Karl Krolow: Auf Erden

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Karl Krolow: Auf Erden

Krolow-Auf Erden

LAND IM GERICHT

Ich bin das Land, das ohne Hoffnung ist,
Mit Gräberkreuzen neben jedem Weg
Und schief im Kräuticht, das die Ernte frißt,
Gedünst von Blut im Boden, trüb und träg.

In meinen Städten hängt die Sonne still
Wie ein Geschwür, von Fliegen dicht umflort.
Ich bin der Kehricht, drin die Ratte schrill
Vor Hunger pfeift und nur der Käfer bohrt.

Ich bin das Land, das man durch Tränen sieht.
Im Aug bleib ich als bittres Salz zurück,
Lieg unterm Netze, das der Himmel zieht,
Und fall ins tiefe Schweigen, Stück um Stück.

In meinen Wäldern lösen sich im Schrei
Die alten Geister. Und die Hölzer schwelen,
Vom Monde krank und blinder Zauberei.
Die Vögel flattern mit verbrannten Kehlen;

Und heiser wie der Wetterfahnen Ton
Fliehn ihre Stimmen an des Tages Rand
Zu Wolken auf, in denen Gifte drohn.
Verdammt bin ich und der Vampire Land.

Ich bin das Land, das im Gerichte steht,
Und allen Ländern bin ich das Gericht.
In meinen Schwären, die ich hergedreht,
Werd ich gerufen in das letzte Licht,

Ins Licht von drüben, wie es unverwandt
Einst auf mir ruht und mich nach oben zieht:
Das unter Qualen umgeworfne Land,
Das Totenland, das man durch Tränen sieht.

 

 

 

Nachwort

Weiß man, was Leben – Weiterleben als Überleben – ist? Hat man es jemals gewußt? Man wußte es nie. Es wurde einem beigebracht. Es schien keine andere Macht der Welt mehr zu geben als die Ohnmacht. Die sinnliche Aufmerksamkeit war noch einmal stark: Sie ist nie wieder so wahrgenommen worden wie in Augenblicken, in denen die Sinne zu schwinden scheinen, in denen jedenfalls unsere fünf Sinne nicht mehr gelten, denn aus Sinn wurde Abersinn, Unsinn und jene Bodenlosigkeit, die ein In-den-Boden-Versinken ist.
War es wirklich einmal so, daß man sich versichern mußte, ob man überhaupt noch auf dieser Erde und auf Erden war, mit Hand und Fuß, als geschah, was weder Hand und Fuß, Sinn und Verstand haben konnte und doch unablässig geschehen war und nicht mehr ungeschehen gemacht werden konnte? Ich versuchte, mich mit Hilfe von Gedichten zu vergewissern, daß es mich tatsächlich noch gab, wenigstens von Gedicht zu Gedicht. In gewissem Sinne lebte ich nur noch (ob mit oder ohne Recht) von Zeile zu Zeile, von Gedicht zu Gedicht. Später, viel später hieß dies: „lch versuche, / mich zu vergewissern, daß ich vorkomme.“ Da hatte ich gut schreiben. Man schrieb das Jahr 1967. Ich meine aber das grausamste Jahrzehnt des Jahrhunderts und meine die Gedichte der Jahre des fünften Jahrzehnts. Muß ich mehr sagen?

Und spüre nur noch ganz von fern,
Daß ich am Leben bin.

endete ein Gedichttext, der mit „Im Leben“ überschrieben war. In der nächsten Stunde schon konnte Leben nicht mehr zu spüren sein. Wer sah sich um? Wer wagte sich an Zeilen

Wenn erloschenen Blicks ich mich kehre
Den Stimmen zu, schmerzlich, der Welt
Der schönen Maschinengewehre.

Gar nichts war fragloser als der Schrecken, der Bruder der Panik, der Kumpan des Entsetzens, während der Mensch dem Menschen etwas antat wie nie zuvor: Untat, die sprachlos macht. „Ich bin das Land, das ohne Hoffnung ist.“ Nur dies? „Ich bin das Land, das man durch Tränen sieht.“ War es lediglich nur dies?

Ich bin das Land, das im Gerichte steht,
Und allen Ländern bin ich das Gericht.

Auf Erden schrieb man das Jahr 1947. Vielleicht trocknen Tränen, Tränen des Vaterlandes, auf das ich ein Gedicht schrieb und es leichtfertig oder bitter genug LIED nannte: „Lied, um sein Vaterland zu vergessen“. Das „Land im Gericht“ bekam (und bekommt) kein Datum, ebenso wie der Schrecken oder die Ewigkeit. Damals fiel beides zusammen, ohne Datum. Im „Gesicht vom zeitlichen Menschen“ lese ich wieder, was ich mir vormachte, kurz abzutun: „Du bist vorbei!“
In diesen Gedichten vom „Bild des Menschen, der im Tode steht“ kam auch die „Stimme aus der Landschaft“ wie erstickt:

Die Menschen ruf ich, die gestorben sind,
Die heiser schrieen, taumelnd an den Stecken
Aus morschem Holze, aufgehängt im Wind:
Die sanften Schläfer mit den Totenflecken.

− Was war übriggeblieben? Was blieb mir übrig? Auf-Erden-Sein als Illusion, Landschaft als besinnungslose Flucht, als Täuschung, als unsicherer, menschenleerer Winkel? Fassungslosigkeit ist ein großes Wort. Ich versuchte mich in Gedichten zu fassen.

Ich weiß, dies Hemd und grobe Tuch
Sind mir nur ausgeliehn,
Und was ich je am Leibe trug. −
Ich nehm es dankbar hin.

Die Tulpe, die im Garten weht
Und prahlt mit rotem Fleisch
Ist mir geschenkt. – …

Was war nicht geschenkt und wurde nicht als Geschenk empfunden? Das Pappellaub – auch nicht datierbar war (mit einem unmerklichen Schauder) windleicht. „Wunderliches Leben, das ich sage“: so war es wohl auf Erden und „am Verstehn vorbei“. Am Ende unglaubwürdig? Ich erlebte, wie die Jahreszeiten stillzustehen schienen, Trugbilder geworden waren: „Hand vorm Gesicht! Sie hält / Kurz nur das Sterben ab.“ Im fünften Jahrzehnt des Jahrhunderts hieß das: „Du Vaterland der herrenlosen Hunde, / Die deinen Namen wie den Mond verbellen“ oder auch: „Gobi der Angst und der Einsamkeit, reichst quer durch München und Mainz“. Nichts war unglaubwürdiger als das Rauschen von Pappellaub. Aus diesem Grunde mußte man sagen, daß es überlebt hatte und weiter lebte wie man selbst. Hoch illusionär war das Weiterleben, so gesehen und gehört und nicht nur momentan erleichtert und erleichternd. Das „Knacken des Abzugshahns“ war MEHR als eine Metapher. Niemand konnte seither mit dem Schrecken davonkommen. Dies gilt bis heute.

Karl Krolow, Nachwort

 

Inhalt

Karl Krolows fünfundsiebzigsten Geburtstag im Jahr 1990 zu ehren erscheint der Band mit frühen Gedichten; er dokumentiert die Anfänge Karl Krolows lyrischer Existenz. Karl Krolow war achtundzwanzig Jahre alt, als 1943 der vergriffene Band Hochgelobtes, gutes Leben erschien. 1948 folgten die Bände Gedichte und Heimsuchung; und 1949 erschien eine Auswahl mit einigen bekannten und neuen Gedichten unter dem Titel Auf Erden. Der Band Auf Erden. Frühe Gedichte faßt diese ersten vier Gedichtbücher zusammen. Die Wiederholung einiger Gedichte (und einige Gedichte sind in den ersten Band der Gesammelten Gedichte eingegangen) wird nicht gescheut; es war der Wunsch, die damalige Zusammenstellung unverändert beizubehalten.

Suhrkamp Verlag, Ankündigung

 

Krolow hat mal gesagt

„Glücklichsein beginnt immer ein wenig über der Erde. Aber niemand hat es beobachten können.“ Dieses und anderes aus seiner Feder haben mich zur Lektüre seiner frühen Gedichte veranlasst. Zugegebenermaßen war ich beeindruckt von seinen Kenntnissen, Fauna und Flora betreffend. Krolows Naturgedichte sind so vielfältig in ihrer Wortwahl, wie die Natur artenreich ist. Trotzdem fiel mir die Lektüre seiner Gedichte aus den enthaltenen Bänden Gedichte, Heimsuchung sowie Auf Erden schwer. Mit einem surrealen Touch versehen berichten sie von den Kriegs- und Nachkriegsjahren in Deutschland. Vermutlich steckt einfach zu viel Realität in all den Zeilen, ein wichtiger Beitrag zum Trostspenden und dem Verarbeiten dieses dunklen Kapitels, aber der falsche Zeitpunkt für mich. Daher vergebe ich nur drei Sterne, ohne die feine Lyrik von Karl Krolow, den ich schätze, schmälern zu wollen.

The iron butterfly, lovelybooks.de, 2011

Weitere Beiträge zu diesem Buch:

Wilhelm Grasshoff: Der Lyriker Karl Krolow
Der Mittag, 11.8.1951

Michael Zeller: Anfang
Die Zeit, 8.12.1989

Walter Hinck: Überleben im Gedicht
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.12.1989

Walter Helmut Fritz: Lyrische Traumfahrten
Nürnberger Nachrichten, 18.1.1990

 

Zum 65. Geburtstag des Autors:

Peter Jokostra: Wenn die Schwermut Fortschritte macht. Zum 65. Geburtstag
Die Welt, 11. 3. 1980

Walter Helmut Fritz: Großer Weg zur Einfachheit. Zum 65. Geburtstag
Stuttgarter Zeitung, 11. 3. 1980

Zum 75. Geburtstag des Autors:

Joachim Kaiser: Einzigartiger lyrischer Zeitzeuge
Süddeutsche Zeitung, 10./11.3.1990

Zum 80. Geburtstag des Autors:

Kurt Drawert: Das achte Leben der Katze
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.3.1995

Curt Hohoff: Schlechtes vom Menschen, nichts Neues also
Die Welt, 11.3.1995

Zum 100. Geburtstag des Autors:

Oliver Bentz: Lyrik, luft- und lichtdurchlässig
Wiener Zeitung, 8.3.2015

Fritz Deppert: Karl Krolow: Der Wortmusiker von der Rosenhöhe
Echo, 9.3.2015

Christian Lindner: Gedichte aus der frühen Bundesrepublik
Deutschlandfunk, 11.3.2015

Alexandru Bulucz: Immortellen, Nebel“
faustkultur.de, 11.3.2015

Peter Mohr: Allianz von Wort und Wahrheit
titel-kulturmagazin.net, 11.3.2015

 

Fakten und Vermutungen zum Autor + KLG + ÖM + IMDb
Georg-Büchner-Preis
Porträtgalerie: Autorenarchiv Isolde Ohlbaum +
Brigitte Friedrich Autorenfotos
Nachrufe auf Karl Krolow: Der Freitag ✝ Der Spiegel ✝ Die Welt ✝
Der Tagesspiegel

Michael Braun: Die Defäkation Dasein
Frankfurter Rundschau, 23.6.1999

Harald Hartung: Algebra der reifen Früchte
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.6.1999

Charitas Jenny-Ebeling: Dichter der Abschiede
Neue Zürcher Zeitung, 23.6.1999

Kurt Oesterle: Aufzuschreiben, daß ich lebe
Süddeutsche Zeitung, 23.6.1999

 

 

Bild von Juliane Duda mit den Texten von Fritz Schönborn aus seiner Deutschen Dichterflora. Hier „Krolowandel“.

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