LETZTE TAGE
Ausgelaufen ist der Krug.
Erde spricht, es ist genug.
Chrysanthemen hat ein Freund vors Bett gestellt,
Lockenhäupter, Würzgeruch der Welt.
Ehe meine Finger kalten,
Fühlen sie die Lust, die Stengel festzuhalten.
Halt ich so das letzte Stück der Zeit noch aus,
Bringt das große Qualenlose mich nach Haus.
Alle lyrischen Bemühungen unserer Zeit vergehen wie Wolkenschatten vor diesen Gedichten, in denen die Natur selber spricht – voll Trauer und Trost… Seine Dichtung ist auf exemplarische Weise modern; sie ist stilbildend. Elisabeth Langgässer
Lehmann hat sich verdient gemacht darum, eben eine neue Provinz unserer Dichtung erschlossen zu haben: die vegetative Natur.
Johannes R. Becher
Was mich für Wilhelm Lehmann sehr früh eingenommen hat, waren Gedichte mit so originären, ungewöhnlichen Naturbetrachtungen, die auf genaue Kenntnis schließen lassen. Was mir fortan als vorbildlich galt, ist der neue Blick, das subtile Erfassen, das der Poesie entschieden an Nuancierungskunst, an sprachlichen Abschattungen neue Wege eröffnet hat.
Wulf Kirsten
Die sprachschöpferische Besessenheit, die Genauigkeit, mit der er Sprache und Sache in Übereinstimmung zu bringen suchte, haben die deutschsprachige Lyrik der Gegenwart spürbar beeinflußt.
Heinz Czechowski
So universell fuhrwerkte dieser Eckernförder Mann, und so pointillistisch manchmal, daß man vom Lesen der Details maulwurfsblind wird.
Peter Handke
Dem seit Jahren währenden Umgang mit Ihren Versen verdanke ich die Öffnung des Blicks. In ähnlicher Weise haben Sie manchem der jetzigen und kommenden Lyriker den Star gestochen.
Günter Eich
MärkischerVerlag Wilhelmshorst, Klappentext, 2011
Kein ideologischer Vorbehalt kommt umhin, die unerhörte poetische Leistung, die leuchtende Präzision dieser Verse anzuerkennen… Heute, da die Gefährdung, ja Vernichtung von Natur ins riesige ausgreift, stehen wir Lehmanns strenger Naturlyrik neu gegenüber. So heil und zeitlos wie er können wir die Natur nicht mehr sehen, aber die Präzision, mit der sie in seinen Versen erscheint, läßt ihr dichterisches Bild zum Mahnbild werden und seine Verse als ein inständiges, weil völlig unsentimentales Memento naturae lesen.
Eberhard Haufe, MärksicherVerlag Wilhelmshorst, Klappentext, 2011
BESTAND
Für Wilhelm Lehmann
Ein Gott schuf in uns das Gedicht.
Der Schatten eigner Gegenwart
Vergeht vor diesem Licht.
Vergeht die Zeit im Augenblick –
Des Vogelfluges Fährte bleibt
Bestand der Luft. Am Rand
Verwehter Wolken treibt
Das eigene Geschick.
Hermann Kasack
Gerd Mahr: Dichtung und Dasein
Die Tat, 29.4.1972
Heinz Richter: Pansflöte und Abgesang
neue deutsche literatur, Heft 5, Mai 1982
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