RÜCKENWIND
Wie er mich jagt, sein Schrei
Mich vorwärts trägt fünfundzwanzig
Windsbräute in der Sekunde
Den ganzen Tag, am Abend, und in die Nacht.
Ich komme zur Welt ich singe vor ihm
Jubel und Lachen: die Finger
Des himmlischen Kinds auf meiner Schulter.
Und hör ich die Stimme des Einen
Von großer Schönheit
Dreht sich der Gegenwind, ich fliege
Und immer zu dir
Klopfendesherz wie das Haus schwankt
Allein schon aufgrund solcher sublimen, ursprünglichen Gedichte wie „Der Milchmann Schäuffele“ und „Bei den weißen Stiefmütterchen“ muß man Sarah Kirsch zu den größten Lyrikern des deutschen Sprachraums rechnen. Ihre Gedichte laden, und wie selten ist das eigentlich, zu immer wiederholter Lektüre ein und faszinieren in steigendem Maße. Um ein solches Talent konnte man die DDR ruhig beneiden. Diese hat aber, wie sich in unseren Tagen zeigt, kein Auge für solche Geschenke des Himmels: Im Widerstreit von Menschlichkeit und Parteiinteresse stand der Ausgang von vornherein fest.
Der Rezensent ist einigermaßen in Verlegenheit, wenn er aus dem vorliegenden Band zitieren will, weil sich soviel dankbare Beispiele anbieten. Mit Nachdruck meldet sich aber die entzückende Suite von elf Gedichten „Wiepersdorf“, der ein Vierzeiler mottohaft vorangestellt ist:
Hier ist das Versmaß elegisch
Das Tempus Praeteritum
Eine hübsche blaßrosa Melancholia
Durch die geschorenen Hecken gewebt
Mit hölderlinscher Diktion klingt in der friedlichen ländlichen Szene die ,Melancholia‘ an:
aaaaaaaaaaaaaaa… Was bin ich
Inzwischen umhergefahren. Und eifrig
War ich bemüht, Apollon zu fassen und gleichfalls
Ein hübsch klopfendes menschliches Herze erbeuten –
Vergebens. Deshalb
Hab ich nur mich, einen winzigen Knaben und die sich mehrende
Anzahl der Jahre und hin und wieder
Schön schwimmendes Wolkengetier
Gewalt und Krieg, Tod und Verderben tauchen aber auch in dieser Idylle auf und werden nicht ohne einen Schuß Sarkasmus registriert:
Der Mensch ist hier gut, das Geld stimmt immer:
Hier rollen nur gegen Morgen um vier
Drei Stunden Panzer vorbei und die Landschaft
Sieht am Tage verwunschen aus. Wo ein Weg war
Jetzt eine Schlucht. Schwarze Bauersfrauen auf Rädern
Rufen: es muß
Abwechslung geben.
Wo ich nach Seifenlappen frage im Konsum erfahr ich
Ein Haus und zwei Mann überfahren, es war
Eine mondlose Nacht.
Anlehnend an die historische Tatsache, daß Achim von Arnim und Bettina von Brentano viele Jahre ihrer Ehe auf dem Gut Wiepersdorf wohnten, drücken folgende Zeilen wohl auch eine Bezogenheit auf die gegebene politische Lage in der DDR aus:
Dieser Abend, Bettina, es ist
Alles beim alten. Immer
Sind wir allein, wenn wir den Königen schreiben
Denen des Herzens und jenen
Des Staats. Und noch
Erschrickt unser Herz
Wenn auf der anderen Seite des Hauses
Ein Wagen zu hören ist.
Aber auch von dieser herrlichen Suite abgesehen, enthält der Gedichtband, der mit den Graphiken von Willy Wolff auf adäquate Weise illustriert wurde, noch manch entzückendes Gedicht. So darf zumindest der Einsatz von „Im Juni“ dem Leser nicht vorenthalten bleiben:
Gott mit uns! Der Herr Pastor
Sah Rübezahl ähnlich und fuhr wie der Teufel.
Überholte die vornehmsten Wagen, indem er
Sich an die Stoßstangen hängte und wild übersprang.
Weißen Haares glaubte ich die Stadt zu erreichen, da begann
Die Gegend lieblich zu werden; manche Allee
Aus Linden Kastanien, ein und der andere Weiher
Zeigten sich her; die blaue Chaussee
Ward ein buckliges hüpfendes Schlänglein.
Wie leicht mir der Mut war. Ich grüßte ein schönes
Zwiefarbnes Pferd auf der Weide, mein Kind
Zählte an fünfhundert Bäume…
Unselig das Land, in dem eine unnachahmbare Stimme schweigen mußte. Wie aber wird dieses Talent, entwurzelt, sich in der gefrorenen Freiheit des kapitalistischen Westens entfalten? Wird es gedeihen können?
Johannes Maassen, Deutsche Bücher, Heft 3, 1977
– Ein (un)friedliches Bilderbuch. –
Ein poetisches Bild: das ging mir
Plötzlich wie Honig ein: die Linden
Fingen zu blühn an und ich hatte gesehn
Dass die Bäume Ähnlichkeit haben mit Mädchen
Blondhaarigen, die Strähnen rötlich
Leichthin gelockt.
Ein Moment, in dem aus Bäumen Mädchen werden, in dem die Imagination eine zweite Welt erschafft, ohne die erste deswegen auszugrenzen, da sie ja der Rückenwind, dass Trampolin für diese zweite ist.
Sarah Kirschs letzter Gedichtband (von dreien) den sie in der DDR veröffentlichte, hat etwas von der Ruhe vor dem Sturm. In sich zurückgezogen verarbeitet sie in ländlichen Umgebungen die Trennung von ihrem Geliebten Christoph Meckel. Abgesehen von einer paar langen, sehr ausdrucksstarken Gedichten, enthält der Band hauptsächlich kurze Eindrucksskizzen/-märchen und Beobachtungen.
Die Fuchsroten Felder
Haben Licht vom Abendstern.
Das Uhrenherz treibt seine Zeiger vor.
Pelargonien in bunten Töpfen
Ziehn Licht auf die Dielen, es flog
Ein dunkler Vogel übers Haus.
Beinahe friedlich erscheinen diese in mattes Licht und Schatten getauchten Illuminationen, wie kleine Poesiekästchen, ausgeschnitten aus einem großen Bilderbuch, von dem nur ein schmaler Ausdruck zurückbleibt. Etwas unterbewusst Wartendes schwingt mit, eine fast kindliche und doch sehr deutliche Ahnung von den Dingen, die kommen werden oder zumindest ihre Möglichkeiten am Horizont zusammenziehen und von den Dingen, die geschehen, irgendwo zwischen Zeit und Raum.
Darin immer wieder der letztendliche Rückzug aus den Sprachlichtern in das eigene selbst, das schreibt:
Dieser Abend, Bettina, es ist
Alles beim alten. Immer
Sind wir allein wenn wir den Königen schreiben
Denen des Herzens und jenen
Des Staates.
Welch eine grandiose Formulierung für das Dichtersein und doch eigentlich gar nicht tauglich als Definition, was ein Zug alles Schönen und Eingebenden ist. Einige solcher Zeilen lassen sich finden zwischen den Fluchtmärchen, den Nebenbeierzählungen und den Gedanken an Liebe und Sehnsucht, in die Bilder versperrt:
Schnee fällt uns
Mitten ins Herz, er glüht
Auf den Aschekübeln im Hof Darling flüstert die Amsel
Deine Augen
Jagen mir das Herz auf die Zunge
Insgesamt ist Sarah Kirchs dritter Gedichtband auch heute noch eine echte Entdeckung, auch wenn ein seltsames Schicksal, noch immer nicht eingetreten, über ihm schwebt und ihn zeitlos und vergessen anmuten lässt. Man muss wirklich ganz genau hinsehen, die Hauptsachen, die Nebensachen einklappen und sich vollends auf die poetische Aussage der Gedichte, ihren inneren Zusammenhalt und Ausgangspunkt und nicht auf ihre Abfolgen konzentrieren. Dann erkennt man eher die große Leistung der genau umrahmten Zeilen und findet ihrer Tiefe einen Film, den man vor dem geistigen Auge Revue passieren lassen.
Im Himmel wurden wohl Kirchen gesprengt,
der Donner
Fraß Echo und Blitze
Fielen Poliert und Verbogen, Sturm
Kämmte das Ufer, es rieselte Ästlein,
wir sprachen:
Das will nun runter! und traten ins Haus.
Sarah Kirsch ist in ihren frühen Gedichten immer zwischen dem Land der einfachen Farben und der komplexen Gefühle hin und her gegangen und hat einiges aus beidem gemacht. Vielleicht ist dieses Werk tatsächlich der Höhepunkt dieses Versuches. Zumindest ist eine grandiose kleine Lektüre!
Rolf Michaelis: Windsbraut Hoffnung. Die trotzigen Elegien einer nicht volkseigenen Dichterin
Die Zeit, 11.3.1977
Rolf Politzer: Die weiße Zauberkunst der Sarah Kirsch
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.3.1977
Sigrid Damm: Sarah Kirsch: Rückenwind
Weimarer Beiträge, Heft 3, 1977
Peter von Becker: Das Herz auf der Zunge
Süddeutsche Zeitung, 30.3.1977
Klaus Seehafer: Rückenwind
Neue Deutsche Hefte, Heft 2, 1977
Timo Brandt: Sarah Kirschs frühe Lyrik 1967–1976
babelsprech.org, 22.2.2014
– Versuch über die Lyrik der Sarah Kirsch. –
DIE ÜBERSCHWEMMUNG
Schwarze Spiegel Doppel-Landschaften Spielkartenschönheit
Die Wolke grüßt ihren Zwilling, der Himmel ein Kreis.
Ein Stamm, zwei Kronen jeder Baum.
Dein Leib bin ich, du lächelst dir zu.1
In Stichworten wird Landschaft skizziert; ohne Schwierigkeiten kann der Leser sich ,ein Bild machen‘. Dem Angeschauten gibt der Dichter neue Bedeutung, besser, überhaupt erst Bedeutung. Dichten als sinnstiftender Akt, ein Akt der Freiheit, durchaus auch eine herrscherliche Geste. Die überschwemmte Landschaft – Regenpfützen, in denen sich Himmel, Wolke und Baum spiegeln – wird zum Symbol für die Einheit der Liebenden. Ein uraltes poetisches Verfahren: das Vermögen, im Alltäglichen ,unerhörte‘ Beziehungen zu stiften und Bedeutungen herzustellen, das dem Leser oder Hörer obiger Zeilen auf beglückende Weise einleuchtet, eine freudig zustimmende Reaktion bewirkt, in der Art von „Ah ja, sehr schön“.
Die Ordnung unseres kleinen Textes leuchtet gleichfalls ein. Drei Zeilen Landschaftsskizze, abgesetzte vierte Zeile, die ,Deutung‘ stiftet:
Dein Leib bin ich, du lächelst dir zu.
Es gibt keinen Reim, wie fast nie bei Sarah Kirsch, kein Metrum, keinen Rhythmus. Das ist bei anderen Gedichten Kirschs anders. Ein Versmaß stellt sich zuweilen ganz unverhofft ein, und von einem eigentümlichen Rhythmus leben viele ihrer Gedichte wesentlich mit. Das Fehlen von Interpunktionszeichen, dort wo die Grammatik ihnen zu stehen befiehlt, fällt auf. Auch das ist häufig bei Kirschs Texten, die der Grammatik gerne ein Schnippchen schlagen und dem Leser zusätzliche Aufmerksamkeit, Tätigkeit abverlangen, weil er lesend zuweilen selber die Ordnung im Text herstellen muß, wobei die regelfrei gesetzten und weggelassenen Satzzeichen Signale des Dichters sind, ebenso wie die Einteilung des Textes in Zeilen, die oft sich keineswegs vom Textinhalt ergeben, wie es hier der Fall ist.
Beglückungen, wie „Dein Leib bin ich, du lächelst dir zu“ gibt Sarah Kirsch oft. So die durch ,als ob‘ gestiftete Bedeutung von Spiegeln, die nichts zeigen, von leeren Spiegeln, die von der Abwesenheit des Geliebten sprechen.
DIE SPIEGEL
Leere Spiegel im Haus.
Niemands schönes Gesicht. Wolken
Ziehen darin. Die sanften die grauen die
Unheimlich blitzzerschlagenen. Als ob er
Im Krieg ist.2
Das Motiv der ,leeren Spiegel‘ kehrt am Schluß eines der schönsten Gedichte Kirschs wieder, „Der Milan“ „(…) und die Sonne / In tausend Spiegeln ist ein furchtbarer Anblick allein“.3
DER MILAN
Donner; die roten Flammen
Machen viel Schönheit. Die nadligen Bäume
Fliegen am ganzen Körper. Ein wüster Vogel
Ausgebreitet im Wind und noch arglos
Segelt in Lüften. Hat er dich
Im südlichen Auge, im nördlichen mich?
Wie wir zerrissen sind, und ganz
Nur in des Vogels Kopf. „Warum
Bin ich dein Diener nicht ich könnte
Dann bei dir sein.“ In diesem elektrischen Sommer
Denkt keiner an sich und die Sonne
In tausend Spiegeln ist ein furchtbarer Anblick allein.
Beglückung des Einverständnisses mag der Leser auch empfinden, wenn ein Thema signalisiert, nicht ausgesprochen wird: ,Die wartende Liebende.‘
STILL STÜRZEN WÄNDE EIN
Still stürzen Wände ein, der Apfelbaum fällt
mit roten Früchten ins Gras.
Auf verbeulten Rädern jagen
Kinder die Felder ab und die Postfrau
Wäscht ihre Hände in Unschuld.4
Es gibt in den Gedichten der Sarah Kirsch viele vertraute Themen die man in einer ersten Annäherung losgelöst von Zeit, Ort und bestimmten Personen aufnehmen kann; ,allgemein menschliche Themen‘ hat man früher gesagt. Vertraut, weil die Zustände, die sie aussprechen, vertraut, altvertraut sind: conditiones humanae vitae. Das Vertraute wird auf besondere Weise neu gesagt. Das erfreut.
Nehmen wir das Gedicht, dessen Überschrift dem Band den Titel gegeben hat „Rückenwind“: ,Die Liebende über ihre Liebe.‘
RÜCKENWIND
Wie er mich jagt, sein Schrei
Mich vorwärts trägt fünfundzwanzig
Windsbräute in der Sekunde
Den ganzen Tag, am Abend, und in die Nacht.
Ich komme zur Welt ich singe vor ihm
Jubel und Lachen: die Finger
Des himmlischen Kinds auf meiner Schulter.
Und hör ich die Stimme des Einen
Von großer Schönheit
Dreht sich der Gegenwind, ich fliege
Und immer zu ihm
Klopfendesherz wie das Haus schwankt5
Oder ein altes, zumindest seit Didos Klagen altehrwürdiges Sujet: ,Die von der Liebe Geschlagene.‘
DAS WALDSANATORIUM
Nicht mehr hoffen und klagen. Auf dem Rücken
Liegen wie ausgestopft, verstarrte Augen.
Erinnerungskino: als wir
Langsam in einem Mantel gehen und fliegen.
Die Ohren für andres ertaubt
Erinnern den einzigen Klang deiner Stimme
Das Gedächtnis erschafft dich in deiner Bewegung.
Du winkst mich
Mit einem Lidschlag dir hin. Grauköpfig
Durchsegelt die Krähe den Augen-Blick.6
Rückenwind, den bisher letzten Gedichtband der Sarah Kirsch, darf man mit gutem Fug und Recht einen west-östlichen Divan nennen. Divan, also Liedersammlung. Zusammenstellung von Liebesgedichten; „westöstlich“, hier ganz einfach, präzis, konkret: weil die Liebende in der DDR, der Geliebte in West-Berlin lebt. Eine archetypische Situation – Liebende, durch höhere Gewalt getrennt – ist konkret aktualisiert im Hier und Heute: ,Liebe im geteilten Deutschland.‘
Das Motto zum zweiten Teil der Gedichtsammlung schon sagt es; knapp und sehr schön:
Freundbruder aus Wolfsland wir wollen
Unsere Blicke anzünden an etwas glauben.7
„Wolfsland“, das Land, in dem der Mensch dem Menschen ein Wolf ist – homo homini lupus est, so der böse Hobbes – der Kapitalismus, so definiert von seinen Gegnern, zu denen die überzeugte Sozialistin Sarah Kirsch durchaus zu zählen ist. „Freundbruder“ ist der Geliebte genannt; Wahl- und Blutsverwandtschaft wird hergestellt und die Hoffnung der Liebe beschworen
Wir wollen
Unsere Blicke anzünden an etwas glauben
Soviel in zwei Zeilen, die übrigens durch kein einziges Interpunktionszeichen gegliedert sind. Gliedern, ordnen, das soll der Leser selbst tun, der durch solche herausgereizte Aktivität ein wenig, ein klein wenig zum Mit-Dichter gemacht wird.
,Liebe im geteilten Deutschland‘ – sehr konkret mit Datum und Hinweis auf den Ort, Hochhaus in Berlin, in dem Sarah Kirsch wohnte – und in einem werbendes Beschwören der Zauberkraft der Liebe.
DATUM
Der kam am 28. Februar, stellte
Sich mir vors Fenster in einem Bärenfell sagte
O wie mir schwindelt. An diese Höhe
Könnte ich dich gewöhnen, Schöner
lerne mich tragen und ich
Mache mich leicht. Auch soll dir dafür
Manches Wunder passieren: mein Haar
Wird dir durch die Finger wachsen dein Mund
Der Abdruck des meinen du hörst mich fortan
Wenn ich nicht da bin. Sprichst meinen Namen
Hin in die Winde: alles gelingt.
Herzschöner wollen wir Julia und Romeo sein?
Der Umstand
Ist günstig, wir wohnen
Wohl in der gleichen Stadt, aber die Staaten
Unsere eingetragenen Staaten gebärden sich, meiner
Hält mich und hält mich er hängt so an mir wir
Könnten sehr unglücklich sein ach du sprachest
Eben noch mit mir8
Die Klage, „wie wir zerrissen sind“,9 daß „der Freund mir / abgetrennt ist und in fremder Welt“10 ist ein Leitmotiv in diesem west-östlichen Divan. Ein Text, der sich als ,Erzählgedicht‘ oder, wie ein Autor und Literaturkritiker aus der DDR sagt, als „tagebuchartiges Briefgedicht“ präsentiert11 – Fahrt auf die Insel Rügen – mündet in Klage und beruft zugleich Glaube und das biblische Beispiel der Beständigkeit.
aaaaaaaaaa(…) Der Pastor
Sagte, was glauben bedeutet, so fuhrn wir
Hin auf die Insel, wo Caspar David
Einst in die Kreide gestiegen war. In grüner
Dann blauer Farbe lag nun das Meer
Mit Muscheln und zitterndem See-Stern zu Füßen.
Ich saß auf einem Wegstein und sah
Die dunkle, die weggleitende Sonne, dich
Auf der anderen Seite der Welt. Ich schlief
Und fror die ganze Nacht. Der Pastor aus Dranske
Las in der Schrift von Jakob und Rahel.12
Vor 15 Jahren hat Christa Wolf einen Roman veröffentlicht, in dem von einer Liebe erzählt wird, die an der politischen Konstellation zerbricht. Die Liebenden finden sich wieder diesseits und jenseits der Mauer, und zwar örtlich und politisch-weltanschaulich. Der geteilte Himmel ist in der DDR und mit einiger Verspätung auch in der Bundesrepublik sehr bekannt geworden; es gibt auch einen Film von Konrad Wolf. Der Titel ist symbolisch gemeint. Erklärt wird er im Abschiedsgespräch der Liebenden.
Früher suchten sich Liebespaare vor der Trennung einen Stern, an dem sich abends ihre Blicke treffen konnten. Was sollen wir uns suchen? „Den Himmel wenigstens können sie nicht zerteilen“, sagte Manfred spöttisch.
Den Himmel? Dieses ganze Gewölbe von Hoffnung und Sehnsucht, von Liebe und Trauer? „Doch“, sagte sie leise. „Der Himmel teilt sich zuallererst.“13
Sarah Kirsch zitiert den symbolischen Titel des Romans der Christa Wolf; sie knüpft an ihn an und beschreibt den Versuch einer Gegenbewegung. Zeigte Wolf den Prozeß der Teilung des Himmels der Liebenden, so geht, 15 Jahre später, Sarah Kirsch von der Teilung aus und will Vereinigung des Getrennten.
Meine Worte gehorchen mir nicht
Meine Worte gehorchen mir nicht
Kaum hör ich sie wieder mein Himmel
Dehnt sich will deinen erreichen
Bald wird er zerspringen ich atme
Schon kleine Züge mein Herzschlag
Ist siebenfach geworden schickt unaufhörlich
Und kaum verschlüsselte Botschaften aus14
Für den unbefangenen Leser haben Sarah Kirschs Gedichte einen Reiz, der für den philologisch Geschulten ein Problem darstellt: sie wirken und werden genossen als persönliche Aussagen. Es spricht die liebende Frau; ihre sehr verschiedenen Zustände präsentieren sich in schöner Sprache. Die autobiographische Substanz ist deutlich; nicht wegzuinterpretieren. Das ,lyrische Ich‘ und das autobiographische fallen weitgehend zusammen. Lesegewohnheiten werden korrigiert. Kindisch wäre es, wollte der Interpret, z.B. in der mit Wiepersdorf betitelten Textfolge, mit ,lyrischem Ich‘ operieren. Es ist auf altmodische Weise viel einfacher. Sarah Kirsch macht im Schriftsteller-Heim auf dem ehemaligen Gut der Achim und Bettina von Arnim, geb. Bettina Brentano Ferien, und die Texte sagen, was in ihr vorgeht. Sie sagen es sehr kunstvoll, aber „kaum verschlüsselt“.15
(…) Im Irrgarten steht
Jelängerjelieber und duftet herauf.
Hier trink ich das Tränklein Vergessen, hier spiel ich
Die Herrin der Bilder und Meubeln bis dann
Nach Tagen das Leben im praktischen Hochhaus
Mich wieder nimmt, in dem ich wie vorher
Bin, nur ein Name im Heidenkalender verstrichen16
Ehrwürdiges schönes Haus
Mit dem zwiefachen Dach – doppelt
Allein bin ich da und dem Wetter, dem hellen
Dem knatternden Hagel, so mildern Mond
Ausgesetzt. Ach ich gedenke
Der rührenden Zeit, als fast eines Bruders
Zärtliche Hand mich morgens geweckt hat und fröhlich
Ein Tag der Zwilling des vorigen war. Was bin ich
Inzwischen umhergefahren. Und eifrig
War ich bemüht, Apollon zu fassen und gleichfalls
Ein hübsch klopfendes menschliches Herze erbeuten –
Vergebens. Deshalb
Hab ich nur mich, einen winzigen Knaben und die sich mehrende
Anzahl der Jahre und hin und wieder
Schön schwimmendes Wolkengetier.17
Der Dichter ist indiskret. „Dichter ist umsonst verschwiegen / Dichten selbst ist schon Verrat“, so heißt es in Goethes West-östlichem Divan.18 Man darf das getrost steigern. Der Dichter ist schamlos. Schamlosigkeit aber rechtfertigt sich durch Schönheit; und das heißt hier, daß treffend gesagt wird, was gemeinhin kaum sagbar ist.
Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt,
Gab mir ein Gott, zu sagen, wie ich leide.19
Sehr persönlich, in die Intimität eindringend und also ,indiskret‘, ist auch Sarah Kirschs Berufung von Dichtern der Vergangenheit. Wie selbstverständlich ist Intimität da.
DER DROSTE WÜRDE ICH GERN WASSER REICHEN
Für Helga
Der Droste würde ich gern Wasser reichen
In alte Spiegel mit ihr sehen, Vögel
Nennen, wir richten unsere Brillen
Auf Felder und Holunderbüsche, gehn
Glucksend übers Moor, der Kiebitz balzt
Ach, würd ich sagen, Ihr Lewin –
Schnaubt nicht schon ein Pferd?
Die Locke etwas leichter – und wir laufen
Den Kiesweg, ich die Spätgeborne
Hätte mit Skandalen aufgewartet – am Spinett
Das kostbar in der Halle steht
Spielen wir vierhändig Reiterlieder oder
Das Verbotne von Villon
Der Mond geht auf – wir sind allein
Der Gärtner zeigt uns Angelwerfen
Bis Lewin in seiner Kutsche ankommt
Schenkt uns Zeitungsfahnen, Schnäpse
Gießen wir in unsre Kehlen, lesen
Beide lieben wir den Kühnen, seine Augen
Sind wie grüne Schattenteiche, wir verstehen
Uns jetzt gründlich auf das Handwerk Fischen20
Im Wiepersdorf-Zyklus wird Bettina Brentano in ein schwesterliches Gespräch genommen. Sie, die alte Hausherrin, bei der die „ Spätgeborne“ zu Gast ist.
(…) ich dachte bloß noch: Bettina! Hier
Hast du mit sieben Kindern gesessen, und wenn
Landregen abging
Muß es genauso geklappert haben Ende Mai
Auf die frischaufgespannten Blätter – ich sollte
Mal an den König schreiben.21
„An den König schreiben“: Bettina von Arnim, geb. Brentano, hat das mehrfach getan. Die romantische Dichterin war zugleich eine sozial und politisch engagierte Frau. Sie hat das Elend der kleinen Leute auf dem Land und in der Großstadt Berlin gekannt und genau geschildert und zahlreiche Vorschläge zur Verbesserung der Zustände gemacht. Sie hat sich für politisch Verfolgte eingesetzt.22 Das Motiv „An den König schreiben“ wird wiederaufgenommen und als doppelsinnig vorgezeigt: dem Geliebten schreiben, dem politisch Mächtigen schreiben.
Dieser Abend, Bettina, es ist
Alles beim alten. Immer
Sind wir allein, wenn wir den Königen schreiben
Denen des Herzens und jenen
Des Staats. Und noch
Erschrickt unser Herz
Wenn auf der anderen Seite des Hauses
Ein Wagen zu hören ist.23
Und doppelsinnig ist dann auch der letzte Satz: Der Wagen, der den Geliebten bringt und der Wagen, in dem die Abgesandten der Macht kommen, etwa gar die politische Polizei. Sarah Kirsch hat, darauf angesprochen, den Doppelsinn zugegeben –; beim Schreiben freilich habe sie nicht daran gedacht. „Aber“, so sagt sie rückblickend, „es ist eine Situation eingetreten, wo ich auch in der Art und Weise auf ein Auto gehört habe und es auch so ein Auto gab.“24
„An den König schreiben.“ Unwillkürlich denkt der Leser heute an den offenen Brief, in dem über hundert Schriftsteller und Künstler in der DDR gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns protestierten, den Brief, den Sarah Kirsch mit unterzeichnet und der ihr Leben verändert hat. Aber – das Gedicht ist zeitlich früher.
„Sarah Kirsch ist eine Hexe“, so hat es Urs Widmer in seiner Preisrede gesagt.25 Sie selbst hat diesen Satz vorgegeben.
Zaubersprüche hat sie ihren vorletzten Gedichtband genannt und erklärt:
Ich hoffe, daß Hexen, gäbe es sie, diese Gedichte als Fachliteratur nutzen könnten.26
Was ist das für eine Hexerei, die da geübt und zu der angereizt wird? „Traurige Tage“ heißt ein Gedicht aus dem 1967 veröffentlichen Gedichtband Landaufenthalt. Ein Gedicht, das sich wie eine Hommage an Else Lasker-Schüler ausnimmt.
Ich bin ein Tiger im Regen
Wasser scheitelt mir das Fell
Tropfen tropfen in die Augen
Ich schlurfe langsam, schleudre die Pfoten
die Friedrichstraße entlang
und bin im Regen abgebrannt
(…)
Ich fauche mir die Straße leer
und setz mich unter ehrliche Möwen
Die sehen alle nach links in die Spree
Und wenn ich gewaltiger Tiger heule
verstehn sie: ich meine es müßte hier
noch andere Tiger geben27
Hier ist, recht einfach greifbar, die Lust, die Einbildungskraft in Tätigkeit zu setzen, Verwandlung auszuprobieren, die Alltäglichkeit mit der ,inneren Welt des ich‘, mit Sehnsucht und Phantasterei zu überdecken; – in späteren Gedichten wäre zu sagen, sie mit ihr zu verschmelzen. Freilich wissen wir, daß ,innen‘ und ,außen‘ keine Ordnungen sind, die man auf lyrische Texte anwenden soll. Das Gedicht ist seine eigene Welt und der Dichter ist frei, sie aufzubauen aus Elementen verschiedenster Herkunft. Das gehört zur Freiheit der Poesie und macht den Dichter, wenn er nur will, zum Verwandlungskünstler, zum Magier. Eben diese Freiheit nutzt Sarah Kirsch mit wachsender Entschiedenheit, wie überhaupt ,Radikalisierung‘ das Merkmal ihrer ,Entwicklung‘ ist. Wichtig aber: der poetische Prozeß bleibt einsehbar, und so ist der Leser eingeladen, ihn mitzuvollziehen. Sarah Kirschs Lyrik ist ein Gegenpol zu hermetischer Poesie. Die Welt ihres Gedichtes ist offen; sie erlaubt Teilhabe, d.h. auch Teilhabe an der Freiheit, die Grenzen der alltäglichen Vernünftigkeit aufzuheben, zu spielen: sich zu bekennen zu den unbrauchbaren Sehnsüchten, zu den verrückten Wünschen, zu den törichten Hoffnungen usf.
Ich tanze Seil überm Meer von Felsen zu Felsen.28
Sarah Kirsch liebt die Welt des Märchens und der Sagen, wo die Rationalität noch nicht/nicht mehr dominiert.
SCHNEELIED
Um den Berg um den Berg
fliegen sieben Raben
das werden meine Brüder sein
die sich verwandelt haben
Sie waren so aufs Essen versessen
sie haben ihre Schwester vergessen
sie flogen weg die Goldkuh schlachten
ach wie sie lachten
Eh sie zur Sonne gekommen sind
waren sie blind
Mein Haus ich blas die Lichter aus
bevor ich schlafen geh
kann ich die schwarzen Federn sehn
im weißen gefrorenen Schnee29
Die Liebenden sind weniger verschlossen als gemeine Leut; auch im Gedicht reden sie leichter mit Tier, Pflanze und Ding und diese mit ihnen.
BEI DEN WEISSEN STIEFMÜTTERCHEN
Bei den weißen Stiefmütterchen
im Park wie ers mir auftrug
stehe ich unter der Weide
ungekämmte Alte blattlos
siehst du sagt sie er kommt nicht
Ach sage ich er hat sich den Fuß gebrochen
eine Gräte verschluckt, eine Straße
wurde plötzlich verlegt oder
er kann seiner Frau nicht entkommen
viele Dinge hindern uns Menschen
Die Weide wiegt sich und knarrt
kann auch sein er ist schon tot
sah blaß aus als er dich untern Mantel küßte
kann sein Weide kann sein
so wollen wir hoffen er liebt mich nicht mehr30
Eine Liebesklage endet so:
Du Schnee, sag ich, weiße Federtiere, Reimwort auf Weh
du bist Lava, kochender Stahl verglichen mit ihm
Tau ihn auf. Er magert mich ab.31
Die Hexerei der Sarah Kirsch ist auch zum Mit- und Nachmachen bestimmt. Wenn man will, es ist eine Hexerei zum Hausgebrauch für Menschenkinder – ganz besonders für weibliche Menschenkinder, eine sehr menschen- und besonders frauenfreundliche Kunst, die da geübt und zu der angereizt wird.
Zauber hat von alters her besonders zu tun mit Liebeszauber – so auch Kirschs Zaubersprüche. ,Einladung zur Liebe‘ würde der Interpret einen Text überschreiben, den die Autorin einfach „Anziehung“ nennt.
ANZIEHUNG
Nebel zieht auf, das Wetter schlägt um. Der Mond versammelt Wolken im Kreis. Das Eis auf dem See hat Risse und reibt sich. Komm über den See.32
Beschwörung, Bann versucht ein anderes, „Rufformel“ betiteltes Gedicht.
RUFFORMEL
Phöbus rotkrachende Wolkenwand
Schwimm
Ihm unters Lid vermenge dich
Mit meinen Haaren
Binden ihn daß er nicht weiß
Ob Montag ob Freitag ist und
Welches Jahrhundert ob er Ovid
Gelesen oder gesehen hat ob ich
Sein Löffel seine Frau bin oder
Nur so ein Wolkentier
Quer übern Himmel33
Weitere Titel lauten „Fluchformel“, „Ruf- und Fluchformel“.34
„Klagruf“ heißt ein anderes Gedicht, in dem die verlassene Geliebte spricht.
KLAGRUF
Weh mein schneeweißer Traber
Mit den Steinkohlenaugen
Der perlendurchflochtenen Mähne
Den sehr weichen Nüstern
Den schöngewaltigen Schatten
Ging durch! Lief
Drei Abende weiter war nicht zu bewegen
Heimzukehren. Nahm das Heu nicht
Wahllos fraß er die Spreu
Ich dachte ich sterbe so fror ich35
Das Wichtigste, was Sarah Kirsch bislang geschrieben hat, sind Liebesgedichte. Sie hat sich in ihrer Poesie als große Liebende vorgezeigt, mit wachsender Offenheit und Direktheit, und mit immer größerer Sprachkunst. Dazu gehört Mut – und das macht Mut, Mut ,ich‘ zu sagen. Mut also zur eigenen problematischen Individualität, mit ihren Beschädigungen und ihrer undeutlichen Utopie.
Man kann den thomistischen Lehrsatz zitieren: „Individuum est ineffabile“ – das Individuum ist unaussagbar, nie ,restlos‘ ins Wort zu bringen. Goethe hat den Satz in einem Brief an Lavater berufen und gesagt, er leite daraus „eine Welt“ ab.36 Der Dichter kann ,mehr‘ sagen als andere, und gerade deshalb deuten seine Worte auf das Unsägliche, auf das nicht berechenbare und nicht aufrechenbare Geheimnis der Individualität. Das letzte Gedicht der Zaubersprüche heißt Ich.
ICH
Meine Haarspitzen schwimmen im Rotwein, mein Herz
Sprang – ein Ei im kochenden Wasser – urplötzlich
Auf und es fiel, sprang wieder, ich dachte
Wo du nun wärest, da flogen die Schwäne dieses
Und auch des anderen Spreearms schnell übern Himmel.
Das Morgenrot, das dezemberliche, Bote
Vielleicht frühen Schnees, hüllte sie ein und die Hälse
Verlockung, sich zu verknoten, sie stießen
Fast mit der Kirche zusammen. Ich stand
Auf eigenen Füßen, Proleten unter den Gliedern, ich hätte
Mir gern einen Bärn aufgeladen ein Zopf aufgebunden
Ein Pulverfaß aufm Feuer gehabt.37
Und damit sind wir wieder beim Beginn unserer Betrachtungen, beim west-östlichen Divan, zu dem dieses letzte Gedicht der Zaubersprüche die Brücke bildet.
Wir haben bislang lyrische Texte vorgestellt und über sie gesprochen, wobei wir nicht den Fachkollegen, sondern den uns lieberen Adressaten, den Dilettanten im Auge hatten. Dilettant, das ist der Liebhaber. Wir haben viel ausgespart, den gesamten Kontext: persönliche Biographie und Geschichte der Schriftstellerin Sarah Kirsch, das literarische Leben in der DDR und ihr Platz darin. Wir haben nichts gesagt über die Gesellschaft, an die sich ihre Dichtung zuerst wendet, über die Aufnahme ihrer Texte usf. Stichwortartig sei jetzt einiges mehr angedeutet als ausgeführt. Die Vita von Ingrid Bernstein, so der Geburtsname, ist zunächst ein DDR-typischer Lebenslauf, in ,aufsteigender Linie‘. 1935 geboren im Südharz, Facharbeiterkind, nach 1945 höhere Schule, Abitur, danach Arbeit in einer Fabrik, dann Biologiestudium und Examen, Arbeit in ihrem Beruf. Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei. Die Literaturlaufbahn ist noch mehr DDR-typisch und so in der Bundesrepublik Deutschland nicht möglich. Seit 1960 trägt sie vor und veröffentlicht lyrische Texte in diversen Zeitschriften und Anthologien unter dem Vornamen-Pseudonym Sarah. Die Wahl des Namens ist antirassistisch philosemitisch gemeint. 1963 erhält sie ein Stipendium zum 2jährigen Studium am Literaturinstitut Johannes R. Becher in Leipzig – der, wenn man so will, ,Dichterschule‘ der DDR. Danach wird sie freie Schriftstellerin; – ein Schritt, der in der DDR leichter ist als in der BRD. Schon vorher hatte sie den Dichter-Kommilitonen Rainer Kirsch geheiratet. Zusammen mit ihm macht sie 1964 einen Text- und Bildband über das Deutschlandtreffen der Jugend in Ost-Berlin; – ein durchaus DDR- und SED-,frommes‘ Buch, im leichten Plauderton gut geschrieben mit schönen Fotos. Das Buch hat den sprechenden Titel Berlin – Sonnenseite –.38 Als Gegensatz ist angedeutet: West-Berlin, das ist ,Berlin Schattenseite‘. Ein Jahr später publiziert sie, ebenfalls zusammen mit ihrem Mann, den ersten Gedichtband Gespräch mit dem Saurier.39 Daneben Hörspiele für Kinder.40 Sarah Kirsch ist Mitherausgeberin der als Solidaritätsaktion konzipierten Anthologie Vietnam in dieser Stunde.41 Das ist eine großangelegte und kostbar ausgestattete künstlerische Dokumentation, 1966 erschienen, künstlerische und literarische Beiträge von zahlreichen Autoren aus aller Welt vereinend:
Die geistige Elite der Welt protestiert gegen den Völkermord in Vietnam.
Sarah Kirsch hat sich intensiv mit Übersetzung und Nachdichtung russischer Poesie befaßt. Anna Achmatowa, Blok, Bagrickij und andere hat sie übertragen.42 Die Übersetzerarbeit ist wesentlich auch Arbeit an der Formung der eigenen lyrischen Sprache, die sich der Begegnung mit fremdsprachiger moderner Dichtung mit verdankt. Für Kirsch wie für viele Schriftsteller der DDR ist Erich Arendt der große Vermittler latein-amerikanischer und spanischer Dichtung gewesen. Seine Bedeutung für die jüngeren Lyriker in der DDR ist außerordentlich groß. Sarah Kirsch hat ihn übrigens – respektvoll – zitiert als „Der alte Dichter“.43
Der alte Dichter war da
Er erzählte vom Thunfischfang wenn
Die übermanngroßen Tiere.
Ins Netz getrieben werden wie sie toben
Der Leitfisch bringt alle und die Schuppen
Glänzen wie rostfreier Stahl
Er aß Kirschkuchen
Hatte die Welt im Blick
Sicher erinnerte er sich
Wie die Nacht da schmeckte
Seine Augen warn blauer als sonst
Und ich hörte die Fischer singen
Die dem Thun Haken in die Köpfe schlagen
Einige Handbreit vom Auge
Einmal sagte er haben die großen Tiere
Einen Mann fast aus dem Boot gehoben
Die Boote waren tiefschwarz
Und acht Meter lang.
Zaubersprüche, S. 36 Nachhaltig beeindruckt wurde sie, wie auch andere Lyriker der DDR, von Rafael Alberti, auch von Ezra Pound, Carlos Williams, Pablo Neruda; – überhaupt von vielen Lyrikern, die in Enzensbergers Museum der modernen Poesie versammelt sind. Von den Dichtern aus der DDR ist Johannes Bobrowski der wichtigste. Sie hat ihm einen schönen Epitaph geschrieben.44
Geh unter schöne Sonne, stirb
weniger kunstvoll, Haus zerfall
zögert nicht: mein grauer Delphin
ist hin zu anderer Küste geschwommen
Gestern noch
blies er Meer vor sich her, schwamm
voller Kunst, peitschte das Wasser
nun bleibt er fort, heißt es, unsere Küste
salzverkrustet und leer
verlor ihren Delphin. Niemand
weiß da einen Ausweg
Eine Schlehe im Mund komme ich übers Feld
sie rollt auf der Zunge stößt Zähne an wenn ich geh
mein Kopf eine Schelle klappert und macht
einen traurigen Mund
aaaaaaaaaaaaaaaaaameiner mit einer Schlehe
deiner Sand schon und Kieselstein
ich drüber du drunter
Ebereschen blutrot samtrot liegts auf dem Weg
Drosseln freßt freßt
den Herbst lang euch Vogelfett an Von den deutschsprachigen Lyrikern der Gegenwart und der jüngeren Vergangenheit seien noch Ingeborg Bachmann, Günter Eich und Else Lasker-Schüler genannt. 1973 hat Sarah Kirsch zwei Prosaarbeiten sehr verschiedener Art veröffentlicht. Die Pantherfrau. Fünf unfrisierte Erzählungen aus dem Cassettenrecorder und Die ungeheuren bergehohen Wellen auf See.45 Das eine ist Dokumentarliteratur: Frauen erzählen ihr Leben. Der Einfluß Erika Runges – Bottroper Protokolle – ist deutlich. Kirsch hat, so sagt sie, nur wenig in die Texte eingegriffen. Am Schluß jedes Berichtes versucht sie das Wesentliche mit aus dem Zusammenhang gelösten Wörtern der berichtenden Frauen zusammenzufassen; was auf recht suggestive Weise gelingt. Auf diese, für die DDR damals noch ungewöhnliche Dokumentarliteratur hat es unterschiedliche, durchaus positive Reaktionen gegeben. K. Jarmatz, ein Literaturwissenschaftler, meint:
Unsere Literatur wird experimentierfreudiger (…). Diese hier angewandte Methode ist eine Möglichkeit, Zipfel neuer Wirklichkeit zu entdecken.46
Die ungeheuren bergehohen Wellen auf See sind eher phantastische Erzählungen. Ganz Ungewöhnliches wird distanziert, ,neutral‘ berichtet, als sei es das ganz Normale – ein literarisches Verfahren, das Verfremdung des Alltäglichen und Einübung in Möglichkeitsdenken intendiert.
Sarah Kirsch selbst rückt ihre Prosaarbeiten deutlich in die zweite Reihe. Die Geschichten aus dem Cassettenrecorder seien „eigentlich journalistische Arbeiten“. Über Die ungeheuren bergehohen Wellen auf See sprechend, gesteht sie:
Wobei ich mir bei der Prosa noch nicht ganz sicher bin. Ich weiß noch nicht genau, wie ich das machen muß. Es sind wirklich Versuche.47
Wer jetzt und hier über Sarah Kirsch, über die Lyrikerin Sarah Kirsch spricht, der hält sich an drei schmale Gedichtbändchen – wie wir es auch getan haben: Landaufenthalt, Zaubersprüche, Rückenwind; alle in der DDR und in der BRD erschienen, zwischen 1967 und 1977.48 Was davor liegt, darf der berufene Dilettant, der Liebhaber schöner Texte, vergessen, genauer, unbeachtet lassen. Der Philologe aber ist gehalten zu vergleichen, auf daß er eine Entwicklung der poetischen Sprache aufzeigen möge. Es fällt ihm in diesem Falle schwer. Die lyrischen Anfänge der Sarah Kirsch sind meist freundliche, um Drolligkeit bemühte Verse, oft von aufgesetzter Kindlichkeit: durchaus sympathisch, aber – nehmt alles nur in allem – ebenso harmlos.
Diese Texte lesend wandelt den Referenten eine Angstvorstellung an: Er stellt sich vor, er wäre Mitglied einer Jury eines Lyrikpreises für junge Talente gewesen, so um 1960 herum. Hätte er der Sarah Kirsch einen Preis gegeben, wenigstens einen Förderpreis? Er fürchtet nein – und was hätte er sich noch nicht zehn Jahre später geschämt.
Sagen wir es diplomatisch: Sarah Kirsch hat einen weiten Weg zurückgelegt. Besser: sie hat viel gearbeitet. Ihre literarische Entwicklung, so wie sie aus den gedruckten Texten ablesbar ist – das ist eine wichtige Einschränkung, ich kenne nur Gedrucktes – ist nicht in einer Linie nachzuzeichnen. Man muß von Sprüngen reden, die man konstatieren, aber nicht recht erklären kann.
Ich weiß allerdings zwei Faktoren zu nennen, denen sich Eigenart und poetischer Rang von Sarah Kirschs Lyrik wesentlich mit verdankt. Das ist die heftige, ja leidenschaftliche Aneignung der vielsprachigen Welt der literarisch-poetischen Moderne, deren Rezeption in der DDR verspätet, aber deshalb um so intensiver erfolgt ist. Ohne diesen, für die Dichtung der DDR sehr wichtigen, aber von der bundesrepublikanischen Literaturwissenschaft kaum zur Kenntnis genommenen Vorgang ist auch die Sprache der Sarah Kirsch nicht denkbar. Wir haben vorhin Namen genannt. Der zweite Faktor ist nicht mehr DDR-typisch, sondern, wenn man es so sagen will, Sarah Kirsch spezifisch. Es ist der große Mut und die Radikalität, mit denen sie sich selbst, das eigene ,ich‘ in das dichterische Sprechen eingebracht hat.
Sarah Kirsch ist in der literarischen Kritik in der DDR viel getadelt, ja gescholten worden. In der zweiten Hälfte der 60er Jahre gab es in der Kultur- und Literaturpolitik der DDR Verlautbarungen, Richtlinien und vielfältige konkrete Maßnahmen, die den ,sozialistischen Realismus‘ in dogmatischer Enge als verpflichtende Norm für die Arbeit von Schriftstellern und Künstlern festzuschreiben unternahmen. ,Modernismus‘ und ,Exzentrizität‘ wurden Kirsch vorgeworfen.49 In den Jahren zwischen 1967 und 1971 hatte sie kaum Aussicht zu publizieren. Einer ihrer Interpreten in der DDR spricht von „gestörter beziehungsweise eingeschränkter Beziehung zum Publikum“ und von der „Gefahr des Verstummens“. Er findet „die Spuren jener Jahre“ in Gedichten wie den 1968 bzw. 1969 geschriebenen „Schneehütte“ und „Schneeröschen“.50
Schneehecke türmt sich wächst stündlich
Keiner kommt durch ich befinde mich abgeschnitten
Weg sind die Wege kein Mensch
Schlägt sich durch nur du kannst mich retten
oder an eine Zeile aus „Schneehütte“ wie
Dies Leben schafft keiner allein zu viel Niederschlag. Von der „zermürbenden Härte der Auseinandersetzungen auf diesem Felde der Literatur“, gemeint ist die Lyrik, ist die Rede.51
1969, auf dem 6. Schriftstellerkongreß wurde Kirschs Gedicht „Schwarze Bohnen“ als ein Beispiel für viele nachdrücklich gerügt. Gefühle der Melancholie und der Trauer kenne jeder, „aber gestaltenswert […] ist erst ihre Überwindung, das erst macht uns zu sozialistischen Poeten“.52 Vier Jahre später wurde auf dem 7. Schriftstellerkongreß das gleiche Gedicht als Beispiel für die begrüßenswerte „Vielfalt unserer Poesie“ gerühmt.53
Nachmittags nehme ich ein Buch in die Hand
Nachmittags lege ich ein Buch aus der Hand
Nachmittags fällt mir ein es gibt Krieg
Nachmittags vergesse ich jedweden Krieg
Nachmittags mahle ich Kaffee
Nachmittags setze ich den zermahlenen Kaffee
Rückwärts zusammen schöne
Schwarze Bohnen
Nachmittags ziehe ich mich aus mich an
Erst schminke dann wasche ich mich
Singe bin stumm Zwischen den beiden Kongressen liegt der Einschnitt 1971, der 8. Parteitag der SED mit dem Wechsel von Ulbricht zu Honecker, der eine Liberalisierung und partiell eine Neuorientierung in der Kulturpolitik brachte.
Das heißt nicht, daß es keine grobschlächtige, auf „Totschlag“ zielende Kritik mehr gab. Die gab es durchaus. Die Literaturkritiker der DDR sind in der überwiegenden Mehrzahl konservativ und nicht sehr beweglich – und wenig inspiriert vom Geist der Literatur und Poesie, was übrigens von bedeutenden Autoren der DDR wiederholt beklagt worden ist.54 Zu den Zaubersprüchen sagt ein Kritiker:
Eindeutig muß das Gedicht sein… Und Neues will ich sehen! Von den nicht direkt politischen oder weltanschaulichen Gedichten wünsche ich mir, daß sie lebensbejahend sind, daß sie positive Wirklichkeitsbeziehungen erkennen lassen, daß in ihnen Sinnesfreude sind und vergnüglicher Spaß am Phantastischen.55
Aber solche Töne haben nicht dominiert. Es wurde ausführliche Gegenrede gehalten, und zwar von bekannten Autoren, man darf sagen, von Autoritäten. Adolf Endler und Franz Fühmann haben rühmende Plädoyers für Sarah Kirschs Dichtung geschrieben. Die erschienen an herausragender Stelle, in Sinn und Form, der Zeitschrift der Akademie der Künste.56
Zur Zeit ihrer poetischen Anfänge hatte Sarah Kirsch 1964 den Kunstpreis der Stadt Halle erhalten und 1965, zusammen mit ihrem damaligen Ehemann Rainer Kirsch, die Erich-Weinert-Medaille. Nach dem Erscheinen der Zaubersprüche, 1973, erhielt sie den begehrten Heinrich-Heine-Preis für Lyrik, den das Ministerium für Kultur vergibt. Sie wurde „mit einem großzügigen Stipendium vom Schriftstellerverband der DDR“57 versorgt; – auch in der DDR kann man von schmalen Lyrikbändchen nur schlecht leben. Sarah Kirsch war in der DDR zwar nicht unbestritten, aber weithin, und auch offiziell anerkannt als eine „große Lyrikerin“; – die ,Poetessa‘ zu Hause geliebt und weltweit vorzeigbar.58
Sarah Kirsch hat die Biermann-Petition mit unterschrieben – ein Akt der Solidarität, der bei einer Frau ihrer Haltung und ihres Mutes zwar nicht selbstverständlich, aber konsequent erscheint. Sie wurde danach aus der Mitgliederliste der SED gestrichen und aus dem Berliner Bezirksvorstand des Schriftstellerverbandes ausgeschlossen und hatte Anfeindungen verschiedenster, auch persönlich diffamierender Art, zu erdulden.59 Den Versuchen, sie zum Widerruf zu bewegen, hat sie widerstanden. Aber sie hat fürchten müssen, dem, was da möglicherweise noch auf sie zukam,60 nervlich nicht standzuhalten, und so beantragte sie für sich und ihren kleinen Sohn die Entlassung aus der DDR-Staatsbürgerschaft und übersiedelte im August 1977 nach West-Berlin.
Ihr Weggang hat in der DDR Betroffenheit ausgelöst. Seyppel hat ihr einen offenen Brief nachgesandt:
Zwischenmenschliche Beziehungen – das Klieren von politischen Schweinereien an Deiner Hochhauswohntür – machen Dir das Leben unmöglich. Deine private Lebenssphäre wird Dir vergällt (…). Dein Ruhm in der DDR war kurz, heftig, begrenzt, Dein Name wird bleiben.61
Rüde Töne, wie bei den meisten anderen „Fällen“, waren nicht zu hören. Und, ein Ereignis ohne Parallele: Nach Kirschs ,Übersiedelung‘ ist in der DDR eine Neuauflage der Zaubersprüche erschienen. Die Lyrik Sarah Kirschs zähle zu den „besten Kunstleistungen unserer Literatur“, sagte der Literaturhistoriker Hans Kaufmann in einem in Sinn und Form veröffentlichten Vortrag.62 Für den Leser nimmt sich das etwa so aus: Auch wenn sie nicht mehr bei uns lebt, gehört sie doch zu uns.
1975 hatte Endler lakonisch – und richtig – festgestellt:
Eines aber ist sicher: Sarah Kirsch ist heute die im In- wie im Ausland bekannteste Lyrikerin der DDR.63
In der Tat, in der Bundesrepublik, die hier für „Ausland“ steht, ist Sarah Kirsch längst vor dem Biermann-Eklat und ihrer Übersiedlung anerkannt und belobt gewesen. 1976 hat sie, zusammen mit Ernst Meister, den Petrarca-Preis erhalten.
Sarah Kirsch ist eine besonders gute Repräsentantin einer Entwicklung, die alle unsere Aufmerksamkeit verdient. Es ist die Entwicklung hin zu ,einer‘ deutschen Literaturlandschaft, an der die Autoren aus der DDR auf ihre sehr besondere Art teilhaben.
Heinrich Mohr, in Lothar Jordan, Axel Marquardt, Winfried Woesler (Hrsg.): Lyrik – Von allen Seiten. Gedichte und Aufsätze des ersten Lyrikertreffens in Münster. S. Fischer Verlag, 1981
Andrea Marggraf: Ein Besuch bei Sarah Kirsch
– Sarah Kirsch, die sich nicht scheut, sich als Dichterin zu bezeichnen, wobei sie ihre Schreibarbeit als erlernbares und immer wieder neu zu erprobendes Handwerk betrachtet, ist in literarischer Hinsicht eine ferne Verwandte von Ingeborg Bachmann und der Droste-Hülshoff. Ihre sonntägliche Dichterlesung im Hechtplatz-Theater, veranstaltet vom Literaturpodium der Stadt Zürich unter dem Motto „Weltliteratur aus erster Hand“ gab Zeugnis von einem schöpferischen Ausdruckswillen, der mit den Widersprüchlichkeiten von Sein, Schein und Bedeuten ringt. –
Dichten ist für Sarah Kirsch konkrete Arbeit, und konkret sind ihre Texte, bei denen nicht viel zwischen den Zeilen gedeutelt werden muss, weil das Gemeinte klar beim Wort genommen werden kann. Ta-Redaktor Christoph Kuhn gab eine kurze Einführung und nannte ein paar biographische Daten. Sarah Kirsch, 1935 in Limlingerode im Harz geboren, studierte Biologie, bevor sie sich um einen Studienplatz am Literaturinstitut Johannes R. Becher in Leipzig bewarb. Sie arbeitete in verschiedenen Betrieben, darunter in einer LPG. Neben Reportagen, Uebersetzungen, kurzen Erzählungen und einem Kinderbuch hat sie sich vor allem auf das Gedicht konzentriert. 1973 erhielt die DDR-Autorin den Heinrich-Heine-Preis und 1976 den Petrarca-Preis. Im Herbst 1976 gehörte sie zu den Unterzeichnern der Petition gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns. In der Folge geriet sie in Konflikt mit der Kulturpolitik der DDR, und im Sommer 1977 erhielt sie die beantragte Ausreisegenehmigung für West-Berlin.
Ihre Lesung umfasste eine Auswahl, aus den Gedicht-Zyklen Landaufenthalt, Zaubersprüche und Rückenwind. Ihr Themenfundus greift Privates und Politisches gleichermassen auf, wobei die erlebte Gegenwart stets Ausgangspunkt ist. Mit festen Schritten durchmisst sie die Traumlandschaften ihrer Vorstellung und verankert sie in dem unsentimentalen Bewusstsein ihrer Eigenständigkeit. Höchst kunstvoll ist der sprachliche Rhythmus, den sie ganz unprätentiös zum Schwingen bringt. Ihre Gedichte wirken oft ein wenig atemlos, und der Verzicht auf Interpunktionen bekräftigt diese individuelle sprachliche Durchatmung des Textes. Die Idylle der Jüterborgschen und Wiepersdorfer Landschaft wird aus der literarischen Folie, die an Bettina von Arnim gemahnt, sanft und behutsam geschält, um mit der spontan empfundenen Gegenwart zu einem Bild verschmolzen zu werden.
Vor Stunden noch enge im Hochhaus
In der verletzenden viereckigen Gegend, nun
Das – ich dachte bloss noch: Bettina! Hier
Hast du mit sieben Kindern gesessen, und wenn
Landregen abging
Muss es genauso geklappert haben Ende Mai
Auf die frisch aufgespannten Blätter – ich sollte
Mal an den König schreiben.
Auf einer Vortragsfahrt nach der Insel Rügen formten sich schlichte Zeilen, naiv wie absichtsvoll, mutwillig verspielt und entschieden ernsthaft. Aus Rom, wo Sarah Kirsch ein Jahr in der Villa Massimo verbringen durfte, brachte sie Gedichte voll lockerer Sprachrhythmik mit. In den entworfenen Gegenbildern soll sich die Phantasie des Lesers nach den Anweisungen des Vergleichs entfernen, um sich in eine andere Landschaft zu begeben und eine neue Perspektive für das Gewohnte zu finden.
Jens Jessen: Nur die Landschaften im Gedächtnis
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.4.1995
Jürgen P. Wallmann: Verspielte Vision
Rheinische Post, 14.4.2000
Heinz Ludwig Arnold: Ein paar Abgründe überwinden
Frankfurter Rundschau, 15.4.2000
Peter Mohr: Meine schönsten Akwareller sint weck
General-Anzeiger, Bonn, 15./16.4.2000
Jürgen Israel: Das Herz hat einen Riss
Unsere Kirche, 16.4.2000
Horst H. Lehmann: Bibliophile Werkausgabe auf Büttenpapier
Neues Deutschland, 17.4.2000
Hans Joachim Schädlich: Sarah. Ein Geburtstagsgruß
Neue Rundschau, Heft 3, 2000
Marion Poschmann/ Iris Radisch: Man muss demütig und einfach sein. Gespräch
Die Zeit, 14.4.2005
Michael Braun: Landschaften mit Endzeit-Boten
Basler Zeitung, 15.4.2005
Unter dem Titel Idyllische Apokalypse
Stuttgarter Zeitung, 15.4.2005
Helmut Böttiger: Hier ist das Versmaß elegisch
Badische Zeitung, 16.4.2005
Michael Braun: Die Schmerzzeitlose
Der Tagesspiegel, 16.4.2005
Christian Eger: Unter dem Flug des Bussards
Mitteldeutsche Zeitung, 16.4.2005
Alexander Kluy: Den Himmel vergleichen
Frankfurter Rundschau, 16.4.2005
Dorothea von Törne: Schütteln und weiterleben
Literarische Welt, 16.4.2005
Gunnar Decker: Fisch, der am Grund lebt
Neues Deutschland, 16./17.4.2005
Samuel Moser: Verse vom Rand der Welt
Neue Zürcher Zeitung, 16./17.4.2005
Hans-Herbert Räkel: Ein Elefant muss über die Alpen
Süddeutsche Zeitung, 16./17.4.2005
Sabine Rohlf: Läuse bei Mäusen in der Umgebung von Halle
Berliner Zeitung, 16./17.4.2005
Andrea Marggraf: „Bevor ich stürze, bin ich weiter“
Deutschlandradio Kultur, 13.4.2010
Erich Malezke: Natürliche Distanz zur Außenwelt
SHZ, 15.4.2010
Jürgen Verdofsky: Remmidemmi in Tielenhemmi
Frankfurter Rundschau, 15.4.2010
Wilfried F. Schoeller: Hier bin ich gern und immerdar
Der Tagesspiegel, 15.4.2010
Sarah Kirsch zum 75. Geburtstag
Thüringer Allgemeine, 16.4.2010
Rebekka Haubold: Sarah Kirsch feiert 75. Geburtstag
Radio für Kopfhörer, 16.4.2010
Gunnar Decker: Pirol unter Krähen
Neues Deutschland, 16.4.2010
Brita Janssen: Sarah Kirsch zum 75. Geburtstag
BZ, 16.4.2010
Peter Mohr: Meine Naivität war mein Glück
literaturkritik.de, Mai 2010
Michael Braun: „Alles ist auffindbar in meinen Spuren“
Konrad Adenauer Stiftung, April 2010
Heidelore Kneffel: 1997 bei Sarah Kirsch in Tielenhemme
nnz, 5.5.2018
Wulf Kirsten: Rede auf Sarah Kirsch zur Verleihung der Ehrengabe der Heine-Gesellschaft 1992.
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