Müller direkt gesagt, das ist druckreif, AUFBAU-VERLAG, druckt das mal, was dann dazu führte, daß sie zehn Jahre nach Erhalt 1988 meine Manuskripte als Buch veröffentlichten. Und das, obwohl ich ein halbes Jahr vor diesem Auftritt einen Ausreiseantrag gestellt hatte, den ich aber kurze Zeit später wieder zurückzog.
Imgrund: Warum?
Papenfuß: Das Leben im Westen erschien mir zu anstrengend, ich kannte das inzwischen ja, viele Freunde waren schon drüben. Ich wollte keinen Rummel um den „befreiten Ostdichter“, genauso schreckten mich diese westliche Literaturförderung und der ganze Dreck ab.
Imgrund: Das siehst du heute anders?
Papenfuß: Naja, heute habe ich keine andere Wahl.
Buchkultur: Bei Thomas Kling, der in westdeutschen Dichterkreisen eine ähnliche Position wie du innerhalb der Prenzlauer-Berg-Szene innehat, ist eine deiner Arbeit vergleichbare Tendenz hin zu längeren Texten zu beobachten. Hat man nach zwanzig Jahren als experimentierender Nischenlyriker das Bedürfnis, sich ausführlicher mitzuteilen.
Papenfuß: Ich glaube nicht, daß Kling oder ich jetzt immer längere Texte schreiben werden. Es geht für mich immer um den möglichst präzisen Ausdruck, und der ist knapp. Längere Texte entstehen immer aus einer konfusen Wut heraus, auch gegen mich selbst, wenn sich mal wieder zuviel aufgestaut hat.
Imgrund: Was hältst du von folgendem Gedanken: In einem Überwachungsstaat wie der DDR kommt es auf klandestine Knappheit an, während du jetzt in einer Überflußgesellschaft lebst, die sich auch auf dein lyrisches Schaffen auswirkt.
Papenfuß: Ich will es nicht hoffen. Auf die DDR zu reagieren, das hat mir noch Spaß gemacht, aber dem ganzen Mediengeflunker will ich mich nicht stellen. Der Feind ist zu groß. Dagegen ist jetzt wirklich Subversion gefragt, nicht Frontalangriff. – Ich würde, wäre ich heute noch mal 16, nicht mehr Dichter werden. Meine Ablehnung diesem westlichen System gegenüber könnte ich nicht mehr mit dieser defensiven Dichterpose äußern. In der DDR war das anders, die haben Literatur noch als Politikum genommen.
Imgrund: Übersieht man die Literatur, die der Prenzlauer Berg und vergleichbare Szenen in der DDR hervorgebracht haben, so stellt man fest, daß es sich dabei nahezu ausschließlich um Lyrik, Essays und Kurzprosa handelt. Habt ihr den Roman bewußt links liegengelassen?
Papenfuß: Ich habe nie den Wunsch verspürt, eine Erzählung oder einen Roman zu schreiben. Das werde ich mit Sicherheit auch nie tun. Es gibt eben Dichter und Schriftsteller.
Buchkultur, 1993
Sprachgewand(t) – Ilona Schäkel: Sprachkritische Schreibweisen in der DDR-Lyrik von Bert Papenfuß-Gorek und Stefan Döring
Heribert Tommek: „Ihr seid ein Volk von Sachsen“
Lorenz Jäger: ich such das meuterland
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.1.2016
Zeitansage 10 – Papenfuß Rebell
Jutta Voigt: Stierblut-Jahre, 2016
Bert Papenfuß liest bei OST meets WEST – Festival der freien Künste, 6.11.2009.
Bert Papenfuß, einer der damals dabei war und immer noch ein Teil der „Prenzlauer Berg-Connection“ ist, spricht 2009 über die literarische Subkultur der ’80er Jahre in Ostberlin.
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