Eduard Mörikes Gedicht „Septembermorgen“

EDUARD MÖRIKE

Septembermorgen

Im Nebel ruhet noch die Welt,
Noch träumen Wald und Wiesen:
Bald siehst du, wenn der Schleier fällt,
Den blauen Himmel unverstellt,
Herbstkräftig die gedämpfte Welt
In warmem Golde fließen. 

1827 

 

Konnotation

Es ist die berühmteste romantische Miniatur eines Herbstmorgens. Der schwäbische Pfarrvikar und Dichter Eduard Mörike (1804–1875) hat hier einen Moment des Übergangs festgehalten: Die im Nebel verborgenen Naturphänomene sind noch nicht ins Licht der Sichtbarkeit getreten. Die Welt schwebt noch zwischen der Sphäre des Traums und des Erwachens, die Konturen der Dinge sind noch nicht sichtbar, beginnen erst allmählich „in warmem Golde“ zu leuchten.
Auch Mörike selbst befindet sich 1827, zum Zeitpunkt der Niederschrift des Gedichts in einem Stadium des Übergangs ins Offene: Seit einem Jahr hat er sein Studium abgeschlossen und ist als Vikar durch die verschiedensten Provinzflecken Baden-Württembergs gezogen. Und er sucht nach Wegen, sich aus der „Vikariatsknechtschaft“ zu lösen. Aber sein Versuch, sich als freier Schriftsteller zu etablieren, scheitert. In diesen Monaten der Krise entsteht der „Septembermorgen“ ein vollkommenes Gedicht in schwebender Bewegung.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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