Bertolt Brecht: Gedichte Band III 1930–1933

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Bertolt Brecht: Gedichte Band III 1930–1933

Brecht-Gedichte Band III 1930–1933

LIED DER LYRIKER
(als schon im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts für Gedichte nichts mehr gezahlt wurde)

1
Das, was ihr hier lest, ist in Versen geschrieben!
Ich sage das, weil ihr vielleicht nicht mehr wißt
Was ein Gedicht und auch was ein Dichter ist!
Wirklich, ihr habt es mit uns nicht zum besten
aaaaagetrieben!

2
Sagt, habt ihr nichts bemerkt? Habt ihr gar nichts zu fragen?
Fiel’s euch nicht auf, daß schon lang kein Gedicht mehr erschien?
Wißt ihr, warum? Nun schön, ich will es euch sagen:
Früher las man den Dichter, und man bezahlte ihn.

3
Heute wird nichts mehr bezahlt für Gedichte. Das ist es.
Darum wird heut auch kein Gedicht mehr geschrieben!
Denn der Dichter fragt auch: Wer bezahlt es? Und nicht  n u r: Wer liest es?
Und wenn er nicht bezahlt wird, dann dichtet er nicht! So weit habt ihr’s getrieben!

4
Aber warum nur? so fragt er, was hab ich verbrochen?
Hab ich nicht immer getan, was verlangt wurd von denen die zahlen?
Hielt ich nicht immer das, was ich versprochen?
Und jetzt höre ich auch von denen, die Bilder malen

5
Daß kein Bild mehr gekauft wird! Und auch die Bilder
Waren doch immer geschmeichelt! Jetzt stehn sie im Speicher…
Habt ihr was gegen uns? Warum wollt ihr nicht zahlen?
Wie wir doch lesen, werdet ihr reicher und reicher…

6
Haben wir nicht, wenn wir genügend im Magen
Hatten, euch alles besungen, was ihr auf Erden genossen?
Daß ihr es nochmals genösset: das Fleisch eurer Weiber!
Trauer des Herbstes! Den Bach, und wie er durch Mondlicht geflossen…

7
Eurer Früchte Süße! Geräusch des fallenden Laubes!
Wieder das Fleisch eurer Weiber! Das Unsichtbare
Über euch! Selbst euer Gedenken des Staubes
In den ihr euch einst verwandelt am End eurer Jahre!

8
Und nicht nur das habt ihr gerne bezahlt! Auch das, was wir denen
Sagten, die nicht wie ihr auf die goldenen Stühle gesetzt sind
Habt ihr sonst immer bezahlt! Dies Trocknen der Tränen!
Und dies Trösten derer, die von euch verletzt sind!

9
Vieles haben wir euch geleistet! Und nie uns geweigert!
Stets unterwarfen wir uns! Und sagten doch höchstens: Bezahl es!
Wieviel Untat haben wir so verübt! Für euch! Wieviel Untat!
Und wir begnügten uns stets mit den Resten des Mahles!

10
Ach, vor eure in Dreck und Blut versunkene Karren
Haben wir noch immer unsere großen Wörter gespannt!
Euren Viehhof der Schlachten haben wir „Feld der Ehre“
Eure Kanonen „erzlippige Brüder“ genannt.

11
Auf die Zettel, die für euch Steuern verlangten
Haben wir die erstaunlichsten Bilder gemalt.
Unsere anfeuernden Lieder brüllend
Haben sie euch immer wieder die Steuern bezahlt!

12
Wir haben die Wörter studiert und gemischt wie Drogen
Und nur die besten und allerstärksten verwandt.
Die sie von uns bezogen, haben sie eingesogen
Und waren wie Lämmer in eurer Hand!

13
Euch selber haben wir stets mit was ihr nur wolltet verglichen
Meistens mit solchen, die auch schon mit Unrecht gefeiert wurden von solchen
Die wie wir ohne Warmes im Magen Gönner umstrichen
Und eure Feinde verfolgten wir wild mit Gedichten wie Dolchen.

14
Warum also besucht ihr plötzlich nicht mehr unsre Märkte?
Sitzt nicht so lange beim Essen! Uns werden die Reste ja kalt!
Warum bestellt ihr nichts mehr bei uns? Kein Bild? Nicht ein Loblied?
Glaubt ihr etwa auf einmal, daß ihr so, wie ihr seid, gefallt?

15
Hütet euch, ihr! Ihr könnt uns durchaus nicht entbehren!
Wenn wir nur wüßten, wie euer Aug auf uns lenken!
Glaubt uns, ihr Herren, daß wir heut billiger wären!
Freilich können wir euch unsere Bilder und Verse nicht schenken

16
Als ich das, was ihr hier lest (ach, lest ihr’s?) , begonnen
Wollt ich auch jede dritte Zeile in Reimen verfassen.
Aber da war mir die Arbeit zu groß, ich gesteh es nicht gerne
Und ich dachte: wer soll das bezahlen? und hab es gelassen.

 

 

 

Zum dritten Band

Gleich nach dem Reichstagsbrand verließ Brecht Deutschland. Im ersten Jahre des Exils, in Dänemark, stellte Brecht den zweiten Auswahlband seiner Gedichte, Lieder, Gedichte, Chöre, zusammen, der 1934 in den Editions du Carrefour, Paris, herauskam.
Die Lieder, Gedichte, Chöre stehen, Brechts Anweisung entsprechend, am Anfang des dritten Bandes der Gedichte. Die Originalausgabe enthält eine Notenbeilage mit Melodien Hanns Eislers, deren Veröffentlichung Brecht im Interesse der Verbreitung und Wirkung der Lieder für wichtig hielt.1
Der Band wird eingeleitet durch die „Legende vom toten Soldaten“, die Brecht bereits in die Hauspostille aufgenommen hatte und für die er schon sehr früh von den Nazis auf die schwarze Liste gesetzt worden war.
Dem Kinderbuch Die drei Soldaten waren im 6. Heft der Versuche Zeichnungen von George Grosz beigegeben.
Die Uraufführung des Balletts Die sieben Todsünden der Kleinbürger mit der Musik von Kurt Weill fand im Sommer 1933 in Paris statt.
Die unveröffentlichten und die nicht von Brecht selbst zusammengefaßten Gedichte aus den Jahren 1930–1933 sind wie die im zweiten Band der Gedichte von den Redakteuren chronologisch angeordnet.
Der Plagiatvorwurf eines Kritikers in bezug auf einige Dreigroschenoper-Songs und die daraus entstandene öffentliche Diskussion veranlaßten Brecht und den Gustav-Kiepenheuer-Verlag 1930, die Balladen Villons in der Ammerschen Übersetzung neu herauszugeben; als Einleitung schrieb Brecht das „Sonett zur Neuausgabe des François Villon“.
Das Gedicht „Lob des Dolchstoßes“ steht in engem Zusammenhang mit dem „Lied von der Suppe“ aus dem Stück Die Mutter, während „Das Lied der Obdachlosen“ und die „Ballade vom Tropfen auf den heißen Stein“ ursprünglich für den Film Kuhle Wampe bestimmt waren, an dem Brecht mitarbeitete (1931). Für die Berliner Aufführung von Paul Schureks Kamrad Kasper (1932) schrieb Brecht die drei Lieder: „Ach, des Armen Morgenstund“, „Lied der Kriegerwitwe“ und „Ich hatte eine liebe Frau“. Das „Lied von der Tünche“, ursprünglich für seinen Entwurf zu seinem Dreigroschenfilm Die Beule geschrieben, übernahm Brecht etwas erweitert in die endgültige Fassung seines Stücks Die Rundköpfe und die Spitzköpfe.

Elisabeth Hauptmann, Nachwort

 

Bertolt Brecht und weitere Sprecher: Lesungen und O-Töne 1928–1956 in Washington und Berlin. Sammlung Suhrkamp Verlag: Tonkassette 116

 

REQUIEM NACH B.

ich kam aus den wäldern & gras
wächst mir statt haaren auf der
brust denn alles fleisch es ist
wie gras & wie das gras ist mir
verdorrt die freundlichkeit der
kreatur die keine wurzeln
schlägt in einem trocknen herz
& ich verschlangs wie dörr
obst einst als kind statt süssem
menschenfleisch wie heut da
in die städte ich ging mit
nichts als einem schwarzen
himmel über mir dem ich wie dir
das blau aus seinen augen stahl
damit du siehst woher ich kam

Albert Ostermaier

 

Fakten und Vermutungen zur Herausgeberin
Fakten und Vermutungen zum Autor + Archiv + ÖM + KLG
shi 詩 yan 言 kou 口

 

Bertolt Brecht: Lob des Lernens gesungen von Nina Hagen 2016 in Potsdam.

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