AMANDA
aaaUnd ich seh dich, Amanda,
aaawie heute, Amanda,
aaadu liefst zum Fabriktor
aaazu Manuel.
aaaIch sehe dein Lachen,
aaaes konnte der Regen
aaadir gar nichts ausmachen,
aaadenn du hast dich getroffen mit ihm,
aaamit ihm, mit ihm, mit ihm!
Die Handvoll Minuten −
das Leben ist ewig.
Nur ein paar Minuten,
schon heult die Sirene,
sie ruft ihn zur Arbeit.
Du mußt ihn verlassen,
doch alles ist heller
nach diesen Minuten,
sie lassen dich blühn.
aaaUnd ich seh dich, Amanda,
aaawie heute, Amanda,
aaadu liefst zum Fabriktor
aaazu Manuel.
aaaIch sehe dein Lachen,
aaaes konnte der Regen
aaadir gar nichts ausmachen,
aaadenn du hast dich getroffen mit ihm,
aaamit ihm, mit ihm, mit ihm.
Er ging in die Berge,
der keinem was antat,
er ging in die Berge,
nach ein paar Minuten
war er schon zerrissen…
Es heult die Sirene,
sie ruft ihn zur Arbeit,
doch mancher blieb oben,
auch Manuel.
Und ich seh dich, Amanda,
die Haare verregnet
es war dir nicht wichtig,
du hast dich getroffen
mit Manuel.
Übertragen von Heinz Kahlau
Victor Jara singt Te Recuerdo Amanda.
Aus dem Quell einer tiefen Beziehung zu seinem Volk schöpfend, verwandelte Victor Jara Erfahrenes in Wort und Melodie. Er hatte nie Musik studiert, doch seine Texte und Kompositionen verdrängten den faden Schlager, die lateinamerikanische Romantik der Palmen und der Ritterlichkeit. In schwermütig-trotzigen und zuversichtlichen Liedern erzählt er vom Mädchen Amanda, das seinen Geliebten beim Kampf in den Bergen verliert, vom Bauern, der seinen Pflug gegen das Gewehr eintauscht, vom Sänger, der nicht Schmeichel- und Lobgesang anstimmt. Die chilenische Junta richtete einen ihrer grausam vernichtenden Schläge gegen Victor Jara, den Sänger des Volkes.
Ankündigung in Iwan Goll: Poesiealbum 182, Verlag Neues Leben, 1982
Und so werden wir dich am Morgen sehn,
aufrecht, und ein Raunen wird dein Mantel sein,
von Nebelschwaden unsichtbar:
den Mördern dieser Welt bleibst du verborgen.
Ach, viele werden sagen, der Wind ist stärker noch,
das Schweigen hat verschluckt den Tonfall deiner Stimme.
Ich weiß, du kommst zurück mit deinem Liede,
und wo da Weggefährten sind, Genossen,
sieht man unter ihnen dich.
Osvaldo Rodriguez aus dem „Lied vom Tod und von der Hoffnung Victor Jaras“
Verlag Neues Leben, Klappentext, 1982
– Ein Gespräch mit Victor Jara. –
Frage: Was ist deine Ansicht über die lateinamerikanische Folklore?
Victor Jara: So wie ich es sehe, erlebt die Folklore, das Liedgut, das die Seele des Volkes interpretiert, auf unserem Kontinent – besonders in Chile, denn ich möchte zunächst von meinem Land sprechen – eine ungewöhnliche Blütezeit. Zum Beispiel die Lieder Violeta Parras. Sie schlugen eine Bresche, die in unserem Chile neue Möglichkeiten eröffneten; sie ebneten einen Weg mit Perspektiven, die so ungewöhnlich waren, so wunderbar vom poetischen und vom musikalischen Standpunkt aus, daß wir, eine Reihe von jungen Interpreten und Komponisten, die Fahne Violeta Parras aufnahmen, um sie weiterzutragen, und eine Bewegung gründeten, die sich Neues Chilenisches Lied nennt. Sie hat, wie es scheint, Auswirkungen über unser eigenes Land hinaus gehabt, denn sie steht für ein Lied, das versucht, alle die Werte, die unser eigenes Volk nicht mehr kennt, wieder zu beleben und zur gleichen Zeit dem Lied eine soziale Ausrichtung zu geben, was eine viel größere Übereinstimmung mit der von uns erlebten Wirklichkeit bedeutet. Es ist ein unmaskiertes Lied, es ist ein ehrliches Lied, ein offenes Lied, ein Lied, das natürlich in sehr schweren Zeiten entstand, sowohl für die Sänger als auch für das chilenische Volk überhaupt. In einer Periode großen Elends, der Ungerechtigkeit und Unterdrückung, in der viel Blut floß. Violetta sang von alledem, aber sie hatte nicht das Glück, das zu erleben, was wir jetzt erleben. Aber gerade deswegen wurden unsere Lieder bekrittelt, ihnen wurde aufs Geratewohl ein Stempel aufgedrückt: man sagte, sie seien politisch. Klar, wir sangen die Wahrheit, und die Plattenindustrie und der nordamerikanische Kulturimperialismus auf unserem gesamten Kontinent versuchen der Jugend eine Art Flucht, Konformismus und Zerstreuung anzubieten, damit sie sich nicht bewußt wird, wo sie sich befindet und wo sie lebt, welche Rolle sie in Wirklichkeit spielt, und um die für einen Jugendlichen natürliche Aufsässigkeit einzuschläfern. Wir begannen ein kämpferisches Lied zu singen gegen diesen Kulturimperialismus, ein Lied über die Wahrheit. Wir begannen, die Gitarre als Kampfmittel zu benutzen. Und ich erzähle das alles, weil in unserem Land die große Mehrheit der Volks- und Folkloresänger Leute von revolutionärer Konsequenz sind. Sie singen nicht nur auf der Bühne und spielen die Rolle eines Künstlers. Nach unserem Verständnis ist der Künstler nichts anderes als ein Arbeiter. Wie ein Bauer den Pflug in die Hand nimmt, um das Land zu beackern, oder wie der Drechsler ein Werkzeug in die Hand nimmt, um ein Stück Holz zu formen, so benutzt der Künstler einen Pinsel oder eine Gitarre, um seine Gefühle auszudrücken und sie den Zuhörern, der großen Mehrheit, den Armen, zu übermitteln, um auf die Ungerechtigkeit aufmerksam zu machen und den Feind zu demaskieren. In diesem Lied kommt natürlich auch die Liebe vor, das Lied ist nicht um seiner selbst willen politisch. Das möchte ich ganz klar sagen. Auf der einen Seite stehen wir, die diejenigen anklagen, die uns ausbeuten, und diejenigen, die den Ausbeuter vom Ausland aus lenken; wir klagen die Ungerechtigkeiten an und sind politisch. Aber diejenigen, die ein nichtssagendes Lied machen oder voll abgedroschenen Zeugs, die nur die menschliche Würde erniedrigen und die keinen Beitrag zum kulturellen Wachstum eines Volkes oder der Jugend leisten, die machen auch ein politisches Lied. Das ist ein Lied, das sich auf die Seite der bürgerlichen Ideologie stellt; das ist ein Lied auf der Seite der Plattenindustrie, die eifrig bemüht ist, zu verdummen und zu konformieren, und damit ganz bestimmten bürgerlichen Interessen gehorcht. Deshalb ist dies auch ein politisches Lied. Für die große Mehrheit waren unsere Lieder etwas Unerhörtes, vor allem für die Reaktion und die Rechte unseres Landes. Sie versuchten, sie als politisch abzuqualifizieren mit dem Ziel, sie totzuschweigen und so zu tun, als wären sie anders als die anderen Lieder. Aber der Schuß ging nach hinten los, denn jetzt ist unser Lied, das Neue Chilenische Lied, im Volk tief verwurzelt, und das Volk Chiles singt die Lieder Violeta Parras, als hätte es sie schon immer gelebt, als hätte es schon immer Violeta Parra gekannt. Es tut dies, weil es seine Lieder sind, sie sind Teil seines Lebens, Teil seiner Ermüdung durch die Arbeit, Teil seines täglichen Kampfes in der Gewerkschaft, Teil von allem, Teil dieses Prozesses, den wir jetzt erleben. Somit erscheint unser Lied als ein politisches, also wegen der Entwicklung, das es nahm, weil es kein Lied ist, das, vom künstlerischen Standpunkt aus gesehen, auf halbem Wege stehenblieb, sondern es ist ein Lied, das vom musikalischen und poetischen Standpunkt aus einen wirklich interessanten Aufschwung erlebt und genommen hat. Es sind Werke entstanden wie die Kantate „Sante Maria de Iquique“, wie „Canto para una semilla“, wie „Oratorio para el pueblo“, wie … also, ich meine große Werke, die in einer Thematik verwurzelt sind, die wir volkstümlich nennen können. Es ist eine Musik, die den Instrumenten neue Würde verleiht, die der Indio seit Tausenden von Jahren auf unserem Kontinent spielt: die „quena“ (indische Flöte), die „zampoña“ (Hirtenflöte), den „rondador“ (Art Panflöte), den „tiple“ (kleine sechssaitige Gitarre), die Gitarre, den „guitarrón“ (große Gitarre) usw. Es ist eine Musik, die mit diesen Instrumenten, den Instrumenten des Volkes, gemacht wird.
Frage: Du hast das Liebeslied angesprochen. Kann man „Te recuerdo, Amanda“ als Exponenten des politischen Liedes, das von der Liebe handelt, bezeichnen?
Jara: Ich glaube, daß das etwas Neues in unserem Lied ist. Seit Jahren hören wir ständig, wie die Liebe als etwas Läppisches behandelt wird. Immer wieder bekommen wir Lieder über die Untreue zu hören, Sachen wie „Ich wollte dich näher kennenlernen, aber ich bin verheiratet“ und „Ich kann dich nicht erreichen“ oder über das „pololeo“ (pololeamos sagen wir Chilenen, wenn wir mit einem Mädchen Händchen halten) und „Ich ging mit dir ins Kino“ und „Ich hoffe, dich an der Ecke wiederzutreffen“ usw. Diese Art von Sachen, die zwar geschehen, aber oberflächlich, läppisch sind, haben wir seit Hunderten von Jahren in Liedern gehört. Plötzlich nimm dich, also, nehmen wir uns des so wichtigen Lebenszyklus an, innerhalb dessen wir die Liebe als ungeheuer fundamental und elementaren Kern der menschlichen Natur betrachten. Aber die wirkliche Liebe, die Liebe, die sich für das geliebte Wesen aufopfert, ist für die große Mehrheit die Liebe des Armen, die nicht die gleiche ist wie die Liebe des Reichen. Denn sie ist tiefer, unvergänglicher … In „Te recuerdo, Amanda“ habe ich versucht, diese Liebe in dem flüchtigen Augenblick der Rast bei der Arbeit auszudrücken und auch die Liebe für das geliebte Wesen, von dem man weiß, obwohl man nicht mit ihm zusammen ist, daß es für ein Ideal kämpft, das man selbst auch hegt. Und deshalb liebt man einander noch mehr.
Frage: Was meinst du, warum das lateinamerikanische Folklorelied so sehr an Bedeutung gewonnen hat? Etwa weil Lateinamerika Zeiten der Befreiung erlebt, weil es seine Isolation überwindet und zu sich selbst finden konnte?
Jara: Offensichtlich. Klar, Lateinamerika erlebt zur Zeit die stürmischste Phase seiner Befreiung, und wenn ein Volk beginnt, seine eigene Identität wiederzufinden, so bedeutet dies, daß es beginnt, seine eigene Musik wiederzuentdecken. Deshalb ist die Bewegung des folkloristischen Liedes so stark. Und ich meine damit das folkloristische Lied, nicht das pseudofolkloristische, nicht so ein Postkartenlied. Ich meine das authentische folkloristische Lied, das reinste, das wirklichste; das Lied des Volkes oder das Lied, das, von der Volksbasis ausgehend, die Dinge mit anderen Worten ausdrückt. Angesichts der Tatsache, daß unser Kontinent einen Che Guevara hervorgebracht hat, der plötzlich unser Rückgrat durchfuhr und uns so viele wunderbare Sachen sagte, ist es nur natürlich und logisch, daß wir, die wir mit offenen Ohren aufnahmen, was er sagte, beginnen, das Bewußtsein wiederzufinden, wer wir sind, wo wir sind und wozu wir auf diesem Kontinent leben. Und wir fragen uns, wer ist Lateinamerika, wer ist Chile, Argentinien, Mexiko, Panama, wer sind wir, und wer ist Kuba; und plötzlich beginnen wir uns kennenzulernen. Und wir entdecken, daß der Fabrikarbeiter den Bauern kennenlernt und der Bauer den Bergmann und der Bergmann den Fischer und der Fischer den Mann, der in der Stadt im Büro arbeitet. Und wir beginnen zu verstehen, daß wir Musik haben und daß wir die Musik, wie sie im Süden gesungen wird, in der Stadt nicht kannten, genauso wie wir die Musik der Stadt im Norden nicht kannten. Und wir beginnen dies zu verstehen, und dieses Verstehen beginnt sich im Lied niederzuschlagen, und das Lied wiederum beginnt ein starkes und wertvolles Transportmittel für Kommunikation, für Brüderlichkeit und für Identität zu werden. Daher rührt wohl seine derzeitige Bedeutung.
Frage: Woran liegt es, daß der stärkste Impuls für dieses Lied aus dem südlichen Lateinamerika kommt?
Jara: Die Frage ist nicht leicht zu beantworten. Meine Studien sind noch nicht so weit gediehen, daß mir klar wurde, warum dieser Impuls aus dem südlichen Lateinamerika gekommen ist. Aber es gibt doch eindeutige Hinweise. Zum Beispiel ist die Topographie des Südens sehr verschieden von der des Zentrums und des Nordens unseres Kontinents, sie ist geschlossener. Wir leben umgeben von Bergen, wie Chile zum Beispiel. Das heißt, eine Bergkette trennt uns von unserem nächsten Nachbarn, und zwar eine ziemlich massive Bergkette. Nebenan in Argentinien indessen überquerst du das Wasser, und schon öffnet sich das flache Land. Es ist eine Art Meseta, die Ruhe ausstrahlt, offen, endlos, wo der Gaucho auf den Haziendas lebt; genauso ist es in Uruguay. Am kalten Klima scheint es zu liegen, daß der Mensch nachdenklicher, naturverbundener ist. Da ist zum Beispiel die Tatsache, daß unser Land zwei Nobelpreisträger hervorgebracht hat. Wie ist dies zu erklären in einem Land mit kaum zehn Millionen Einwohnern und in einem so furchtbaren Zustand der Unterentwicklung? In Argentinien finden wir Gitarristen, Leute, die mit der Gitarre ganz unglaubliche Sachen gesagt haben, wie Atahualpa Yupanqui. Worin liegt die Erklärung für dieses Phänomen? Ich kann es mir nicht erklären. In Peru und Bolivien manifestiert sich die Folklore geradezu in einer Explosion von unschätzbarem Reichtum, aber wir finden dort keine Liederdichter. Sie sind Dichter, aber vielleicht in einem anderen Sinn, Dichter in metaphysischer Kommunikation mit dem Universum, in dem sie leben. Ich habe großen Künstlern aus Peru und Bolivien zugehört, sie sind wunderbar; aber in unserem Land, weiter im Süden, neigen wir mehr dazu, die Sachen geradeheraus zu sagen. Ich habe keine Erklärung dafür – um noch weitere Beispiele zu nennen –, wieso Mexiko mit seiner sagenhaften Folkloreexplosion diese Art von Lied noch nicht kennt. Ich glaube, daß es kommen wird, denn das ist unvermeidlich. In den wenigen Monaten, die ich dort war, habe ich festgestellt, daß es dort Leute gibt, die etwas mit der Gitarre sagen, etwas ganz Konkretes. Ich glaube, diese Dinge werden sich im Laufe eines Prozesses über den gesamten Kontinent verbreiten. Nun, warum ist dies alles von hier ausgegangen? Offen gestanden, ich habe keine wissenschaftliche Erklärung dafür, ich weiß allein um die Tatsache, daß das südliche Lateinamerika der Folkloremusik einen sehr starken Impuls gegeben hat. Viele Jahre lang wurden wir von Argentinien beeinflußt. Kaum daß wir eine Gitarre in die Hand nahmen, lernten wir, argentinische Samba und Vidala zu spielen und nicht chilenische Musik. Aber jetzt stehen wir vor der Tatsache einer Neubelebung der chilenischen Musik in einem anderen Sinn, und es stellt sich heraus, daß man jetzt in Argentinien sehr aufmerksam verfolgt, was wir tun.
Frage: Wie kann ein Künstler engagierte Arbeit tun, ohne ins Pamphlet zu verfallen, ohne die wirklich künstlerische Qualität aufzugeben?
Jara: Also, das ist eine äußerst schwierige Sache. Vom revolutionären Standpunkt aus beginnt man die Arbeit des Künstlers auf andere Art zu bewerten. Dazu hat soeben der Nobelpreisträger Pablo Neruda einen außerordentlichen Beitrag geleistet durch ein Buch, das Nixonizid und Lobgesang auf die chilenische Revolution heißt. Es enthält eine Vorbemerkung für alle Gedichte in der Einleitung des Buches. Das heißt, viele Kritiker und Feinschmecker der literarischen Kunst werden über die Sprache überrascht sein, mit der er über den Nixonizid und die chilenische Revolution spricht. Er stellt fest, daß ein Künstler nicht wirklich ein Volkskünstler ist, wenn er nicht sagt, was er fühlt, so wie er es sagen will und soll, ohne Rücksicht auf ästhetische Kriterien, vor allem auf die ästhetischen Kriterien, die diejenigen aufstellen, die das Buch später kritisieren, nämlich die ästhetischen Kriterien der bürgerlichen Richtung. Und dieses Buch … ich könnte nicht sagen, ob es ein Pamphlet ist oder nicht, auf jeden Fall ist es ein wunderbares Pamphlet, weil es sehr deutlich ist und weil es unserem Volk hilft. Denn der Gebrauch einer metaphorischen und abstrakten Sprache, dessen, was man poetische Sprache nennen könnte, hilft einem Bauern nicht viel dabei, gut zu begreifen, daß der Boden ihm gehört. Die Reaktion operiert auf eine sehr subtile Art mit alledem, mit dem Problem der Kunst und dem Problem der Folklore. Die Folklore benutzt sie zum Beispiel, indem sie versucht, sie im Wesen zu verändern und von ihrer eigentlichen Zielrichtung abzubringen. Wenn wir von der Etymologie des Wortes ausgehen und sagen, daß die Folklore etwas vom Volk Geschaffenes ist, daß die Folklore die Identität einer Nation ist, dann gibt es nur eine wahrhafte Folklore, gekennzeichnet durch hohen künstlerischen Wert, durch das Bemühen, künstlerischen Ansprüchen zu genügen, und vor allem durch große Einfachheit und totale Identifikation mit ihrer Klasse, der Klasse, der sie gehört: der Klasse der Bauern, der Klasse der Arbeiter, also mit der Klasse der Werktätigen, und mit der einheimischen Bevölkerung, denn sie sind es, die, die Folklore geschaffen haben. Die Reaktion versucht, dies ins Kitschige zu verdrehen, sie kommerzialisiert sie und stellt sie hin wie Nationalflaggen. Verstehst du mich? Und prostituiert sie. Ja, genau das ist es: Sie prostituiert sie: Sie entwurzelt sie total, ja, sie schneidet sie an der Wurzel ab, schmückt sie mit blühenden Zweigen, soweit ganz hübsch, aber die Wurzel ist weg. Diese sehr subtile Art der Reaktion, mit der chilenischen Folklore zu operieren, ist in ganz Lateinamerika verbreitet, denn Lateinamerika ist eine Region, die sehr reich an folkloristischen Ausdrucksweisen ist. Es gibt trotzdem so viele Tanz-, Instrumental- und Gesangsgruppen, die eine Folklore machen, die weder Fleisch noch Fisch ist, die niemanden anspricht, die vor allem das Volk selbst nicht anspricht. Dies gilt zum Beispiel nicht für den hohen künstlerischen Rang, den die Folklore in den sozialistischen Ländern einzunehmen beginnt. Dort wird sehr viel untersucht, viel geforscht, wodurch die Folklore eine solch hervorragende Position erhält, eine Position, die der Würde des Volkes angemessen ist. Denn zum Volk darf man nicht herabsteigen, sondern muß zu ihm hinaufsteigen. Wir Künstler können nicht von unserem Podest, aus unserem gläsernen Turm, auf das Volk herabsehen und ihm unsere Künste anbieten: Wir müssen uns als Gleiche verstehen, und dazu müssen wir einander kennen, wissen, womit das Volk sich beschäftigt, wir müssen seine Sprache kennen, sein Leben, mit den Leuten zusammenleben, in der Lage sein, ihr Haus zu betreten, und vor allem, daß sie begreifen, daß man ist wie sie, und keine paternalistische und kluge Kunst machen. Verstehst du mich?
Frage: Glaubst du, daß die Bourgeoisie versucht hat, die Kunst und die Folklore in schlichte Waren für Touristen zu verwandeln?
Jara: Klar, offensichtlich. Eine Art, die ganze Invasion ausländischer Musik zu rechtfertigen, besteht darin, das Charakteristische eines Landes zu nehmen, viel Geld dazuzugeben, viel Aufmachung, viel Kostüm, viel Metro Goldwyn Mayer und Cinemascope, um die Invasion ausländischer Musik zu rechtfertigen.
Frage: Glaubst du, daß das Lied eine Waffe ist, um das Volk zu befreien?
Jara: Nur insoweit, wie der Künstler wahrhaft ein Revolutionär ist. Denn das gibt es ja auch, daß einer die Gitarre nimmt, auf die Bühne steigt und sehr schöne Sachen über die Revolution sagt, sehr schöne Sachen gegen die Ungerechtigkeit und das Elend. Aber wenn er wieder von der Bühne heruntersteigt, ist er ein Mensch, dem das, was er mit seinem Gesang sagt, vollkommen fremd ist. Ich glaube, daß die Gitarre nur stark sein kann, wenn der Mensch hinter ihr wirklich ein Revolutionär ist. Nach meinem Verständnis trägt ein engagierter Künstler eine viel größere Verantwortung als der andere, der nicht engagierte Künstler. Der engagierte Künstler führt nicht so ein angenehmes Leben wie einer, der in der Maschinerie des Geldes steckt, sondern er ist ein Mensch, der eine neue Kunst schafft. Sein Engagement besteht darin, wirklich so zu leben, wie die große Mehrheit lebt. Mit ihr zusammen leben können bedeutet nicht, daß man, um Revolutionär zu sein, barfuß herumlaufen muß, in einer Elendsiedlung und nur von Brot, von Brotkrumen leben muß. Das meine ich nicht, sondern man muß unter und mit dem Volk leben können. Violeta Parra verbrachte vierzig Jahre ihres Lebens damit, Bauern, Bergarbeiter, Fischer und Siedler kennenzulernen, mit ihnen zu reden und zu leben, und danach sang sie. Sie sang für dieses Volk, das mit ihr lebte und mit dem sie eng vertraut war … Ein engagierter Künstler muß unweigerlich diesen Weg einschlagen. Wenn nicht, worin besteht dann sein Engagement? Wenn nicht, handelt es sich um ein sehr intellektuelles Engagement, ein sehr bequemes Engagement. Wie ich dir schon gesagt habe, besteht das Engagement in einem solchen Falle darin, oben auf der Bühne revolutionäre Lieder zu singen und danach herrlich und in Freuden zu leben. Die Revolution soll sehen, wo sie bleibt, „ich mische mich da aber nicht ein, meine Rolle ist die eines Künstlers“. Nein, der Künstler ist ein Arbeiter wie jeder andere, und als solcher hat er seine Arbeit zu verstehen. Seine Verantwortung ist sogar noch größer, weil er Künstler ist, weil er das Sprachrohr für alle Gefühle eines Volkes ist. Deshalb muß sein künstlerischer Anspruch noch höher sein, seine Kenntnisse, seine Erforschung der Wahrheit, seine Erforschung der Techniken müssen viel besser sein.
Frage: Soll dies bedeuten, daß der Künstler diese ganze Erforschung in Militanz umsetzen muß?
Jara: Ja, natürlich. Der Künstler ist revolutionär, wenn er zu verstehen beginnt, daß er nur eins von Hunderten von Gesichtern ist, die die Geschichte eines Volkes gestalten. Wenn dies eintritt, werden wir echt revolutionäre Künstler haben. Viele Jahre lang hat die Bourgeoisie uns Künstler glauben gemacht, wir wären etwas Besonderes, daß unsere Sensibilität es uns erlaubt, am Rande des Geschehens zu leben, umgeben von Glorie, Geld, Ruhm und Publizität. Das ist aber nicht der Fall. Ein revolutionärer Künstler muß eine von den Hunderten, den Tausenden von Händen sein, die die Geschichte formen und gestalten.
Frage: Denkst du nicht, daß dieser Prozeß, der den Künstler zum Kämpfer macht, in Chile schon in Gang gekommen ist?
Jara: Ja, nach unserer Ansicht soll jeder Mensch eine Lebensauffassung haben, eine Art zu denken und zu ihr zu stehen. Das heißt, die Kunst kann nicht wie eine Art Hobby oder Vergnügen vom Leben losgelöst sein, sondern ist eine Fusion von beiden. In unserem Land gibt es militante Künstler, deren künstlerischer Ausdruck Teil des militanten Zusammenlebens ist, das so reich, so menschlich und so tiefgreifend ist. Auf diesem Weg der militanten Kunst findet man die wahren Ausdrucksweisen, und dabei kommt das Pamphlet vor, und es kommt die direkte Sache, der grobe Pinselstrich vor; aber das ist egal, wenn wir daran denken, daß das Leben kurz und jede Sekunde wichtig ist. Und wer ist nun ein Künstler? Wer anders als das Volk hat immer entschieden, ob einer ein Künstler ist? Das Volk und die Geschichte dieses Volkes entscheiden, wer ein Künstler ist. Ich glaube nicht, daß die Großen der Geschichte wie Picasso, Michelangelo, auch Violeta Parra oder Neruda oder Atahualpa sagen würden oder sagen: „Ich bin ein Künstler.“ Nein, ich glaube, daß es das Volk ist, das ihm diesen Rang verleiht. Das Volk und die Zeit, denn die Zeit wird erst sagen, ob sein Werk in der Seele seines Volkes Widerhall gefunden hat. Ein Künstler kann im Leben nicht nur die Rolle des Künstlers spielen, sondern er muß in der Rolle des Arbeiters als solcher leben. In diesem Sinne muß er sich ständig fordern, ständig alle sprachlichen Mittel gebrauchen, die ihm zur Verfügung stehen, ständig seine Sensibilität ausströmen lassen, bis er zur wirklichen Reife gelangt. Wenn es ihm gelingt, sich darüber klar zu werden, dann wird er vielleicht ein Mensch sein, der etwas erreicht hat.
Frage: Was ist die Meinung des militanten Künstlers zu dem großen Wahlerfolg, den die Unidad Popular errungen hat?
Jara: Nun, ich bin glücklich. Ja, wirklich absolut glücklich. Denn es ist für uns sehr bewegend, also, wir haben nicht daran geglaubt; es herrscht beinahe Fassungslosigkeit, denn unser Land durchlebt sehr schwere Zeiten. Wir befinden uns unter einer Yankee-Blockade, seit Allende die Macht übernommen hat, eine Blockade grausamer Art. Vietnam war eine grausame Sache, natürlich, aber hier gehen sie nicht so vor wie dort, sie gebrauchen andere Waffen. Man bemerkt sie nicht, aber wir, die wir hier leben, bekommen sie täglich zu spüren. Die innere Reaktion, die Lakaien der Yankees, versucht Präsident Allende Stunde für Stunde zu stürzen. Sie gehen kriminelle Verbindungen ein, um nicht ihre Privilegien, ihre Fabriken, ihre Industrie, ihr Vermögen, ihren Landbesitz zu verlieren. Und angesichts dieser Erfahrungen, die eine Erfahrung von weitreichender Bedeutung war, stellen wir fest, daß die Unterstützung der Unidad Popular in eindrucksvoller Weise zunimmt. Das ist keine Unterstützung für einen Mann, für Salvador Allende, und ich glaube, daß er es auch nicht so sieht. Es ist die Unterstützung für die, die wir ein Land, ein neues Leben aufbauen, die wir ein Land aufbauen, in dem Gerechtigkeit, wahre Freiheit und wahre Demokratie herrschen. Und die Tatsache, daß wir zu diesem Zeitpunkt voll großer Schwierigkeiten so viele Stimmen bekommen haben, ist ein handfester Beweis dafür, daß für uns als Chilenen das Leben schön ist, voller Möglichkeiten und Hoffnungen. Hoffentlich erlebe ich es noch, wenn unser Land im Sozialismus lebt.
Aus dem Spanischen von Ulrich Halfmann
Sinn und Form, Heft 6, November/Dezember 1979
Am 11. September ging Victor im Stadion auf das Feld hinunter und kam in die Nähe einer der Türen, durch die neue Gefangene hereingebracht wurden. Dort stieß er mit dem Kommandeur des Gefangenenlagers zusammen. Der Kommandeur sah ihn an und deutete die Handbewegung eines Gitarristen an. Victor nickte bejahend mit dem Kopf, lächelte offen und traurig. Der Offizier lächelte selbstzufrieden, als ob er sich zu seiner Entdeckung gratulierte. Er rief vier Soldaten und befahl ihnen, Victor dort festzuhalten. Dann ließ er einen Tisch bringen und ihn in die Mitte des Stadions setzen, damit alle sehen konnten, was gleich darauf geschah. Victor wurde an den Tisch geführt und mußte seine Hände darauf legen. In den Händen des Offiziers („Ich habe zwei hübsche Kinder und ein glückliches Familienleben“, erklärte er Tage später der ausländischen Presse gegenüber) erhob sich blitzschnell ein Beil.
Mit einem einzigen Hieb hackte er Victors Finger von der linken und mit einem zweiten die von der rechten Hand ab. Die Finger fielen auf den Holzboden, sie zitterten und bewegten sich noch, während Victors Körper schwer zu Boden fiel.
Aus den Kehlen von sechstausend Gefangenen erhob sich ein kollektiver Aufschrei. Und dann sahen diese zwölftausend Augen, wie der gleiche Offizier sich über den zu Boden gestürzten Körper des Sängers und Schauspielers Victor Jara warf und auf ihn einzuschlagen begann, wobei er schrie:
Und jetzt sing, du Dreckskerl, sing!
Keiner von denen, die ihn aus der Nähe sahen, wird je das Gesicht des Offiziers vergessen, mit dem Beil in der Hand und zerzaustem Haar über der Stirn. Es war das Gesicht des entfesselten tierischen Hasses.
Und während Victor geschlagen wurde, tropfte aus seinen Händen das Blut, und sein Gesicht verfärbte sich schnell violett.
Ganz unerwartet erhob Victor sich mühsam auf seine Füße und wandte sich mit blicklosen Augen zu den Rängen des Stadions. Mit zitternden Knien torkelte er vorwärts, die verstümmelten Hände wie ein Schlafwandler nach vorn gestreckt. Als er an die Stelle kam, wo die Ränge an das Spielfeld stoßen, herrschte Totenstille. Und dann hörte man ihn rufen:
Gut, Genossen, laßt uns dem Señor Comandante den Gefallen tun!
Er stützte sich für einen Augenblick ab, dann erhob er seine blutenden Hände und begann mit entschlossener Stimme die Hymne der Unidad Popular zu singen, und alle sangen mit ihm.
Während die sechstausend Stimmen sangen, dirigierte Victor mit seinen verstümmelten Händen. Auf seinem Gesicht lag ein offenes und entspanntes Lächeln, und seine Augen leuchteten.
Dieser Anblick war zuviel für die Militärs. Eine Salve, und Victors Körper begann nach vorn zu fallen, als ob er sich ganz langsam und tief vor seinen Genossen verneigte. Dann fiel er auf die Seite und blieb dort liegen.
Es folgten noch viele Salven aus den Läufen der Maschinengewehre, doch waren diese auf die Ränge mit den Menschen gerichtet, die mit Victor gesungen hatten.
Wie eine Lawine stürzten die Körper herunter, von Kugeln durchsiebt, und rollten auf das Stadionfeld. Die Schreie der Verletzten waren schrecklich. Aber Victor hörte sie nicht mehr. Er war tot.
Miguel Cabezas, Sinn und Form, Heft 6, November/Dezember 1979
Übersetzung von Karin Schweder-Schreiner
[Dieser Text, dessen ursprünglicher Titel lautete: „So starb Victor Jara. Ein Augenzeugenbericht.“, weicht an einigen Stellen von den Aussagen der Ehefrau von Victor Jara ab. Sie hat den Leichnam ihres Mannes mit gebrochenen Fingern, Folterspuren und Maschinengewehreinschüssen von der Junta ausgehändigt bekommen. Warum der Bericht von Miguel Cabezas, der im Anmerkungsteil von Sinn und Form als „Augenzeuge des bestialischen Mordes von Victor Jara“ genannt wird, anderes überliefert, bleibt unklar. (Redaktion Planet Lyrik)]
netze werfen sie
über die schwingen
des condors und
binden ihn fest
mit eisenschellen
am andenfels.
lautlos klingt
das lied victor jaras
unter dem orkan in
abgehackten kadenzen
sanft
wie die stimme
der frau.
Rodja Weigand
Hier strich er durch die Straßen,
ohne Arbeit und Amt
und ohne einen Peso.
Nur Dichter, Nutten und Zuhälter
kannten seine Gedichte.
Nie war er im Ausland.
Er war im Gefängnis.
Jetzt ist er tot.
Doch
denkt an ihn,
wenn ihr Zementbrücken habt,
wenn ihr Riesenturbinen, Traktoren,
Getreidesilos
und gute Regierungen haben werdet.
Denn er hat in seinen Gedichten
die Sprache des Volkes gereinigt,
in der man eines Tages
die Handelsabkommen schreiben wird,
die Verfassung,
die Liebesbriefe
und die Dekrete.
Ernesto Cardenal
(den Soldaten beim Singen erschossen,
denn sie konnten ihn nicht mehr hören)
Die Kinder tragen in ihren Augen
einen Strahl aus Frühling und doch aus Dauer,
aus aufgehenden Knospen, aus der Milch und der Friedenstaube,
und die Kadaver um sie liegen auf der Lauer.
Die armen Männer und Frauen sind wieder nicht satt,
doch sie haben noch einen Klang im Ohr –
deinen Gesang, den der Mutige gerne hat
und du singst ihn ihm vor – du singst ihn immer noch vor.
Und Panzer würgen das Land,
erbrechen Blumen in blutigen Lachen.
Doch eurer Verzweiflung Gesang
wird die fressende Flamme der Hoffnung entfachen.
Die Gitarre war dir als ein Mittel gut,
die feinen Hände zerbrachen sie dir,
so führtest du deiner Freunde Gesang,
ihren Mut,
ohne die Gitarre dabei zu führen.
Und seitdem sie beim Singen die Brust dir zerrissen,
führst du, ohne ihn zu führen, unsern Gesang.
Bis ich dies gesehen, hätt’ ich niemals geglaubt,
daß man einen Menschen so schlagen kann.
Und Panzer würgen das Land,
erbrechen Blumen in blutigen Lachen.
Doch eurer Verzweiflung Gesang
wird die fressende Flamme der Hoffnung entfachen.
Die Blüten, man kann sie nicht sämtlich zerstören,
sie fangen immer wieder an.
Und der Feind wird euren Angriff nicht hören –
wie soll der noch etwas hören, der dich nicht mehr hören kann?
Dieter Dehm
für Victor Jara und Krzysztof Kamil Baczynski
Aus den Fängen der Ohnmacht
befreie mich
aaaaaWort, blutendes
aaaaaWort –
aaaaaaaaaaaGegenwort!
aaaaaaaaaaaTausende Male
aaaaaaaaaaageköpft,
aaaaaaaaaaagehängt und gerädert,
aaaaaaaaaaageteert und gefedert,
aaaaaaaaaaagebrochen
aaaaaaaaaaaalles Gebein.
aaaaaUnd aber Tausende Male
aaaaaaaaaaaschlägt aus jedem
aaaaaaaaaaageworfenen Stein der
aaaaaaaaaaaSturmvogelschrei, die
aaaaaaaaaaaheisere Stimme
aaaaaaaaaaaLucile’s:
aaaaaaaaaaa Vive le roi!
Bis an den Rand der Erde
sei gepriesen
aaaaaaaaaaasein Name
aaaaaaaaaaafreedom –
aaaaaaaaaaa freedom!
Klaus Körner
Das Folk-Duo Zupfgeigenhansel singen ihr Lied Victor Jara.
Victor Jaras „Manifiesto“ gesungen 1988 in Mendoza von Bruce Springsteen.
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