Heinz Kahlau: Lob des Sisyphus

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Heinz Kahlau: Lob des Sisyphus

Kahlau-Lob des Sisyphus

WUNSCHTEST

Ließe sich die Existenz
von C vierzehn
und sein Zerfall
in C zwölf
in Ideen nachweisen,
würden wir erschrecken
angesichts
des Alters
entscheidender
Irrtümer.

 

 

Beitrag zu diesem Buch:

Michael Gratz: Kahlaus Liebesgedichte – ‚Vorgang‘ und ‚Argument‘
Neue Deutsche Literatur, Heft 5, 1981

 

Der Aufbruch in den sechziger Jahren

(…) Heinz Kahlau (*1931) war in den Sechzigern einer der populärsten DDR-Lyriker. Viele seiner Gebrauchstexte eigneten sich geradezu ideal für die Schullesebücher, für Feierstunden, Brigadefeste, Rezitatorenwettstreite, Singeklubs und Jugendweihe-Veranstaltungen. Kahlaus Repertoire war breit und reichte vom Sinnspruch, Aphorismus und Lied bis zu Liebesgedicht, Ballade und Weltanschauungstext. Er schrieb verständlich und meist in einprägsamer streng gebundener Form, er illustrierte Parolen oder tat in Tiefsinn. Die Partei hielt ihn an der Leine und rügte ihn, wenn er sich zuweilen zu weit von den obligaten sozialistischen Positionen zu entfernen drohte, und er erhielt nahezu alle in der DDR üblichen Literaturpreise. Er war aufmerksamer Brecht-Schüler, liebte die Pointe und den Erfolg, und als man es 1960 ihm abverlangte, schrieb er eine Maisfibel, ein Lehrgedicht auf die sozialistische Landwirtschaft. Seinem „Gedicht über Hände“, einem Loblied auf die nimmermüden, flinken Hände einer Arbeiterin am Fließband, das die Monotonie der Arbeit heroisierte und die sozialistische Ausbeutung verherrlichte, fügte er nach einer heftigen Diskussion noch drei Vierzeiler an, die den peinlichen Kitsch relativieren sollten:

Fassung 1

Sie hatte Hände, die wie Tänzer waren,
denn sie bewegten sich so leicht und frei,
als ob die Anmut dieser schmalen Finger
ganz ohne Mühe zu erreichen sei.

Fassung 2

Der ewig gleiche Griff von Tag zu Tag.
Die gleiche Drehung, sieben lange Stunden,
Was tut der Kopf, zu dem die Hand gehört?
Hat dieser Kopf den stumpfen Tanz erfunden?
1

Diese Fassung brachte dann wieder die sozialistischen Ethiker gegen ihn auf. So stieß man in Kahlaus Texten schließlich vielerorts auf Absicherungen gegen beide Seiten. In seinem Gedichtband von 1965 (Der Fluß der Dinge) dann Rhetorisches und Politisches, Gefühliges und Kitschiges beieinander, und oft sprach da ein Pädagoge mit moralischem Zeigefinger. Ein nach taktischen Erwägungen zusammengebauter Band. Ob Entfremdung im Kapitalismus („Katastrophe in Hamburg“) oder Bloßstellung des Wanderers zwischen den Welten („Irrtum eines Dichters“), Kahlau hatte große Worte parat oder innigliche Sentenzen:

Du legst in meine Hand dein winziges Gesicht…
und dein vertrauensvoller kleiner Mund…

Er wollte ein möglichst zahlreiches Publikum. Zielperson war ihm der gewöhnliche Leser, nicht unbedingt der politische, aber doch auch nicht der unpolitische. In den Zille-Gedichten biederte er sich berlinernd an. Seine Liebesgedichte sollten übliche Lieder der Liebe sein. Er mochte Moritaten, und sein letzter Gedichtband in der DDR bestand aus Sinn- und Unsinn-Gedichten (1989):

Ach, wie konnten wir uns mästen
bei den abendlichen Festen
mit den vielen Sommergästen –
aus dem Osten und dem Westen.

Es gab immer nur vom Besten.
wie vom Feuchten, so vom Festen.
Heut noch zehren wir von den Resten
Und vom Standpunkt. Unserm festen
.2

Heute hat der Bekenntniswert des Textes eine damals freilich kaum gemeinte Brisanz.
In einem Lehrbuch für junge Poeten (Der Vers. Der Reim. Die Zeile) lieferte Kahlau den Seminaristen der Zentralen Schweriner Poetenseminare, seit 1970 allährlich vom Zentralrat der FDJ für junge Autoren einberufen, elementar Poetologisches. Setzt man W. Höllerers Poetik3 dazu in Beziehung, ahnt man, wie sehr Kahlau gegen die vielen Formen der verteufelten Dekadenz da angeschrieben hat. Dennoch war es verdienstvoll, einfache poetische Möglichkeiten jungen Schreibenden zugänglich zu machen, etwa diesen Gemeinplatz:

Das Originelle kann in mancherlei Art und Weise erreicht werden, aber immer ist ein phantasievoller, poetischer Einfall dazu nötig. Er kann inhaltlich, stilistisch, dichterisch-handwerklich oder musikalisch sein, aber er muß das durch die Alltäglichkeit stumpf Gewordene wieder zum Funkeln bringen, damit man darauf aufmerksam wird.4

Andernorts selbst für angehende Lyriker gewiß eine Binsenweisheit, für DDR-Schreibschüler aber ein wichtiger Hinweis, mit Verweis auf Ausbruch aus dem hierorts üblichen sozialistischen Eklektizismus.

(…)

Edwin Kratschmer: Dichter · Diener · Dissidenten. Sündenfall der DDR-Lyrik, Universitätsverlag – Druckhaus Mayer GmbH Jena, 1995

 

Zum 80. Geburtstag des Autors:

Hans-Dieter Schütt: Lob des Sisyphos
neues deutschland, 5.2.2011

Fakten und Vermutungen zum Autor + Archiv
Nachruf auf Heinz Kahlau: freitag

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