– Zu Peter Orlovskys Gedicht „Kopf- & Fußkatatonie“ aus Peter Orlovsky: Sauber abgewischt. Gedichte. Zweisprachig. Mit einer Einführung von Gregory Corso und einem Nachwort von Hans Jürgen Balmes. Aus dem Amerikanischen von Marcus Roloff. Stadtlichter Presse, Wenzendorf 2020. –
PETER ORLOVSKY
Catatonia Brain & Foot
A blue tag on his shoulder
two steal brown briefcases in hand –
Police uniform around his knees –
glasses with Mount Peryana’s sun sparkle spit on them –
The Sea voyage has warped his ears –
Hes arrived at the dock & cant travel another inch –
Catatonia Brain & foot –
Noise over microphones like rats
munching paper hole in corner
of West Side 50th St. apt house –
Cigarette smoke celophaney sheets
hanging from ceiling smoking lounge
The steal construction of roof looks like
under wings of old fashioned airoplane –
a book from france is in this air
a painting from southern france is in the air –
a Blob of noise from ship –
Suit cases leaning on the elevators –
European winter scarfs perfume me –
a Minister bows to Paris map on floor –
a child strokes it –
The Blond Purple clothed dame stamps flat
white cigerette on it –
a french pair of shoes cross it in 8 steps –
a boy walks across it last – he carrying
small athletic grip –
an orange statment pin on porter –
aaaaared gloves pass thro lounge doors –
The fat man bellies paris map on floor –
but cement Seine river is tops
Kopf- & Fußkatatonie
Ein blaues Schild auf seiner Schulter
zwei geklaute braune Aktenkoffer in der Hand –
Polizeiuniform um seine Knie –
Brillengläser bespuckt von Mount-Peryana-Sonnenspritzern –
Die Seereise hat seine Ohren deformiert –
Er kam am Kai an & konnte keinen Fingerbreit mehr weiter –
Kopf- & Fußkatatonie –
Geräusche über Mikrofone als würden Ratten
in einer Ecke des App.-Hauses West Side 50th St.
Löcher in Papier knabbern –
von der Decke des Rauchersalons hängen
Zigarettenqualm-Strähnen aus Zellophan
Der Dachaufbau ist stählern als stehe man
unter den Tragflächen eines altmodischen Flugzeugs –
ein Buch aus Frankreich steht in dieser Luft
ein Gemälde aus Südfrankreich steht in der Luft –
ein Geräuschklecks vom Schiff her –
Koffer lehnen an Fahrstühlen –
Europäische Winterschals parfümieren mich –
ein Minister beugt sich über eine Pariskarte am Boden –
ein Kind streichelt sie –
Die Blonde Purpurrot gekleidete Dame drückt eine schale
weiße Zigarette drauf aus –
ein französisches Paar Schuhe überquert sie mit 8 Schritten –
schließlich läuft ein Junge drüber – er trägt
klein drahtig griffig –
eine orange Stellungnahme pinnt sie an den Portier –
aaaaarote Handschuhe durchqueren die Türen zum Salon –
Der Dicke baucht die Pariskarte am Boden aus –
aber die Seine aus Zement ist Spitze
Aus dem Amerikanischen von Marcus Roloff
hat das meist weniger mit der Welt zu tun, als mit der Wahrnehmung von ihr. Im Gedicht „Kopf- und Fußkatatonie“ des hierzulande wenig bekannten Lyrikers Peter Orlovsky (1933–2010) tritt genau das ein: erst ein Verlangsamen und Auseinanderfallen des Blicks, dann ein vollendeter Stillstand. Aus der Sicht des nahezu ausschließlich als Langzeitpartner von Allen Ginsberg präsenten Autors nichts, was auf die leichte Schulter einer ästhetischen Spielerei genommen werden könnte.
Denn nach allem, was wir aus dem Leben des Sohns eines in die USA emigrierten Weißgardisten wissen, scheint es alles andere als unbeschwert verlaufen zu sein. Er wird in Manhattans Lower Eastside als drittes von fünf Kindern in eine von Armut und Vernachlässigung geprägte Kindheit hineingeboren. Nachdem alle Kinder auf der Welt sind, trennen sich die alkoholkranken Eltern. Die Mutter hat selbst Schreibambitionen und sogar den Mut, Dorothy Parker ihre Texte zu zeigen, muss aber bald eine riesige Familie allein ernähren. Weil dies nur unter großen Mühen gelingt, verzichtet Orlovsky zunächst auf den Highschool-Abschluss. Zeitlebens nimmt er Jobs in den verschiedensten Branchen an. So ist er unter anderem Pfleger in einer psychiatrischen Klinik in Queens und lernt einerseits den Fachjargon, andererseits auch die Patienten persönlich kennen. Aber auch Orlovskys Brüder Julius und Lafcadio leiden phasenweise an katatonischer Schizophrenie und werden immer wieder hospitalisiert, so dass das Thema geistige Krankheit nichts ist, was er sich, ebenso wie Ginsberg, dessen Mutter schizophren-paranoid war, hätte aussuchen können.
„Kopf- und Fußkatatonie“ stammt aus dem Jahr 1959 und erschien knapp 20 Jahre später bei City Lights Books in Orlovskys erstem richtigen Band Clean Asshole Poems & Smiling Vegetable Songs. Es mutet wie ein Reisegedicht an und startet zunächst in der Perspektive der dritten Person, um ab der Titelzeile den kühlen Observationsmodus ohne Personalpronomen fortzuführen. Der schmucklose Ton dieser Zeilen, die einem Notizbuch entstammen könnten, markiert den Charme, der Orlovskys schmales Werk ausmacht. In dem kurzen Selbstverständigungstext „Wie ich Gedichte schreibe & von wem ich gelernt habe“ skizziert er eine Poetik der Direktheit und teilt mit, dass es ihn reize, „das spontane Aufblitzen schräger Augenblicke & Orte zu notieren“, er „den ganzen Tag draußen auf den Feldern“ arbeite und alles „singe & sage, was (ihm) in den Sinn“ komme.
Orlovskys Gedichte nehmen sich im Kontext der Beat-Literatur einzigartig aus und wurden in ihrer Bedeutung von einigen wenigen Zeitgenossen wie Allen Ginsberg, Lawrence Ferlinghetti oder Gregory Corso hoch geschätzt. Seine Schreibweise ist fragmentarisch, sprunghaft und betont nicht-metaphysisch; die Bandbreite reicht von erdig-unbedarft bis schräg-luzid-verspielt, immer angedockt an persönliches Erleben. Neben einer ins Krude gehenden, geradezu renitenten Orthographie dürfte es eines der originellsten Kennzeichen von Orlovskys Dichtungen sein, dass sie einer Vorstellungskraft entspringen, die ganz nah an dem bleibt, was sie sich und uns vorstellen und mit grobem, lässigem Strich kreieren – in diesem Fall eine Bootstour durch Paris, möglicherweise aus der Sicht eines Katatonen.
Ein einziges Mal gibt sich ein Ich zu erkennen („Europäische Winterschals parfümieren mich –“), was eigentlich die Frage nach Stringenz aufwerfen müsste. Aber werfen hier die katatonischen Einsprengsel, die zum Tragen kommende Perspektive einer Wahrnehmung in der Flaute nicht jede Stringenz durcheinander? Jenes Andocken an persönliches Erleben ist eine entscheidende Kategorie für Orlovsky, die es wahrscheinlich macht, dass er hier einen seiner Brüder vor Augen hat (Lafcadio begleitete Ginsberg und ihn des Öfteren auf ihren Reisen), dass er dessen Optik im Gedicht weiterführt, weil es der Direktheit – also auch Wahrhaftigkeit – entspricht, die ihm so wichtig ist. Die Bilder werden zunehmend Standbilder, Zigarettenrauch bildet „Strähnen aus Zellophan“, Dinge stehen „in der Luft“, Zusammengehörendes tritt auseinander, Schuhe und Handschuhe werden separiert vom Rest und gleichen Ausschnitten, Einzelbildern oder übriggebliebenen Partikeln einer beschädigten Wahrnehmung. Am Ende ist das, was per definitionem auf Lebendigkeit und Bewegung schlechthin verweist, einfach wie betoniert stehengeblieben: der Lebensquell Fluss, die Seine, das Leben in diesem Moment. Damit setzt Orlovsky einen Schlusspunkt unter ein Gedicht, das sich nicht zuletzt aus biographischen Zusammenhängen heraus der Diversität von Wahrnehmungskanälen verschrieben hat.
Marcus Roloff, Originalbeitrag
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