WIE LANGE LÄSST EIN UNTERARM AM MEER
das wasser wasser sein ohne zu treiben
die halb mit glatten kranken damenscheiben
beklebten lenden laufen langsam leer
vom fenster aus verschlechtert sich ein knie
das leicht vom nebensitzher zuckt und blendet
das fahrerdach hat jetzt die haut beendet
im weiter fahren wimpert jalousie
hier ist ein u ich weiss es ist nicht gut
genug um es allein gegen ein e
zu tauschen hier ein m dafür das hemmt
jetzt gibt mir das u zurück die flut
platzt auf hier nimm das m bevor ich geh
du treibst im hüftgewässer einge,klemmt
… blutende Frau in der mit Absicht verlassenen Gegend. Verrätst du mir deinen Namen. Chaymouche, Ashanee.Thomas Kunst fängt immer da an, immer gleich bei den Namen. Und den Namen gibt er die Landschaft. Terrassen und Vorstadt, filmreife Strände; verwahrloste, schöne Gelenke von Frauen. Weil was nass ist, weniger vergeht. Passagen leichten Erzählens gepaart mit satten, rhythmischen Bildfolgen. Am zweihundertzweiundfünfzigsten Juli. Dieses Datum scheint mir für diese Dichtung geeignet. So genau und so hart übertrieben. Denn darum geht es in diesen Texten, den Körper zu übertreiben, in die Sprache hinein, in den Satz mit der Frau und dem Messing. Chaymouche, Ashanee.
Jörg Schieke, Druckhaus Galrev, Programmheft, 21.10.1992
− Einzigartig in der deutschen Lyriklandschaft: Thomas Kunst und seine Treue zum melancholisch aufgeladenen Detail. −
Der Schaum und die Zeichnung vom Pferd? Auch der immerhin schon vierte Lyrikband des Mittdreißigers provoziert bereits durch seinen ungewöhnlichen Titel. Besorg noch für das segel die chaussee; Medelotti oder Die Verteilung des Lächelns bei Gegenwehr nennt Thomas Kunst seine Bücher, die in immer anderen Verlagen und Ausstattungen erscheinen und somit auch jeweils unterschiedliche Lektüreweisen auslösen.
Vielleicht liegt’s ja an der jahrelangen Arbeit in der Deutschen Bücherei Leipzig, daß Thomas Kunst als Autor nicht nur mit Textformen, sondern auch mit Buchformen experimentiert und seine Titel jeglicher Katalogisierung durch Kollegen entzieht? Wechselte er in früheren Bänden noch mühelos zwischen den Gattungsgrenzen hin und her, so werden jetzt „Gedichte“ und andere Texte unterschieden: im Herbst erscheint ein Roman.
Was für seine Titel gilt, findet auch innerhalb der Lyrik eine Entsprechung: Sie changiert zwischen Originalität und Manierismus, behauptet ihren eignen Ort in der Sprache und entzieht sich, spielt souverän auf der Klaviatur bekannter Metaphern und produziert ununterbrochen neue. Dabei entsteht eine faszinierende Spannung zwischen ausgestellter Naivität („Das mit den Lippen“) und artifizieller Verdunklung, nichts ist fixierbar, jede Aussage entgleitet dem/der Lesenden: Schaum, der märchenhaft schillert und schnell vergeht, kaum festzuhalten, es sei denn in der Erinnerung eines Gefühls von Leichtigkeit.
„UND ICH HÖRTE WIE DIE MENSCHEN ZU IHREN GERÄTEN SAGTEN DAS MEER“…, mittenhinein zwingen uns Text und Autor, verweigern Anfang und Ende. „Ich“ lautet das zweite Wort des Bandes, versetzt uns in einen intimen Singsang, dessen beruhigende Melodie die Dramatik der beschriebenen Gefühlssituation nur um so stärker hervortreten lässt. Lyrische Prosa – prosaische Lyrik. Die Kunst-Texturen entwickeln ihren Reiz genau in diesem Übergang, finden darin zugleich ihre Grenze. Selten kann sich der Lyriker an eine Form halten (die ihm Halt gäbe), stets muß die Ordnung der Worte erst gesetzt werden Nicht immer kann sie sich behaupten. Poetische Mittel verbrauchen sich („das mit dem…“, „was mit …“), die eigenwillige Interpunktion und Syntax hat des öfteren keine Funktion, die alltagsprachlichen Versatzstücke verstören nur anfangs, wird daraus eine durchschaubare Methode, stören sie nur noch. Rhetorische Figuren wiederholen sich, der Ansprechgestus variiert wenig. Er erlaubt allerdings zugleich, eine Beobachtung so genau zu notieren wie die der „Komplizen des Abschieds“. Ab und an gerät die Abstraktionswut außer Kontrolle, der „Autoritätsverlust des Meeres“ schlägt zurück auf den Autor. (So mancher Leser mag gerade dieses Außer-Kontrolle-Gerate loben, die Emanzipation der Worte von ihrem Autor usw., ich dagegen vertrete die Auffassung von der widersprüchlichen Einhaltung der Ordnung von Kontrolle und Fließen, „Disziplin und Seide“. Eben. Das Spiel mit poetischen Formen setzt deren Beherrschung, also harte Arbeit am Wort voraus. „Dein Blickangebot ein Blick ohne Angebot“ – das nenne ich Kalauern.) Erotisch werden Textpassagen durch das, was in ihnen angedeutet, aber nicht ausgeführt wird. Sogar ein „erotischer Konjunktiv“ ist zu entdecken.
Die Enthaltsamkeit oder zumindest Vorsicht der breiteren Literaturkritik mag genau ihre Begründung finden, sonst könne Thomas Kunst nicht noch immer ein Geheimtip sein. Oder liegt’s daran, dass aus dem Publikationsort „Außer der Reihe“ des Aufbauverlags nach 1989 nichts mehr wurde und seine Bände nun bei Galrev, Reclam Leipzig oder Connewitzer erscheinen, statt in der Edition Suhrkamp? Dabei hatte Peter Geist ihn doch 1991 in seine wichtige Anthologie „Ein Molotow-Cocktail auf fremder Bettkante“ und damit in den Kanon der neueren DDR-Lyrik aufgenommen.
Selbst Dichterkollege Thomas Böhme hatte in seinem Vorwort zu einem früheren Band zugegeben: „Da stand ich wie ein touristisch geschulter Ausländer vor Texttafeln, die in meinem literarischen Baedeker nicht vorkamen.“ Die auffallende Musikalität der Kunst-Texte versucht er mit den Begriffen „Akustische Bilder“ oder „optische Klänge“ zu fassen und trifft damit meines Erachtens ins Schwarze. Der eigene poetische Rum, den Thomas Kunst so zu entwerfen versteht, kann sich behaupten. „Bäume, Laternen, Hauseingänge“ und immer wieder das Meer. „… Ich / habe mal für Bäume gespielt, die / Sind mir wirklich gefolgt.“
„Adieu es war schön an den Gelenken“…
Birgit Dahlke, Kreuzer Spezial, 3/1998
Ob Charlie und Dorian mit Fingern auf die Zeichnungen zeigen und sich kaputtlachen? Oder wenden sich Charlie und Dorian gelangweilt ab? Vorstellbar ist, dass Papa – Thomas Kunst – seine Kinder nicht lange bei der Kunst von G.P. Adam halten kann. Adamsche Zeichnungen begleiten die Textsammlung „Medelotti“, die Thomas Kunst seinen Kindern zueignete und die das Druckhaus Galrev in hausgemäßer ästhetischer Ausstattung herausbrachte. Wen die beliebigen artifiziellen Strichfigurationen von Adam ratlos machen, der muß von dem Schriftsteller keine Schützenhilfe erwarten.
Thomas Kunst, Jahrgang 1965, war im Kommen, als die DDR ging. Er war eines der seltenen Nordlichter der Szene, das, via Leipzig, im literarischen Milieu aufleuchtete und zum potentiellen Anwärter der Aufbau-Edition „Außer der Reihe“ heranwuchs. 91 gab’s den Reclam-Band „besorg noch für das segel die chaussee“, „Medelotti“ ist das dritte Buch von Kunst. Das ist Uwe Kolbes „Vaterlandkanal“ verwandt, weil die Grenzen zwischen Gedichtetem und Erzähltem gelegentlich ordentlich verwischt sind. Kunst vermag sowohl poetisch-prosaisch als auch prosaisch-poetisch zu sein. Dennoch dominiert der Dichtende, in dem sich Bilder- und Gedankenassoziationen stauen, die er in dicht-gedrängter lyrisch-erzählter Form von sich gibt. Thomas Kunst schreibt sich Traumbilder in den Tag, um den zu bestehen. Der Tag ist voller Ferne in der Nähe, voller Nähe in der Ferne zum Menschen. „wovor könntest du angst haben, in dieser öde“, lautet die Frage an den Gegen-Über-Part. Die Antwort: Alles Mögliche erweist sich als unmöglich. Alles Unmögliche ist und bleibt die einzige Möglichkeit.
Thomas Kunst lässt die Wortwogen hochgehen. Gischt erwischt die am Ufer Stehenden. Sie werden naß, auch wenn sie nichts von dem Wasser und der Wucht der Woge wissen mögen.
Bernd Heimberger, Neues Deutschland, 22.3.1995
Gespräch des Monats: Seilers Shortlist. Am 17.2.2015 stellte er die von ihm gelobten Lyriker Thomas Kunst, Farhad Showghi und Nadja Küchenmeister in der literaturwerkstatt berlin vor.
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