AMOUREN
Du, die ich nirgendwo zu erreichen weiß und die du
aaaaadieses Buch
aaaaahier nicht lesen wirst,
die du stets ins Gericht gegangen bist mit den
aaaaaSchriftstellern,
den kleinen, kleinlichen, unwahren, eitlen Gesellen,
du, der Henri Michaux zu einem Eigennamen
aaaaageworden ist,
aaaaain allem vielleicht wie die, die man in den Vermischten Notizen
aaaaaliest, mit Alters- und Berufsangabe daneben,
du, die du in andrer Gesellschaft lebst, auf andern Flächen und
aaaaaFeldern, anders umhaucht und umweht,
aaaaaderenthalben ich mich jedoch überworfen hatte mit einer ganzen
aaaaaStadt, der Hauptstadt eines dichtbesiedelten Landes.
Und die du mir auch nicht ein einziges Haar zurückgelassen hast
aaaaabeim Weggehn, sondern bloß die Empfehlung, deine Briefe
aaaaaauch ja zu verbrennen –: bist nicht auch du jetzt zwischen vier
aaaaaWänden und ganz in Gedanken?
Sag, machts dir noch immer soviel Spaß, dir die schüchternen
aaaaajungen Männer zu angeln mit deinem samtenen Krankenhausblick?
Ich, ich habe noch immer denselben starren, verrückten Blick,
der irgend etwas Persönliches sucht,
irgendwas mir inmitten dieser unendlichen unsichtbar-
aaaaakompakten Materie Hinzuzufügendes,
das den Zwischenraum bildet zwischen den Körpern der als solcher
aaaaabezeichneten Materie.
Unterdessen habe ich mich aber einem neuen „Wir“ überantwortet.
Sie hat Lampenlicht-Augen wie du, sehr sanft, nur größer als die
aaaaadeinen; eine dichtere, tiefere Stimme; und ein Schicksal, so
aaaaaziemlich dem deinen ähnlich in seinem Beginn und seinem Verlauf.
Sie hat… Sie hat-te!
Hab sie morgen nicht mehr, meine Freundin Banjo;
Banjo,
Banjo,
Bibolabange du so bang,
Bilabonne du so süß, Banjo,
Banjo,
Banjo so allein-allein, Banjelein,
Banjeby,
so lauter Liebe, Lie-,
hab deine kleinen Brüste verloren,
-loren,
und deine unsägliche Nähe.
Sie haben alle gelogen, meine Briefe, Banjo … und jetzt, jetzt geh
aaaaaich.
Hab eine Fahrkarte in der Hand: 17.084.
Königlich-Niederländische Schiffahrtsgesellschaft.
Man braucht nur der Fahrkarte zu folgen und kommt nach
aaaaaEcuador.
Fahrkarte und ich, morgen machen wir zwei uns auf den Weg,
den Weg nach Quito – der Stadt mit dem Reim auf „couteau“.
Mir wird ganz eng, sobald ich daran denk.
Und doch wird man mir sagen:
aaaaa„Schön, dann soll sie eben mitfahren mit Ihnen.“
Ja gewiß doch, wir wollten ja nur ein kleines Wunder von euch da
aaaaada droben: ihr Haufen Müßiggänger, Götter, Erzengel, Erwählte,
aaaaaFeen, Philosophen, und ihr, meine genialen Kumpane, die ich
aaaaaso geliebt habe:
du, Ruysbroek, und du, Lautréamont,
der du dich nicht für dreimal Null hieltst; ein ganz kleines
aaaaaWunder, ja das wars, was wir von euch haben wollten, für Banjo
aaaaaund für mich.
Übertragen von Paul Celan
Henri Michaux (der eine Jesuitenschule besuchte, der ein kurzes Medizinstudium begann und der – als sein Vater ihm untersagte, in den Benediktinerorden einzutreten – Matrose wurde) ist eine kontemplative Natur. Sein erstes Buch erschien 1927. Trotzdem war er, der nach Frankreich übergesiedelte Belgier, noch 1941 so unbekannt, dass André Gide in einem – vom Vichy-Regime übrigens verbotenen – Vortrag für ihn eintrat.
Zwar hatte Michaux schon lange für führende Zeitschriften gearbeitet; doch sein Werk, wenn es auch gewisse (von Rimbaud herrührende) Gemeinsamkeiten mit dem surrealistischen Zeitstil hatte, war so wenig modisch und temporär, dass man es ignorierte. Michaux war weder bereit, das Unterbewusste als Gottheit anzuerkennen und die aus psychischen Tiefen heraufdrängenden Automatismen und Assoziationen kritiklos und unreflektiert ins Werk eintreten zu lassen, noch war er willens, die spätere Wendung Bretons vom Introvertierten zum Extravertierten mitzumachen und sich dem Marxismus zu unterwerfen. Ein Mystiker im Grunde seines Wesens, weigerte sich Michaux, dem Utilitarismus zu dienen. Schreiben – das war für ihn ein Akt der Selbstsuche, eine Methode, in die Schächte des Ego Licht einströmen zu lassen – nicht aber, die Dunkelheiten ans Helle zu zerren, um mit ihnen dann den Geist zu verfinstern.
Wie sehr Michaux sich auch in der Unwissenheit und im Unbebausten weiss, die Intention seiner Arbeit richtet sich doch aufs Ergründen; nicht aufs Verfertigen künstlicher Geheimnisse:
Er suchte die Jugend, je mehr er selbst altert. Er hoffte auf sie. Noch immer wartet er auf sie. Aber er wird bald sterben.
Oder:
Die andern haben unrecht. Das steht fest. Aber er selbst, wie soll er leben? Immerzu handeln, ehe man weiss…
Man hat Michaux mit Kafka verglichen, und es gibt da auch Zusammenhänge. Dennoch lässt sich aus einer Gegenüberstellung nicht allzuviel Verständnis gewinnen. Beiden Dichtern eignet vielmehr eine gemeinsame Modernität des Erlebens, ein Weltempfinden, das nicht mehr von der Gewissheit eines heilen Ganzen beherrscht wird, sondern von der Einsicht in Dualismus, Fragmentarismus. Kafka erlebte diese Problematik allerdings noch theologisch, fühlte er sich als ein aus der Gemeinschaft herausgetretener, ja verstossener Einzelner, dem, wie er es formulierte, der jüdische Gebetsmantel davongeflattert war und der es nun zum Kreuz des Christentums zu weit hatte. Michaux sieht sich weniger besonders. Seine Vorstellung vom Ausgesetztsein ist nicht durch religiöse, rassische oder nationale Imponderabilien determiniert. Was er empfindet, ist das unromantische, aber rätselhafte Dasein in einer Welt, die bei allem anzutreffenden Materialismus doch etwas anderes zu sein scheint als eine kausale Maschinerie:
Er ging langsam, so langsam als möglich, damit seine Seele gegebenenfalls seinen Körper einholen konnte. Es beunruhigte ihn, und zwar sehr, dass er sich bloss mit zwei Dritteln seiner Seele auf den Weg gemacht hat, denn angesichts der Wechselfälle des Lebens ist man nie vollzählig genug.
Eine Eigenart Michaux’ (durch die er sich übrigens ganz wesentlich von dem eher masochistischen Kafka unterscheidet) ist seine sadistische Aggressivität, die sein verbales Um-sich-Hauen, das von fern an den – allerdings sprachlich und metaphorisch ausschweifenderen – Lautréamont erinnert. Die Gewalttaten, die Michaux in der Phantasie begeht (oder erleidet), sind sein Reagieren auf die nivellierende Vielzahl der Erscheinungen und auf das Unsicherheit, Angst und Müdigkeit stiftende Element der Zeit:
Der Mensch erträgt die Zeit nicht.
Zum Glück, so meint Michaux, werden wir uns jedoch der belastenden und deformierenden Zeitabläufe nicht unentwegt bewusst: einfach deshalb, weil unser Leben immer wieder zerscherbt; weil es in Stücke springt, die wir gedankenlos hinter uns lassen. Damit wir es aber überhaupt zuwegebringen, kontinuierlich Teile unserer Substanz und unseres Bewusteins abzuwerfen, bedürfen wir – mehr als der Stärke – einer uns auflösenden Schwäche; denn der Mensch:
Eigentlich träumt er von nichts anderem als davon, völlig herunterzukommen,… um sich dadurch… seiner selbst zu entäussern; so stark spürt er, dass, wenn ihm ein Rest von Persönlichkeit übrigbleibt, dies noch immer Kraft ist, deren Last ihm abgenommen werden muss.
Das beste Mittel zur Herabminderung der Ich-Kräfte sieht Michaux in der Liebe und vor allem in deren physischer Form, in der Sexualität. Denn Enthaltsamkeit hindert nur daran, sich von jenen Energien zu befreien, die Unruhe bringen. Der Enthaltsame „fühlt sich überfordert und nimmt Zuflucht zum Aether. Symbol und abgekürzte Form des Aufbruchs und der Nihilisierung, die er herbeisehnt. Doch trügerisch, wie alles übrige, schenkt der Aether Landschaften.“ Der Mensch wird also seine Vitalität und sein Bewusstsein nicht los. Alle Ausbrüche – seien es nun Grausamkeiten, Ausschweifungen, Heiligkeiten – führen stets nur vorübergehend aus der Wirklichkeit heraus. Sogar noch das Schaffen hektischer Ersatzwelten (das Eintauchen in die Irrealität; das Sich-Stimulieren durch Rauschgifte: Michaux nennt es „Reise durch die Medikamente“) entbindet auf die Dauer nicht der Notwendigkeit, die Realität bewältigen und durchstehen zu müssen:
DER SEE
So nahe die Menschen auch an den See herankommen, sie werden deshalb weder Frösche noch Hechte.
Sie bauen ihre Villen ringsherum, begeben sich fortwährend ins Wasser, werden Nudisten…
Gleichviel. Das unzuverlässige Wasser, für den Menschen nicht atembar, den Fischen treu und nahrhaft, fährt fort, die Menschen als Menschen und die Fische als Fische zu behandeln. Und bis zum heutigen Tage kann kein Sportler sich rühmen, anders behandelt worden zu sein.
Das hier angezeigte Buch ist das erste einer dreibändigen Ausgabe, die der S. Fischer Verlag in der Uebersetzung von Kurt Leonhard und Paul Celan nach Weisungen von Henri Michaux zweisprachig herausbringt. Allein dieser Band enthält Extrakte von 18 meist sehr schmalen – Publikationen aus den Jahren 1927 bis 1942 Die meisten Texte sind Mischprodukte aus Tagebuchnotiz, Meditation und („Un Certain Plume“) absurder oder brutaler Anekdote. Am schwächsten (am phantasie- und formlosesten) ist Michaux in seinen – ohnehin nicht zahlreichen – Poemen. Mit Band II und III soll das Werk komplettiert werden; so wird unter anderem Michaux Rechenschaftsbericht über seine Versuche mit Meskalin vorgelegt. Der letzte Band enthält ein Nachwort des Autors und einen bibliographischen Anhang.
1899 geborene Belgier Henri Michaux begann in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre zu publizieren. Man könnte ihn von seinen ersten Schriften her vage in den Umkreis der surrealistischen Bewegung einordnen. Wie die Surrealisten scheint der frühe Michaux seine Literatur als Reise nach Innen, ins Unterbewußte und in den Untergrund des Weltzusammenhangs zu verstehen. Allerdings fehlt der Nimbus des Eingeweihtseins, der die überzeugten Anhänger des Surrealismus sofort erkennbar macht. Stattdessen finden sich Schilderungen der Destruktion; die personale Sphäre wird vermindert und aufgelöst. Als Ziel der Darstellung erscheint die Rückbesinnung auf die Rudimente des in sich zurückgedrängten Subjekts, der inzwischen sprichwörtlich gewordenen Position des Solipsismus.
Eins der frühen Stücke lautet:
Wenn ich wenig esse, spüre ich Stürze in mir. Die Flasche vorhin, die umfiel; zuerst dachte ich, das sei ich. Nicht ich wars. Ich nämlich zerbreche nie. Mit der Geschwindigkeit eines Steins, ohne auf Widerstand zu stoßen, durchquere ich den Fußboden. Darauf stoße ich auf eine Gneisschicht oder auf irgendeine Pleistozän-Böschung, und wenn diese fest genug ist, so bleibe ich da. Oh, ich habe nichts von einem Forscher, ich gehe bloß spazieren, ich hole Murmeln aus der Tasche hervor und spiele. Immerhin sind es jetzt zehn Jahre, daß ich keine Murmeln mehr bei mir habe. Vielleicht lutsche ich an meinem Bleistift…
Solche Sätze nehmen, nicht nur im Äußerlichen, den „Molloy“ von Samuel Beckett vorweg, der ein gutes Dutzend Jahre später geschrieben wird. Wie Beckett, aber mit radikalerer Entschiedenheit läßt Michaux bereits im Ansatz die surrealistische Weltanschauung hinter sich – zugunsten einer literarischen Eroberung, die in ganz anderes Neuland führt.
Daß dieser instruktive und lehrreiche Vorgang nun endlich auch in Deutschland zu verfolgen ist (und daß darüber hinaus natürlich am Werk von Michaux erfahrbar wird, was im 20. Jahrhundert Literatur, Dichtung sein kann), haben wir einem Unternehmen zu verdanken, das nach einigen Fehlmeldungen nun endlich mit dem ersten Band im S. Fischer Verlag zu erscheinen beginnt. Es ist eine dreibändige zweisprachige Gesamtausgabe, die Paul Celan herausgibt und deren Auswahl bereits vor Jahren von Christoph Schwerin in Zusammenarbeit mit Michaux vorbereitet wurde. Der größere Teil der Übersetzungen stammt von Kurt Leonhard, der seit Beginn der fünfziger Jahre für Michaux in Deutschland geworben hat und seit 1954 mehrere Auswahlbände veröffentlichte. Ein Teil der Übersetzungen stammt vom Herausgeber Paul Celan.
Der jetzt erschienene erste Band der Sammelausgabe umfaßt Schriften und Dichtungen aus dem Zeitraum von 1927 bis 1942. Er endet mit den „Idées de Traverse“ (Quergedanken) aus dem Originalband Passages. Er geht also bis an die Grenze, hinter der dann das „Portrait des Meidosems“ und die „Epreuves, Exorcismes“ und die „Mouvements“ entstehen. Diese werden vermutlich das Schwergewicht des zweiten Bandes ausmachen, während dem dritten die drei Mescalinbücher und das in diesen Bereich gehörende große Gedicht „Paix dans les Brisements“ vorbehalten sein dürften. Schwerpunkte im ersten Band sind die Stücke „ Un certain Plume“ und „Au Pays de la Magie“. Die Auswahl ist umfassend; was fehlt, ändert das Bild nicht. Schon die Originalausgaben der Schriften Michaux’ hatten Sammelcharakter mit wechselnder Zusammenstellung. In dieser Ausgabe sind alle früheren Koppelungen aufgelöst zugunsten eines übersichtlichen Gesamtplans, dem man durchaus die Authentizität des Originals zugestehen kann. Die deutsche Ausgabe ist also zugleich der erste authentische Versuch einer Gesamtausgabe, deren inneres und äußeres Erscheinungsbild eine bewundernswerte Leistung darstellt.
Sichtbar wird nun (nicht zum erstenmal, aber in dieser Ausgabe doch wohl unübersehbar) der Weg eines schriftstellerischen Unternehmens, das nur wenig Vergleichbares in der Gegenwartsliteratur hat. Michaux setzt ein mit der Schilderung der anfangs skizzierten solipsistischen Situation. Er zerstört die Fiktion des Ich, auf das die Romantik und die idealistische Philosophie alles gesetzt hatten. Er dringt durch. Wohin? Nicht, wie der gleichaltrige Francis Ponge, in ein Wunder- und Fabelreich der Namen, der Wörter, die sich nun als die wahren Dinge und die letzte Dinglichkeit erweisen. Michaux dringt durch in neue Bereiche der Vorstellung, schreibend löst er Schichten des Bewußtseins und Halbbewußtseins auf, setzt das Gelöste spielend oder spekulativ neu zusammen und findet und erfindet sozusagen hypothetische Realitäten. Er imaginiert nicht im Sinne der Romantik. Nicht jene Phantasie, die etwa das Werk E.T.A. Hoffmanns oder Edgar Allan Poes bestimmte, führt ihn. Er denkt sich nichts aus. Er erfindet eher wie ein Wissenschaftler, jedoch nicht, wie dieser, um eines positiven Effekts oder gar einer Nutzanwendung willen, sondern um zu irritieren, bis in die innerste Schicht menschlicher Welterfahrung und Weltorientierung.
Wenn man generell Literatur als spezifisch menschliche Orientierungsversuche in einer zugleich beherrschbarer und befremdender werdenden Umwelt bezeichnen kann, so haben die Orientierungsversuche Michaux’ den Charakter von radikalen Desorientierungen. Das Material dieser Desorientierungen liegt nicht im reinen Vorstellungsbereich (wie er psychologisch zu erfassen wäre), sondern in jenen Bedeutungshöfen, die sich mit mehr oder weniger fest bestimmten Grenzen um die sprachlichen Fixierungen herum ausbreiten. Das Material stammt aus dem Zwischenbereich zwischen Bildvorstellungen, wie sie am gelöstesten der Traum zeigt, und der Assoziationsverlockung normaler Redesprache. Die Erzählungen von „Meinen Besitzungen“, von Plume, von der „Reise in Großgarabannien“, „Im Lande der Magie“ sind in formaler Hinsicht eher simple Berichte, hingeredet ohne kunstvolle Bemühungen. Wie später bei Beckett dient das Abbrechen und Neuansetzen der Rede als Stilmittel. Es wird versuchsweise gesprochen, manchmal wahllos, wie es scheint. Aber in dieser, wenn man das sagen kann, Unmittelbarkeit der Mitteilung wird nun alles aufgelöst, was noch gewohnt oder gewöhnlich sein könnte. In der Schilderung der erfundenen Länder spielen Namen die Rolle von Kennmarken, geschildert werden Verhaltensweisen des einzelnen, der Gemeinschaften. Manchmal blitzt etwas auf wie die schaurige Parodie auf bestimmte zeitgenössische Parallelen. Die Projektionen des Bürokratischen, wie sie sich bei Kafka finden, werden, so könnte man dann sagen, weitergetrieben in der gleichsam eingeborenen Bestialität. Aber das ist nur ein Aspekt, ein eher irreführender Aspekt. Der unvermittelte Zeitbezug ist beiläufig. Der historische Punkt, an dem die Arbeiten Michaux’ zu lokalisieren sind, ist nicht durch bloße Reaktion, Kritik oder „Wahrung der Menschenwürde“ gekennzeichnet. Michaux hat entdeckt, daß das Verhängnis der Epoche in der restaurativen Verhärtung begründet ist, im Anschein der Ordnung und der Wahrheit. Er zersetzt diesen eingewurzelten Anschein und setzt ihn zu Gegenbildern zusammen, deren Erfahrung, wenn überhaupt, erst wieder eine Orientierung möglich macht.
Das Verhängnis beginnt immer da, wo wir glauben, allzugenau Bescheid zu wissen. Eine der Aufgaben, die die Literatur übernehmen kann, ist die Lähmung dieses Bescheidwissens. Die sogenannte Unmenschlichkeit ihrer Inhalte ist nicht sadistischer Lust entsprungen, bedeutet nicht Flucht ins negativ-romantische Reich des (bürgerlich-dekadenten) Bösen (dem eine bieder realistische Literatur kritisch zu Leibe gehn könnte), sie zeigt die Wahrheit von dem, was der Humanitätsideologie des 20. Jahrhunderts als Grundlage dient. Die Erfahrungen, die sich in der ersten Phase des Werks von Henri Michaux niedergeschlagen haben, gehen weit über die der auf sich zurückgeworfenen Subjektivität hinaus. Es sind Erfahrungen mit den Verhaltensweisen der Öffentlichkeit, der sozialen Realität. Die Erfindungen der Literatur, wie Michaux sie versteht, präsentieren das Revers dieser Erfahrung. Nur so besteht Aussicht, ihrer Herr zu werden.
In unserer Zeit nimmt alles so leicht eine extremistische und gewalttätige Form an, daß ich, erführe ich von einem gemäßigten Bund gemäßigter Leute, die gemäßigte Ansichten über eine gemäßigte Verbesserung der Beziehungen zwischen den Menschen und zwischen den Völkern austauschen möchten, auch da auf der Hutbleiben und sie – verstohlen – aus einem Winkel meines Auges und noch verstohlener – aus einem Winkel meiner Seele, beobachten würde. Und besonders die Entwicklung ihrer Bewegung zum Besseren hin würde ich mit mißtrauischen Blicken überwachen, so sehr scheinen mir die Menschen dieser Jahre auf die gleiche unwiderstehliche Weise darauf aus zu sein, alle andern Individuen unseres kleinen Planeten am Sich-fort-und-mit-Bewegen zu hindern.
Helmut Heißenbüttel, Süddeutsche Zeitung, 24./25.9.1966
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für mich in der Reihe der Lehrmeister für mich persönlich einer der ausdauerndsten Henri Michaux bis heute uneingeschränkt unermüdlich gelernt von ihm die Verdoppelung durch Sprache gelernt von ihm Einsicht in und Herstellung von Referenzebenen in Sprache gelernt von ihm die Multiplizierbarkeit des Menschen durch Sprache sehen gelernt gelernt die Schreibweise des Bildes sehen gelernt wie Bilder geschrieben werden die Provokation der leeren Fläche wie Fläche provoziert Bildschrift freigibt gelernt die Unverrückbarkeit gelernt den Blick fest auf das gerichtet was am Ende gelernt stillzuhalten mitten in der vollkommenen Verzweiflung nichts zu erwarten gelernt wenn überhaupt etwas dann durch nichts zu erwarten zu bekommen
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wer schon die Sprache die so heißt es alle sprechen verläßt aber verstehen denn die die sie sprechen einander besser wer schon die Sprache die alle sprechen verläßt wer schon die Sprache die alle sprechen dazu benutzt das von allen Besprochene zu verlassen wer schon die Sprache die alle sprechen benutzt um dahinter zu gelangen die Sprache benutzt zu sagen was alle nicht verstehn obwohl es aller Verständnis betrifft wer von den Fremden spricht die in die Sprache die alle sprechen eingezeichnet von Emanglonen Ekarassinen Meidosemen Umenen Dohomeden Odobommeden Orodommeden Dovoboddemoneden von Bommada Nippos von Pommede Nibbonis von Bomaris Bitulen von Rotrark Rijebetten von Biliget Kolniten von Bölet Proschuten von Ostebul spricht doch nur aus was in der Sprache was in den möglichen Abzweigungen und Zusammensetzungen der Sprache was in der Überschreitung der Grenzen was außerhalb der schmalen Lichtung des Normalen Sprache erst sollte nicht der auch die erste beste Gelegenheit denn die erste Gelegenheit das hat sich gezeigt ist die beste ergreifen um in anderer Sprache um in anderer Schrift um aus der Leere um aus dem Schweigen zu sagen zu zeigen auf eine direktere Weise und immer dasselbe in Sprache gesprochen wie im Bild gezeigt hier ist was Semantik heißt identifizierbar mit der Struktur des Zeigens gesagtgezeigt ausgesprochenvorgewiesen diskursivdemonstrativ
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24.5.1899 Namur Geburt in eine bürgerliche Familie 1900 bis 1906 Indifferenz Unbegier Widerstand Desinteresse Anemie Träumer ohne Bild ohne Wörter unbeweglich 1906 bis 1910 fünf Jahre Internat 1911 bis 1919 Brüssel 1920 Einschiffung als Matrose auf einem Fünfmastschoner in Boulogne-sur-Mer 1921 Abwrackung von Schiffen in aller Welt das große Fenster schließt sich wieder Ekel Verzweiflung 1922 Lektüre des Maldoror Belgien endgültig verlassen 1924 Paris er schreibt 1925 Klee darauf Max Ernst Giordio de Chirico äußerste Überraschung 1927 einjährige Reise am Äquator 1929 Tod des Vaters 1930 bis 1931 endlich seine Reise in Asien 1932 Lissabon Paris 1935 Montevideo Buenos Aires 1937 erste Ausstellung in der Galerie Pierre in Paris 1938 bis 1939 mit Beschlag belegt durch die Zeitschrift Hermes 1939 Brasilien 1940 Rückkehr nach Paris Exodus der Heilige Antonius 1944 Tod des Bruders 1945 durch Einschränkungen geschwächt bekommt seine Frau Tuberkulose Besserung 1947 fast Heilung 1948 Tod seiner Frau infolge schrecklicher Verbrennungen 1951 bis 1953 schreibt er weniger und weniger und malt mehr 1956 erste Meskalinversuche 1957 Ausstellungen in den USA Rom London und jetzt ungeachtet der Anstrengungen in jedem Sinne hält sein Leben an sich zu verändern seine Gebeine ohne sich um ihn zu kümmern folgen blindlings ihrer familiären rassischen nordischen Evolution
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da die Einbildungskraft in die Sinneswahrnehmungen selbst hineinspielt und an den Operationen des Sicherinnerns teilhat den Horizont des Möglichen öffnet Entwurf Hoffnung Furcht Vermutungen begleitet ist sie mehr als die Fähigkeit Bilder hervorzurufen die die Welt unmittelbarer Wahrnehmung verdoppeln die Einbildungskraft ist ein Distanzierungsvermögen durch das wir uns entfernte Dinge vorstellen und uns von gegenwärtigen Realitäten entfernen daher diese Zweideutigkeit die wir überall wiederfinden indem nämlich die Einbildungskraft vorauswirft und voraussieht dient sie dem Handeln zeichnet sie uns die Gestalt des Realisierbaren vor noch bevor es realisiert ist aber indem auch das imaginierende Bewußtsein der vorhandenen Welt die die Gegenwart um uns aufbaut den Rücken kehrt kann es Abstand nehmen und seine Fabeln in eine Richtung projizieren in der es keiner möglichen Übereinstimmung mit den Tatsachen Rechnung zu tragen braucht
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andererseits ist mit alledem nicht gesagt daß es überhaupt eine Welt irgendein Ding geben muß Existenz ist das Korrelat gewisser durch gewisse Wesensgestaltungen ausgezeichneter Erfahrungsmannigfaltigkeiten es ist aber nicht einzusehen daß aktuelle Erfahrungen nur in solchen Zusammenhangsformen verlaufen können rein aus dem Wesen der Wahrnehmung überhaupt und der anderen mitbeteiligten Arten erfahrener Anschauungen ist dergleichen nicht zu entnehmen vielmehr ist es sehr wohl denkbar daß nicht nur im einzelnen sich Erfahrung durch Widerstreit in Schein auflöst und daß nicht jeder Schein eine tiefere Wahrheit bekundet es ist denkbar daß es im Erfahren von unausgleichbaren und nicht nur für uns sondern an sich unausgleichbaren Widerstreiten wimmelt daß die Erfahrung mit einem Mal konsequent sich gegen die Zumutung ihre Dingsetzungen jemals einstimmig durchzusetzen widerspenstig zeigt daß ihr Zusammenhang die festen Regelordnungen der Abschattungen Auffassungen Erscheinungen einbüßt daß es keine einstimmig setzbare also seiende Welt mehr gibt es mag dabei sein daß doch in einigem Umfange rohe Einheitsbildungen zur Konstitution kämen vorübergehende Haltepunkte für die Anschauungen die bloße Analoga von Dinganschauungen wären weil gänzlich unfähig konservative Realitäten Dauereinheiten zu konstituieren
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heißer trockener Wind über den durch und durch erzitternden Pappeln Querbewegungen deren Anfang und Ende nicht zu erkennen ist hochaufstehende weißblaue flache Scheibe des Bilderbuchhimmels Eggen versunken in rötlich vom Wind überwellte Wiesen Wiesenschaumkraut die Schriftzeichen der Lupinen am Bahndamm die Schriftzeichen aufeinandergestapelter Autowracks am Bahndamm die Schriftzeichen der Armierungseisen auf einer Baustelle Wolkenschatten auf weithin einzusehenden Schrägen Junisonne die Höhe des Jahres rötliche Schonungen und Kahlschläge am Abend russische Wälder Wiesenschaumkraut dänische Wälder die Schriftzeichen der Backsteine in einer alten Mauer die Schriftzeichen der Tannenäste die herabhängen die Schriftzeichen der Fensterreihen in einem Hochhaus die Schriftzeichen der Apfelbäume an Chausseerändern dennoch gern hier gewesen zu sein dennoch über alles gern hier gewesen zu sein dennoch gern hier gewesen zu sein und nichts sonst und nichts sonst weil es sonst nichts gibt ein Lichtundschattenmuster aus rasch vorüberstreifenden Eichenwipfeln das sich verwandelt die Schriftzeichen der Wäschestücke auf einer Leine die Schriftzeichen des Ginsters am Bahndamm die Schriftzeichen des Schattens auf einem Waldweg die Schriftzeichen der Zaunlatten vor einer Juniwiese Wiesenschaumkraut die Schriftzeichen der Hochspannungsmasten quer über ein weiträumiges Tal gespannt Schriftzeichen von Schreberlaubenkolonien Schriftzeichen von Heuzeilen unmittelbar nach dem Wenden Schriftzeichen von Güterwagenkolonnen auf einem Rangierbahnhof die sehr langsamen Schriftzeichen einer weithin ausschwingenden Pappelallee Haieshausen
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vorher ehe man zu durchschauen vermag ist es wie die eisenharte Wand des silbernen Berges hat man es dagegen plötzlich erreicht zu durchschauen ist man selber schon immer die eisenharte Wand des silbernen Berges gewesen nun kann man natürlich fragen wie so etwas geschehen kann in einem solchen Falle wende man sich dem Fragenden zu und antworte wenn es einmal gelingt des innersten Triebwerks ansichtig zu werden oder wenn auch nur irgendein Teil davon ins Auge fällt dann sind Furt und Fährte augenblicklich abzutun und nicht zu gehen sind die Wege gemein und heilig nichts ist zu tun das außerhalb von dem liegt was dem einzelnen der fragt jeweils gegeben ist die verborgene Wahrheit aber kann sich an jedem Gegenstand erweisen denn die Wahrheit geht auf dem Fließenden und läßt Dinge sich im Kreise drehn und nimmt sie freiwillig an hat man aber nur ein klein wenig Ja-und-Nein so gerät man in Verwirrung und verliert sein Herz selbst wenn einer sich ganz aufgibt und alles von sich abstreift kann es doch geschehn daß die Grenze zur Heimat immer noch tausend Kilometer entfernt bleibt
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im Traum hat er noch immer nicht begriffen daß er älter wird Aufenthalt in Korridoren Hände die er auf sich zukommen sieht er fühlt sich im Unbestimmten mitten in der Stille der Ton des Sitars unabweislicher Eindruck daß jemand über die Schulter gebeugt ihm aufs Papier starrt er möchte das Normale enthüllen das verkannte unglaubliche ungeheuerliche Normale er kehrt ins Denken zurück er übt Wirkung aus aufs Denken er fühlt sich im Unbestimmten wer nicht von Grund auf durcheinandergerüttelt worden ist wird nicht dahin gelangen stärker als alles andere ist sein Mangel an Übereinstimmung er bewegt sich zu heftig es passiert zuviel Tiere haben im Traum zu ihm geredet obwohl er im Traum eher kraftlos erscheint ist er einmal im Traum ein Löwe gewesen in seinem persönlichen Vokabular bedeuten zum Beispiel Insekten Unannehmlichkeiten die ihm zu schaffen machen einige Tage meines Lebens bei den Insekten es gibt noch keine Regeln selbst wenn es wahr ist ist es falsch in einen Sack gequetscht hat er selbst seine Feinde verloren die Person die er gern spielen möchte soll schaudern machen er ist ein entfalteter Mensch er möchte das Unerkennbare packen und das Unbegrenzte suchend findet er die Fesseln die er sich selbst fabriziert hat sich daran zu hindern einzutreten sich daran zu hindern herauszutreten sich daran zu hindern zu leben Verbote rundum schon ist er steif die Flügel verklebt schon ist er aus Holz jetzt kann er Jahrhunderte überdauern
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so weit sein Blick reicht bilden sich schwarze Flecken nähern sich und je länger er in eine bestimmte Richtung blickt desto mehr Schwarz ruft er dorthin zusammen nähern sich verschmelzen miteinander eine unermeßliche fast lückenlose Schicht fast kompakt im kritischen Moment verschwindet der Raum in dem sich das alles abspielt ein anderer steigt herauf wiederum schwarze Flecken eine Art von Laufkäfern ungeheuer zapplig setzen sich in Marsch setzen sich in Lauf aus allen Richtungen als wollten sie einander durchdringen sich zusammenballen und ballen sich schon zusammen zu einer einzigen kompakten Masse wieder verschwindet der Raum ein anderer steigt herauf freischwebend ein phantastisches Flockentreiben Millionen schwarzer Körner fallen ein stören alles Helle in methodischer Unterbrechung aus der Tiefe des Auges selbst beginnen Millionen schwarzer Tropfen aufzutauchen abzuspringen hochzuschießen Geysire aus seinem Auge aus seiner Vision schlimmes Zeichen die Kadenz der schwarzen Wellen verbreitet Schrecken die schwarzen Flecken sind die Welt seine schwarzen Räume sind die Welt der Exzeß der Farben und Töne verliert den Geschmack er kehrt in die schwarze Vision zurück reduziert gewiß aber nicht zerstreut von der Operette der Farben endlich
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merkwürdige Entlastung Ruhestellung eines Teiles des Kopfes Ruhestellung des sprechenden schreibenden Teiles des Kopfes genauer des sprechenden schreibenden Kommunikationssystems man stellt die Weichen zur Auswahl anders wenn man sich ans Malen begibt die Wortfabrik verschwindet die Wortgedanken Wortgefühle Wortaktivitäten verschwinden ertrinken ganz einfach schwindlig sind nicht mehr da Knospen werden in Knospen angehalten wenn man sich ans Malen begibt Nacht des Sprechens partikulärer Tod Sprechunlust Sprechunverlangen der Teil des Kopfes der an all dem interessiert war kühlt aus erstaunliche Erfahrung welche Ruhe die Welt durch ein unbekanntes Fenster wiedergefunden Gehenlernen wie ein Kind Unwissenheit Fragen schwirren im Kopf herum Versuch zu erraten zu erahnen neue Schwierigkeiten neue Versuchungen jede Kunst hat ihre eigenen Versuchungen und Überraschungen wenn man sich ans Malen begibt man muß es kommen lassen gewähren lassen wenn man sich ans Malen begibt die weiße Seite wenn ich die weiße Seite betrachte sehe ich weit weg einen entsetzten Menschen laufen wovor entsetzt ich weiß es nicht bald kommen andere am äußersten Rand des Papiers unzählige Mengen Gedränge nicht für ein Blatt Papier sondern für eine Epoche verschont wenn es mir gelänge sie auf einem einzigen Blatt Papier zu vereinigen aber ich kann sie nicht festhalten auch nicht aufteilen die Beine des Vorderen streichen den Schatten des Folgenden aus dennoch jeder ein Sammelplatz für sich in der Wut sie nicht zurückhalten zu können werfe ich mich rasend aufs Papier auf das Massaker des Ausstreichens bis sich eine schrecklich isolierte Figur herausschält auf hundert Blättern in zehn Jahren von mir durch Malen erkennbar gemacht aber ich bin nicht leichtgläubig in den Tränen der Wut schleudere ich die Besessenheit weit von mir weg und die Kunst die sich mir entzieht gibt mir ihr trügerisches bittres Geschenk jetzt male ich schwarz auf schwarz hermetisch schwarz schwarz ist meine Kristallkugel aus Schwarz sehe ich alles was da ist hervorgehn
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er zeichnet ohne besondere Absicht er kritzelt mechanisch es erscheinen Gesichter auf dem Papier sobald er einen Bleistift oder Pinsel in die Hand nimmt zehn fünfzehn zwanzig Gesichter schlecht und recht fließen sie aus dem Pinsel heraus sie befreien sich geopferte Personen Ichs die der Wille die Energie die Vorliebe erstickt haben wiedergekommene Kinderängste deren Muster man verloren hatte nicht daran glaubend daß im Übergang zum Erwachsensein wirklich alles geregelt worden ist eine Art Nebenprodukt des Denkens wie die sinnlosen Gesten am Telefon es ist gewiß etwas Witziges was er malt etwas Lebendiges und wenn es ihm auch im Moment nicht besonders nahegeht es entspricht der Situation und je länger er es betrachtet um so sympathischer vertraut Zeugen Zeugnisse er malt auch in den Farben des Doubles er fragt sich ob Haß nicht eine solidere Architektur besitzt als Liebe er malt auf dem Bett ausgestreckt Fotos um sich herum er wälzt sich darin seine Raserei nimmt zu schüttelt ihn in dieser Raserei triumphiert er über die Widerwärtigkeiten seines Lebens die Woge die in ihm aufbrandet ist so riesenhaft daß das Herz der Scheintote wie im Kellergewölbe mit starken Schlägen an die Brust klopft er wird verrückt darüber Echo von tausend anderen Verrücktheiten seine verrückt gewordene Seele erkennt sich plötzlich im befleckten Papier er würde gern den Menschen außer sich malen er ist der Meinung daß es nicht wichtig ist zu wissen was man macht wenn man betrachtet er spricht von seinen ersten und größten Eindrücken
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ausgeschweift über die weiten Flächen der Imagination die Science-fictions der Innendimension sind die Möglichkeiten der anderen Zusammensetzung umhergeirrt auf den ausgedehnten Ebenen der Imagination mitten unter den Schattenfiguren die verschwinden wenn der Blick sie trifft jedes Bild ist die Möglichkeit der anderen Zusammensetzung plan nach Praxis leben bedeutet die Möglichkeiten der anderen Zusammensetzung annullieren ausgeschwärmt in die lichtlosen leeren Flächen der Imagination die sich plötzlich füllen mit Licht und Bewegung mit einem Schwung der sich verlangsamt mit dem Quadrat der Entfernung von seinem Impuls weggeschnellt allein auf den Ebenen des unabsehbar multiplizierten Selbst das was vorhanden ist Material für die Entwürfe der anderen Zusammensetzung nachkommend dem immer in der Zeit was anders zusammengesetzt im Entwurf voraufgeworfen ist Entwürfe anderer Zusammensetzung voraufzuwerfen schattenüberfüllte Spiegelgänge durch die man hindurchtritt wie durch Dampf ausdampfendes Selbst ausgeschwitztes Selbst ausgedünstetes Selbst ausgedünstete Imagination Wolkenfelder von oben gesehen Wolkentürme durch die hindurchschneiden die abendsonnenbeglänzten Wolkenfelder auf denen sich die Monstren bewegen die es nicht gibt da steht es ein flüchtiger Augenblick die Figur der anderen Zusammensetzung kein Traum keine Phantasie keine Einbildung sondern der konkrete Entwurf vorauf geworfen aus dem Material dessen was vorhanden ist
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dies ist ein Bekenntnis nein dies wäre ein Bekenntnis wenn ich bekennen könnte aber ich versuche nur den Zeigefinger auszustrecken und hinzuweisen dies ist ein Hinweis nein dies ist ein Hinzeigen bei dem ich selbst mich ganz Zeigefinger zu werden bemühe und wenn Francis Bacon gesagt hat er findet die Bildschrift von Henri Michaux besser als die von Jackson Pollack so geht es nicht um Wertmaßstäbe sondern um die Deutlichkeit in der Henri Michaux ganz und gar ohne Rest ist in seinen Bildern restlos vollkommenes Vorhandensein auf der anderen Seite
Helmut Heißenbüttel, 1974, Schreibheft, Nr. 67, September 2006
NOCH EINE ROSE: FÜR HENRI MICHAUX
aaaaaaaaaaEnsuite elle tut prise dans
aaaaaaaaaaI ’Opaque…
aaaaaaaaaaH. Michaux
„noch eine rose ist – seele eingeborenen geschlechts:
o geschlecht – wie etwas einzig einiges =
unschaubares horn aus Un-stofflichem!
o geschlecht-o-rose-wilder-schlund:
o rose – verblichne posaunend bis hinein in meinen schmerz!“ –
ich widme Ihnen die notiz:
besorgt in Ihren worten redend
von der im Undurchdringlichen
Entschwundnen
Gennadij Ajgi
Paul Celans Todesfuge interpretiert von Diamanda Galas im Teatro Albeniz, Madrid, 15.10.2008.
Sendung „Un siècle d’ écrivains“, Nr. 95, ausgestrahlt am 3. Mai 1995 in Frankreich unter der Regie von Alain Jaubert.
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