Marcel Beyer: Zu Johannes R. Bechers Gedicht „Vorbereitung“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Johannes R. Bechers Gedicht „Vorbereitung“ in Kurt Pinthus (Hrsg.): Menschheitsdämmerung. –

 

 

 

 

JOHANNES R. BECHER

Vorbereitung

Der Dichter meidet strahlende Akkorde.
Er stößt durch Tuben, peitscht die Trommel schrill.
Er reißt das Volk auf mit gehackten Sätzen.

Ich lerne. Ich bereite vor. Ich übe mich.
Wie arbeite ich – hah leidenschaftlichst! –
Gegen mein noch unplastisches Gesicht –:
Falten spanne ich. Die Neue Welt
(– eine solche: die alte, die mystische, die Welt der Qual austilgend –)
Zeichne ich, möglichst korrekt, darin ein.
Eine besonnte, eine äußerst gegliederte, eine geschliffene Landschaft schwebt mir vor,
Eine Insel glückseliger Menschheit.
Dazu bedarf es viel. (Das weiß er auch längst sehr wohl.) 

O Trinität des Werks: Erlebnis Formulierung Tat.
Ich lerne. Bereite vor. Ich übe mich.

… bald werden sich die Sturzwellen meiner Sätze zu einer unerhörten Figur verfügen.
Reden. Manifeste. Parlament. Das sprühende politische Schauspiel. Der Experimentalroman.
Gesänge von Tribünen herab vorzutragen.

Menschheit! Freiheit! Liebe!

Der neue, der Heilige Staat
Sei gepredigt, dem Blut der Völker, Blut von ihrem Blut, eingeimpft.
Restlos sei er gestaltet.
Paradies setzt ein.
– Laßt uns die Schlagwetter-Atmosphäre verbreiten! –
Lernt! Vorbereitet! Übt euch! 

 

Zierdolch und Schlagring 

I
Vor Johannes R. Becher habe ich mich immer gefürchtet. Ein Chorknabe mit Schillerkragen, der hinter seinem Rücken einen Dolch verbirgt. Einen Zierdolch natürlich, nach allen Regeln des edlen Kunsthandwerks geschmiedet und von mir aus auch geflammt, poliert, gedengelt, geprägt, galvanisiert und zieseliert. Deutsche Geschichte, in einen historischen Nebel getaucht, wie sie sich die psychisch nicht ganz stabilen Nebelmaschinisten des 19. Jahrhunderts erfunden haben. Ein Dolch, den man sich in der Eingangshalle an die Wand hängt, um Besuchern zu imponieren. Dann wäre Johannes R. Becher, als Rückenansicht, eben diese Wand.
In meiner Kindheit waren solche Zierdolche, seriell gefertigt, die Klinge blinkend und der Griff dank industrieller Verfahren mit einer ehrwürdigen Patina versehen, Kirmesware. Der Hauptgewinn am Schießstand und ein Schnäppchen nur für Sportschützen oder Bundeswehrmitglieder. Die angetrunkene Dorfjugend – Bauernsöhne mit der Aussicht auf das Erbe von Bauerwartungsland – schoß sie unter hohem finanziellen Einsatz. Abwechselnd liefen „Yes Sir, I Can Boogie“ und „Born to be Alive“. Mag sein, am Sonntagmittag überreichte solch ein Bauernsohn, die Fahne hoch, die Kümmerling-, die Apfelkornfahne, versteht sich, den selbstgeschossenen Zierdolch seiner Großmutter, die an Feiertagen, sei es stocknüchtern, sei es im Likördelirium, von Lützow und Ulanen und Trompeten schwadronierte, von Jagd und Schlacht und Reich. Daß diese Großmutter ebenfalls Johannes R. Becher hieß, habe ich erst spät begriffen.
Kleindeutscher Muff in hohem Ton. „Runkelrübenprosa“ nannte Detlev von Liliencron das 1903, als Hans Robert Becher noch ein Kirmesknabe war. „Ich ahne nicht, wer diesen Vers gemacht“, schrieb Liliencron: „Aber ich habe sehr gelacht“ – von Bechers „Vorbereitung“ kann ich das nicht sagen. 

II
Ein Mann schreibt hin: „finsterste“, dann schreibt er: „fürchterlichste“, und endlich schreibt er: „unerschöpflichste“. Die Superlative in jenen Gedichten von Johannes R. Becher, die Eingang in die Menschheitsdämmerung gefunden haben, zeugen davon, daß hier jemand schlichtweg kein Gespür für Sprache hat.
Ein Mann von zugleich „magerster“, „maßlosester“ und „reinster“ Sprachbeflissenheit. Er weiß von „innersten“, „mildesten“, „schlimmsten“, so wie er mit seinem Zierdolch auch „herrlichst“, „leidenschaftlichst“ und „vergeblichst“ ins Papier kratzt. Fehlte nur noch, daß er statt „atheistische“ an einer Stelle „atheistischste“ hinschriebe. Ein Mann schreibt hin. Plastikrubine, die blutigste Lichtstrahlen erglitzern lassen, wenn man unter der Bettdecke die Taschenlampe draufhält. Der Hallraum des Johannes R. Becher ist klein.
Jeder Vers eine Parodie. Ein Mann, der allen Ernstes „Wir können immer wachen!“ auf „eines Walfisch Rachen“ auf „der Delphine Nachen“ auf „melodische Apachen“ reimt. Hier gibt es nichts zu lachen. Johannes R. Becher könnte auch „Jux“ auf „Sioux“ reimen. Unter Tausenden Becher-Reimen kein einziger, der Sprache zum Klingen bringt. Unter Tausenden Becher-Neologismen kein einziger, der aufhorchen läßt. Er hat einfach kein Ohr. Unablässigste Selbstaufbrausung macht ihn taub.
Atmen hat er nie gelernt. Hier wird immer gebrüllt. Denn das Brüllen ist ihm ein „unwiderstehlichstes“. Eine Anthologie mit dem Titel Menschheitsdämmung hätte ihm vielleicht gut getan. Noch in dem Moment, in dem er eine Tote, Rosa Luxemburg, beweinen will, brüllt er: „mütterlichste“.
Habe ich „Zierdolch“ gesagt? Wenn Johannes R. Becher etwas hinschreibt, liegt am Schreibtischrand stets der Schlagring bereit, ganz gleich, ob er sich als Freikorps oder als Herrenchor, als Boxenluder oder als Riesenbaby, als Funktionär im Unterrock oder als Tante Agathe inszeniert. Ein Börries von Münchhausen, der davon träumt, einer Agnes Miegel mal so richtig die Fresse zu polieren. 

III
Seltsame, furchteinflößende Figur. In seinem Frühwerk inszeniert sich der Münchner Bürgersohn Johannes R. Becher als russischer Hooligan nach dem Vorbild Jessenins, der sich selbst zu zerreißen droht, nach seinem Aufenthalt in der Sowjetunion dann will er von der Selbstinszenierung als biederer deutscher Klassizist nicht mehr lassen, der munter Meterware liefert, Heimatstroh.
Ein Mann, der sich zu Tode davor fürchtet, ihm könnte beim täglichen Odendichten einmal das Wort „Kacke“ unterlaufen, ohne daß er es merkt.
Zeitlebens bleibt er der Soldat, der er nie gewesen ist.
Vielleicht käme man Johannes R. Becher bei, wenn man sein Spiegeläffchen unter den hobbydichtenden Funktionären mit ins Bild nähme, den Verfasser von „Marmelade“, Hanns Jobst, der in den fünfziger Jahren, als Becher das Amt des Kulturministers bekleidet, seine Funktionärskarriere hinter sich hat und unter dem Pseudonym Odemar Oderich EDEKA-Heftchen vollschreibt, Auflage: 1,7 Millionen Exemplare, Schriftleitung: Alfred Salat.
Wenn man aber, wie ich, die Hoffnung nicht aufgeben mag, unter bestimmten Umständen könne Kollationieren zugleich auch Dekontaminieren bedeuten, liegt es vielleicht näher, einen in den dreißiger Jahren ganz unscheinbaren Kollegen von Johannes R. Becher heranzuziehen, der ab 1933 still und überaus fleißig den Reichsrundfunk mit kleinen Nichtigkeiten volldichtet, Günter Eich. Vielleicht also hört man, wenn man Bechers „Vorbereitung“ mit Eichs titellosem Lob der Spreewaldgurke aus der Sendereihe „Monatsbilder vom Königswusterhäuser Landboten“ verschneidet, inmitten der aufeinanderprallenden Trostlosigkeiten doch einmal im Leben die melodischen Apachen lachen. 

Der Dichter meidet strahlende Akkorde,
als saure Gurken zu genießen!
Er stößt durch Tuben, peitscht die Trommel schrill,
wo die geschätzten Früchte sprießen.

Er reißt das Volk auf mit gehackten Sätzen,
bald ruhn sie in der Brühe still,
die mystische, die Welt der Qual austilgend,
gewürzt mit Weinlaub und mit Dill.

Und wie es säuert, wie es gärt,
gelobtes Land um Lübbenau,
O Trinität des Werks,
oh rühmenswerter Gartenbau!

Und angetan mit Kirschenblättern
laßt uns die Schlagwetter-
Atmosphäre verbreiten
in einem Faß aus leichten Brettern.

Wie arbeite
ich – hah,
zu Höherem geboren. Ich lerne. Ich bereite
vor. Der neue, der Heilige Staat, wär er nicht gänzlich, ach!

Bald werden sich die Sturzwellen
meiner Sätze zu einer unerhörten Figur verfügen,
da schwellen
die Früchte, ungereift und grün.

Reden. Manifeste. Parlament. Das sprühen-
de politische Schauspiel,
wo man es gelb sah einstens blühen.
Menschheit. Dazu bedarf es viel.

Lernt! Vorbereitet! Übt euch!
Und wie es säuert, wie es gärt,
Blut der Völker, Blut von ihrem Blut,
nach denen unser Mund begehrt.

Eine besonnte, eine äußerst gegliederte, eine geschliffene Landschaft schwebt ihm vor? Ein honigsüßes Bitterfeld? Das kann er kriegen. Und trotzdem habe ich mich vor Johannes R. Becher immer gefürchtet. 

Marcel Beyer, Schreibheft, Nr. 92, Februar 2019

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