SITZE AUF DEM KLEINEN AST MEINER VERNUNFT
Sitze auf dem kleinen ast meiner vernunft
säge säge mit rostiger rauher säge
spielzeug aufgehoben aus meiner kindheit
säge säge der winter kommt
macht schnell macht schnell eifrige hände
werft mich werft mich hinab zu mir selbst
Inger Christensen weiß, in welcher Zeit sie sich befindet und was sich in ihr ernten läßt. Und dieses Wissen, von Melancholie nicht ganz frei, in dem sich Sprachanalytik und poetische Intuition zu einer Art sechstem Gegenwartssinn verbinden, macht die eigentümliche Leistung ihrer Dichtung aus… Nach Form und Symmetrie (aber auch Unergründlichkeit) des Ausdrucks liegt (mit Das Schmetterlingstal) ein Kunstwerk an der Grenze zur Vollkommenheit vor… Sie führt uns vor, daß es möglich ist, im selben Atemzug klassisch und gegenwärtig zu sein, magisch und analytisch, unerschöpflich und kontingent. Wie kann das sein, fragt man sich: ein Requiem, das zugleich ein Hymnus auf das Leben ist… Das aber ist ihre Methode: in jedem ihrer großen Zyklen beginnt sie wieder am Nullpunkt, gegen gewaltige innere und äußere Widerstände, wie jemand, der noch nie eine Zeile geschrieben hat, jemand der nach einem erkenntniskritischen Unfall das Sprechen mühsam erst wieder erlernen muß. Oder wie ein großes, skeptisches Kind, das die Sprache wie ein Spielzeug auseinandernimmt, um zu schauen, woraus sie gemacht ist…
Durs Grünbein
Die Aura des Rätselhaften, Exorbitanten und Kosmischen umgab ihre Verse, doch wer ihr begegnete, war erstaunt über ihre einfache Erscheinung: weißhaarig, pausbäckig, bebrillt. Ihre Stimme aber zog alle in ihren Bann: ein intensiv beschwörender, melodiöser Singsang, der Dinge genau benannte und ihnen dennoch ihr Geheimnis ließ.
Dorothea von Törne
Nicht den Linien der väterlichen Schnittmuster folgen die Gedichte der dänischen Schneiderstochter Inger Christensen, sondern dem Atem der Schöpfung und ihren eingehauchten Prinzipien. Schmetterlingsflügel, vermessen mit dem Zirkel der Ewigkeit, Aprikosenbäume und Brombeeren, alphabetisierend in den Paradiesgarten der wunderhungrigen Seele gepflanzt. Die wechselseitige Durchdringung von Formel und Fatum ist es, die den Zauber dieser Dichterin ausmacht, der vollends erliegt, wer ihren magischen Singsang nur einmal hörte.
MärkischerVerlag Wilhelmshorst, Klappentext, 2009
GELEIT UND JAHRESZAHLEN
Wo Inger Christensens Gedicht auf Edenkoben
im Tal am Wegrand aufgestellt, die ersten Staben
barock den Namen eines Freundes nennen –
zwei Jahre später war sie fortgegangen
ins Reich der großen Toten, ist,
wie ich da stehe, schon neun Jahre fort –
unweit in einem hohen Baum am Bach
wachen Bussarde über ihren Hort.
Uwe Kolbe
Uljana Wolf sprach im Rahmen des poesiefestival berlin 2008 mit Inger Christensen.
Jan Wagner: Weltenformeln. Vor allem über Inger Christensen. Zweiter Bamberger Poetikvortrag im Rahmen der Bamberger Poetikprofessur
Beim 1. Internationalen Literaturfestival in Berlin, am Samstag, den 16. Juni 2001, lesen im Festsaal der Sophiensäle in Berlin-Mitte die Lyriker Rita Dove (USA), Günter Kunert (Deutschland) und Inger Christensen (Dänemark), gefolgt von einer Podiumsdiskussion und Fragen aus dem Publikum (moderiert von Iso Camartin).
Jan Wagner: Lob des Spreewals
Der Tagesspiegel, 11.6.2016
Stefan Sprenger: Dass der Mensch der Stil sein möge
Sprache im technischen Zeitalter, Heft 218, Juni 2016
Richard Pietraß liest am 4.5.2018 für planetlyrik.de die 3 Gedichte „Hundewiese“, „Klausur“ und „Amok“.
Inger Christensen spricht 2008 mit Paal-Helge Haugen.
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