Konstantin Balmont: Unterwasserpflanzen

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Konstantin Balmont: Unterwasserpflanzen

Balmont/Kammerer-Unterwasserpflanzen

DORT, BEI DEN PFLANZEN

Dort, bei den Pflanzen ist’s gut.
Tief ist der Meeresgrund, still;
Schwach und voll Schatten das Licht.
Wogen erreichen uns nicht.

Reglos der Pflanzen Gewirr.
Tiefgrün und sorglos ihr Blick.
Leidenschaftslos, ohne Laut,
Wachsen und blühen sie auf.

Wortlos und tief ist der Grund.
Meeresgras bleibt immer stumm.
Liebe und irdisches Wort,
Findest du nirgendwo dort.

Schimmernde Steine und Sand.
Fische, gespensterhaft. – Weit
Von uns Leidenschaft, Leid.
Gut, dass im Meer ich versank!

 

 

Dienst am Licht

− Zur Lyrik des russischen Symbolisten Konstantin Balmont. −

Als Konstantin Dmitrijewitsch Balmont 1894 seinen Lyrikband Unter nördlichem Himmel veröffentlichte, hatte er wohl kaum gedacht, dass er als Begründer einer neuen Epoche, des sogenannten „Silbernen Zeitalters“ der russischen Lyrik, in die Geschichte eingehen würde. Gewiss war er aber davon überzeugt, als er in einem berühmten Gedicht aus dem Band Lass uns sein wie die Sonne (1903) kühn behauptete: „Alle Dichter vor mir sind nur blasse Verkünder“. Was aber dieses Neue in Balmonts poetischer Sprache ist, hat man oft zu enträtseln versucht, ohne ganz hinter das Geheimnis zu kommen. Es ist nicht nur die ungemeine Klangfülle seiner Sprache, nicht nur eine Art Exzess in Umgang mit den damals bekannten Mitteln der russischen Verskunst, die er auf ungewohnte, ja revolutionäre Art und Weise bis zum Nicht-mehr-Möglichen ausschöpft. Es sind auch nicht die gewagten, häufig exotisch anmutenden Bilder, die Synästhesien, wie z.B. das oft zitierte „Aroma der Sonne“, welches Tolstoj, der jeder Art von Modernismus feindlich gesinnt war, in einen Lachanfall ausbrechen liess. Es ist eher das Getragene, Erhabene, melancholische Anrührende, wie es uns aus vielen seiner Gedichte, so etwa in „Lautlosigkeit“ im Band Nur die Liebe, vertraut ist:

Die russische Landschaft hüllt zärtlicher Schlummer
Und wortloser Schmerz und verborgenes Leiden –
Und grenzenlos-ausweglos-lautloser Kummer,
Aufschimmernde Höhen, entschwindende Weiten.

Mehrfach wurde betont, Balmont schreibe gar nicht Russisch, sondern eine eigene, nur ihm bekannte Sprache. Ilja Ehrenburg, der spätere sowjetische Romancier, meinte dazu spöttisch:

Sprechen Sie mit ihm auf Russisch, mit grossen Augen sieht er Sie an, und seine zerstreute, abwesende Seele wird Ihnen nicht antworten. Balmont versteht nur eine Sprache, das Balmontische.

Ähnlich behauptete der Kritiker Dmitrij Mirskij, seine Gedichte hätten einen „ausländischen Akzent“, sie „klingen auch in ihren besten Beispielen wie eine Übersetzung“. Mit anderen Worten: Etwas Neues, Fremdes, Ungewohntes haben damals alle gespürt – und fast alle sind ihm verfallen; und deshalb hat man seinen Urheber später belächelt, ja gehasst; Ehrenburg: „Balmont hasst man, weil man ihn vergöttert hat“. Und das ist nicht übertrieben. Praktisch aus dem Nichts kommend, wird der 1867 im Gouvernement Wladimir geborene Balmont zu Beginn des neuen Jahrhunderts zum unbestrittenen russischen Dichterfürsten. Die Jugend liegt ihm buchstäblich zu Füssen, wie aus vielen Quellen hervorgeht. So schreibt der heute vergessene Dichter Alexander Bisk in seinen Erinnerungen:

Unsere Generation kann es sich nicht vorstellen, was Balmont für die damalige Jugend bedeutete. Blok war noch ein Neuling (…). Brjussow war noch nicht der anerkannte Meister, alle anderen Dichter – Andrej Belyj, Sologub, Hippius, Wjatscheslaw Iwanow – galten als zweitrangig. Uneingeschränkter Zar war Balmont. (Wörtlicher: Ungeteilt herrschte Balmont.)

Das Wort „bezrazdel’no“ (ungeteilt, ungetrennt, ganz) ist auch in einem anderen Zusammenhang symptomatisch für Balmont, wie z.B. aus einem Gedicht ersichtlich wird, in dem Balmont selber versucht, sich von den anderen Dichtern abzugrenzen. Wie der ihm recht kritisch gegenüberstehende Andrej Belyj später berichtet, ist dieses Gedicht nach einem Disput mit Dmitrij Mereschkowskij, dem bekannten Schriftsteller und Kulturphilosophen, entstanden und war ursprünglich ihm gewidmet:

Was brauch ich Christus, Antichristus,
Gott, Teufel – so wie ihr sie braucht?
Ich bin der Windhauch, wenn er flüstert,
Ich bin der zarte Morgentau.

Also: Negation jeder Ideologie, jedes schematischen Denkens. Nur das Ursprüngliche, das in der Natur Sicht- oder Fühlbare lässt Balmont gelten:

Ihr seid so grausam in Gedanken
Und in den Worten so voll Wut.
Ich bin ganz ich, ich ohne Wanken,
Ganz ich in Leidenschaft und Glut.

Ihr teilt und trennt und fliesst zusammen.
Doch findet ihr des Lebens Sinn? –
Nein, niemals werdet ihr erahnen,
Wie einzig, ungeteilt ich bin.

Diese – wie man heute sagen würde – Ganzheitlichkeit, oder überspitzt formuliert, dieser elementare, anarchische, uneingeschränkt egozentrische Individualismus ist das eigentliche Markenzeichen von Balmont, der sicher als einer der unphilosophischsten Dichter der russischen Literatur angesehen werden muss. Er war ein „Genie der Improvisation“ (Belyj). Aus ihm hat es einfach „gesungen“; in einem spaÅNten Gedicht schreibt er: „Wie ist mir nur geschehn? Ich singe, singe.“ Aber naiv war er nicht. Er kannte die Gesetze und die Gesetzmässigkeiten der Kunst nur zu gut. So hatte er, bevor er als Lyriker bekannt wurde, schon eine Reihe westeuropäischer und skandinavischer Dichter übersetzt, u.a. Heine, Lenau, de Musset, Shelley, Ibsen, Bjørnson, sowie kritische Werke zur nordischen und italienischen Literatur. Seine Kunstauffassung findet sich im Gedicht „Der Weg der Wahrheit“ wohl am besten ausgedrückt. Für ihn sind die fünf Sinne (und ich möchte hinzufügen: der Intellekt) ein „Weg der Lüge“. Es gibt einen sechsten Sinn, die Ekstase:

Die Sinne lügen. Einzig in Ekstase
Wird uns die Wahrheit sichtbar. Dann entbrennt
Geheimnisvoll fürs Aug in Ornamenten
Die unergründliche, nächtliche Tiefe.

Wobei „Ornamente“ oder „Muster“ (russisch: uzory) für Balmont eine Metapher für die Kunst und ihre Möglichkeiten sind.
Semantisch wichtig in dieser Strophe auch das Wort „entbrennen“ und in den nachfolgenden: „Lichtstrahl“, „Feuer“, „blenden“. Etliche Titel seiner zweiundzwanzig Gedichtbände sind feuer- oder lichtbezogen: „Brennende Gebäude“, „Seien wir wie die Sonne“, „Meeresleuchten“ „Schimmerndes Morgenrot“, „Auf dem Pfad des Feuers“, „Sonnengespinst“, „Nördliches Leuchten“, „Dienst am Licht“.
Auch in diesem Zusammenhang betonen Balmont-Kenner den ganzheitlichen Charakter seines Werks, Wadim Krejd spricht gar von einer ureigenen „einzigen Kraft des künstlerischen Talents“. Oft wurde auf die „Sonnennatur“ von Balmonts Dichtung hingewiesen, wobei aber eingeschränkt werden muss, dass viele seiner frühen Gedichte (vor allem aus den Bänden In der Uferlosigkeit, 1896, und Stille, 1898) doch eher auf das Mondlicht fixiert sind.
Also: Ein Leben im Dienst am Licht (Svetosluženie), wie sein letzter, 1937 im chinesischen Charbin erschienener Gedichtband heisst: Vom „Mondschein“ eines der frühesten Gedichte über das Aufflammen in „Brennende Gebäude“ oder „Lass uns sein wie die Sonne“ bis zur kaum weniger wertvollen Lyrik der Spätzeit gibt es für Balmont einen einzigen Weg, den „Pfad des Feuers“. Er ist sich immer treu geblieben. Er ist nie einem Zeitgeschmack gefolgt und hat auch, als er längst aus der Mode gekommen war, fortgefahren, sogenannte dekadente Gedichte zu schreiben, wobei das Attribut „dekadent“, mit dem der frühe russische Symbolismus auch bezeichnet wird, an sich wenig bedeutet, oder wie Balmont 1904 schreibt:

Die symbolistische Dichtung ist unzertrennlich mit den anderen Varianten der zeitgenössischen Literatur verbunden, bekannt unter dem Namen Dekadenz und Impressionismus. Ich fühle mich ausserstande, diese Nuancen streng abzugrenzen, und denke, dass dies in Wirklichkeit unmöglich ist und dass streng genommen Symbolismus, Impressionismus und Dekadenz nichts anderes als psychologische Lyrik sind, die sich in ihren Bestandteilen verändert, aber in ihrem Wesen immer gleich bleibt.

Es gibt natürlich auch den dunklen, dämonischen Balmont, der vielleicht am ehesten das Attribut „dekadent“ verdient. Aber auch in diesen Gedichten (einige davon durch die niedergeschlagene Revolution von 1905 inspiriert und in Böse Zauber und Gesänge des Rächers vereinigt), findet sich wie im frühen Sonett „Unterwasserpflanzen“ eine Sehnsucht nach „Liebe“, nach „Lichterfülle“, jener Fülle also, aus der Balmont geschöpft hat, dies auch, nachdem er 1920 als entschiedener Gegner des Bolschewimus endgültig nach Frankreich emigriert war, wo er 1942 während der deutschen Besetzung in einem Flüchtlingsheim bei Paris starb. Schon 1917 war er sich aber dessen bewusst, dass es wohl bald für immer Abschied von der Heimat („Rossía“, im Russischen weiblich) zu nehmen gilt:

Wer wünscht da noch Opfer? Ich will sie tragen!
Wer wünscht da noch Blut? O nehmt es von mir!
Doch, bitte, erweist mir, auch kurz nur, die Gnade,
Bei ihr zu verweilen. In ihr – und mit ihr!

Balmont ist ein eminent russischer Dichter, auch wenn er zwischen 1895 und 1913 viele Jahre, ja fast ein ganzes Jahrzehnt, mehr oder weniger freiwillig im Ausland verbracht hat (seit seiner frühesten Jugend hatte er Probleme mit Schul-, Polizei- und Zensurbehörden). Balmont, der dem Adel entstammte und mit seinen vielen Veröffentlichungen auch auf regelmässige Einkünfte zählen konnte, hat praktisch die ganze Welt bereist, er hat unzählige Werke aus rund dreissig Sprachen übersetzt, die er meist vorzüglich beherrschte. Selbst in vorgerücktem Alter war er noch unermüdlich übersetzerisch tätig und hat u.a. das 6212 Verse umfassende georgische Nationalepos Der Ritter mit dem Pantherfell von Schota Rustaveli vollständig nachgedichtet.
Auch im Exil in Paris und Cap Breton, wo er zurückgezogen und in ärmlichen Verhältnissen lebte, war er noch ungemein produktiv, was sich natürlich eher ungünstig auf die Qualität seiner Werke auswirkte, die zeitlebens schwankte. Vieles ist wohl zu schnell geschrieben worden, mit einer gewissen (eleganten) Nachlässigkeit und Nonchalance, die sich vor allem auf der Bild- und Gedankenebene ausdrückt. In praktisch all seinen Gedichtbänden findet sich Hervorragendes neben Misslungenem, Konventionellem. Vor keinem Thema scheute Balmont zurück, auch Themen, die ihm offensichtlich nicht lagen. So spricht z.B. Valerij Brjussow, der den Dichter sehr schätzte und seine Lyrik eingehend analysierte, 1907 im Zusammenhang mit seinen politischen Gedichten von einem „Dreikopeken-Balmont“. Auch als Essayist ist Balmont vielfach (und nicht immer überzeugend) hervorgetreten. So versucht er in Poesie als Zauberei (1915) u.a. eine äusserst originelle Semantik der russischen Laute; in Wo ist mein Haus? (1922) vereinigt er hingegen kostbare Studien mir recht unfertigen Skizzen.
Sein literarischer Nachlass ist unermesslich und bis heute nur unvollständig gesammelt. Bei weitem unvollständig muss auch jede Lyrik-Auswahl bleiben, sind doch bis zu Balmonts Tod weit über viertausend seiner Gedichte gedruckt worden. Mit den zweiundzwanzig hier vorliegenden Beispielen – übrigens der erste, allein Balmont gewidmete Auswahlband im deutschsprachigen Raum – kann nur ein minimalistisches Bild dieses grossen, vielseitigen Dichters gegeben werden. Balmont war epochemachend. Es war ihm gegeben, die Strömungen seiner Zeit intuitiv zu erkennen und dadurch mitzugestalten. Ohne sein bahnbrechendes Werk wären der russische Symbolismus und die Erneuerung der russischen Lyrik in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts nicht denkbar. Viele seiner einstigen (und heutzutage bekannteren) Dichterkollegen wussten das: so vor allem Aleksandr Blok, so Wjatscheslaw Iwanow, so Nikolaj Gumiljow, der sich für ihn begeisterte, als sein Stern schon lange im Sinken war, so Wladimir Chodassewitsch. Vor allem aber auch die ihm in einer gewissen Exaltiertheit und Masslosigkeit geistesverwandte Marina Zwetajewa. Sie hat ihn in den schwierigen Jahren der Russischen Revolution und des Bürgerkriegs, als er auch tagsüber frierend im Bett lag, regelmässig besucht, wobei sie das Aussergewöhnliche seiner Persönlichkeit, das nicht nur aus seinen Gedichten spricht, wohl am eindringlichsten gespürt hat: „Keine einzige Minute habe ich mich im Beisein Balmonts nicht in einer erhabenen Stimmung gefühlt (…). In Balmonts Beisein fühlst du dich immer wie im Beisein des Höchsten.“
Höchstes hat Balmont in vielen seiner Gedichte geleistet. Das Genialische, ja Titanische seiner Kunst ist unübersehbar, unüberhörbar. Ich hoffe, dies geschehe auch während der Lektüre meiner Übersetzungen, die natürlich nur einen Abglanz des russischen oder genauer: balmontischen Originals wiedergeben können.

Christoph Ferber, Vorwort

 

Konstantin Bal’mont (1867–1942),

zwischen 1894 und 1905 ein Kultautor des russischen Symbolismus, wurde vergöttert, gehasst und nachgeahmt. Mit dem „magischen Klangzauber“, den musikalischen Effekten seiner Verse, dem Spiel der Alliterationen, Rhythmen und Reime machte er Schule. Er selbst erklärte stolz, erst er habe die „biegsame, schmiegsame Schöne“, die russische Sprache in ihrem Wohlklang, entdeckt, andere Dichter seien nur „Vorläufer“ gewesen. Sogar seine Kritiker bewunderten die gewagten Synästhesien, die Klangfülle und berauschende Musikalität seiner Verse. Viele wurden vertont, von Rachmaninov, Skrjabin, Prokof’ev und Stravinskij. 1903 kam in Moskau der Lyrikband Lass uns wie die Sonne sein heraus, gewidmet dem „Zauberer“ Valerij Brjusov, dem „spröden“ Jurgis Baltrušajtis und Mirra Lochvickaja, der „russischen Sappho“. Bal’mont sah in ihnen Vertreter der neuen „psychologischen Lyrik“, die sich in einer freimütigen Denkweise und impressionistisch-symbolistischen Schreibweise manifestierte. Bal’mont wollte nicht nur ein „Beobachter“ des Lebens sein, sondern als „Denker“ in die „Mysterien des Seins“ eindringen. Er besaß eine innige Beziehung zu den Elementen Feuer, Wasser, Luft und Erde. Mit dem Feuer (der Sonne, der Flamme, dem Licht) verband er seinen Traum von Schönheit und Harmonie, mit dem Wasser den Traum von einer Natur voller Rätsel und magischer Kräfte:

Ich kam in diese Welt zu schaun die Sonne,
aaaaaDen blauen Horizont,
Ich kam in diese Welt zu schaun die Sonne,
aaaaaDer Berge Front.

Ich kam in diese Welt zu schaun die Meere,
aaaaaDie Hügel, hell und klar.
Mit einem Blick umfass ich alle Meere,
aaaaaIch bin – ein Zar.

Besiegt hab ich die Kälte, das Vergessen,
aaaaaSchuf einen Traum.
Wer kann mit mir, dem Dichter, sich noch messen?
aaaaaEin Mensch wohl kaum…

Bal’mont hielt sich aus politischen Gründen viel im Ausland auf und unternahm ausgedehnte Reisen, deren Spuren auch in seinen Gedichten zu finden sind. Unermüdlich wirkte er als Übersetzer (Shelley, Poe, Wilde, Baudelaire, Ibsen, Lenau, Hauptmann u.a.). Er emigrierte 1920 und starb in Noisy-le-Grand bei Paris. In deutscher Übersetzung waren seine Gedichte bisher wenig zu finden. Zwei Dutzend Titel übertrug Wolfgang E. Groeger für den Band Gedichte, der 1921 im Berliner Verlag Die Skythen erschien. Groeger wählte vor allem Liebesgedichte aus, wie „Ich will, Die Nixe“ oder „Der Liebesspiele Spielenden“. Christoph Ferber, ein ausgewiesener Lyrikübersetzer, steuerte 1989 einige Sonette Bal’monts zu einer Festschrift für den Schweizer Slawisten Peter Brang bei. Jetzt hat er für die Schwarze Reihe der Edition Raute 22 Gedichte ausgewählt, die zwischen 1892 und 1927 entstanden. Das Hauptmotiv des Titelsonetts Unterwasserpflanzen (1894) ist das Wasser, das Meer mit seiner Tiefe, Dunkelheit, Kälte, Einsamkeit und Stille. Die Pflanzen sehnen sich nach Liebe und Lichterfülle, träumen von Blütenduft am Strand, sind für den Dichter ein Symbol, das er dem Dunklen, Dämonischen entgegensetzt. Neben „Ich kam in diese Welt zu schaun die Sonne“, dem programmatischen Einführungsgedicht zum Band „Lass uns wie die Sonne sein“, ist Ferber die Übertragung des Sonetts Der Weg der Wahrheit“ („Die Sinne lügen. Einzig in Ekstase / Wird uns die Wahrheit sichtbar …“) und des Gedichts Worte sind Chamäleons“ (Worte „ändern sich, betrügen, / Sind schön auch im Verrat. / Und wie im Märchen lügen / Für uns sie ungestraft.“) in Form und Inhalt besonders gut gelungen. Im Vorwort wertet er Bal’monts Schaffen als „Dienst am Licht“. Im Nachwort würdigt Holger Wendland die „antonpaulischen“ Zeichnungen von Anton Paul Kammerer zu den „balmontischen“ Texten.

Karlheinz Kasper, aus: Karlheinz Kaper: „Manuskripte brennen nicht“. Russische Literatur in Erst- und Neuübersetzungen 2012, Osteuropa, Heft 1, 2013

Im Zeichen des Lichts

− Zwei russische symbolistische Dichter. –

Wer kennt sie heutzutage, die Dichter Wjatscheslaw Iwanow (1866–1949) und Konstantin Balmont (1867–1942), zwei wichtige Exponenten des Symbolismus, des sogenannten silbernen Zeitalters der russischen Literatur? Ihre Lyrik war auf Deutsch bisher nur in Anthologien vertreten, doch seit kurzem liegen zwei schmale, schön gestaltete Einzelausgaben vor; Auswahl und Übertragung besorgte mit sensiblem Geschick Christoph Ferber.
(…)
Während Wjatscheslaw Iwanow in seiner Poesie den Gedanken über die Lautlichkeit der Sprache stellt, ist es bei Konstantin Balmont genau umgekehrt. Balmont ist der liedhafteste Dichter des russischen Symbolismus, der magische Klangzauberer, der auch eine Marina Zwetajewa mit seiner Wortmusik zu betören vermochte. Thematisch ein Improvisator, lässt sich Balmont ganz vom Ohr leiten, folgt den Rhythmen und Melodien der Sprache, der er eine ungeheure Klangfülle entlockt. Mit seinen zwischen 1894 und 1905 entstandenen Lyrikbänden wird er zum „Dichterzar“, dem die Jugend an den Lippen hängt. 1905 setzt er sich – einmalig in seiner literarischen Laufbahn – für die Arbeiterrevolution ein, flieht jedoch, um politischer Verfolgung zu entgehen, nach Paris.
Die folgenden Jahre verbringt er meist in der französischen Hauptstadt, 1912 tritt er eine Weltreise an, die ihn bis nach Indien, Australien und Neuseeland führt. Von 1913 bis 1920 lebt Balmont wieder in Russland, dann emigriert er definitiv nach Frankreich, wo er 1942, während der deutschen Besatzung, in einem Flüchtlingsheim bei Paris stirbt. Sein letzter Gedichtband erscheint 1937 im chinesischen Harbin, viele seiner Übersetzungen – von Shelley, Poe, Baudelaire, Ibsen und Hauptmann – haben ebenfalls zu seiner Bekanntheit beigetragen.
Konstantin Balmonts Motive kreisen um Feuer und Ekstase, um eine Ganzheitlichkeit, die auf einem „elementaren, anarchischen, uneingeschränkt egozentrischen Individualismus“ (Ch. Ferber) basiert. Die Sonne als Zentralmetapher feiert mannigfaltige Metamorphosen; dass sie ein „Aroma“ hat, gehört zu Balmonts synästhetischer Wahrnehmungskunst. (Lew Tolstoi fand dies zum Lachen komisch.) Bilder und Metaphern stehen bei Balmont aber immer im Dienste der „rieselnden russischen Sprache“, dieser „biegsamen, schmiegsamen Schönen“ und ihrer „Wohlklang verbreitenden, gleitenden Töne“. Jede Übertragung stösst da naturgemäss an Grenzen und enthüllt gerade dadurch Balmonts eigene Grenzen: Denn jenseits der Klangfülle erweist sich seine Dichtung, die auch Zeitumstände weitgehend ausblendet, als wenig substanziell. Wie Form und Inhalt zu grossartiger Synergie finden können, bewies der jüngere Symbolist Alexander Blok.

Ilma Rakusa, Neue Zürcher Zeitung,20.4.2013

 

Fakten und Vermutungen zum Übersetzer
Fakten und Vermutungen zum Autor

 

Konstantin Balmont – Russischer Poet des 20. Jahrhunderts.

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