William Carlos Williams: New Places ・Neue Orte

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von William Carlos Williams: New Places ・Neue Orte

Williams/Holy-New Places ・Neue Orte

DER POLARBÄR

sein Fell gleicht dem Schnee
tiefem Schnee
dem männlichen Schnee
der Attackiert und tötet

schweigend wie er fällt zum Schlaf
die Welt
einhüllend damit
die unterbrochene Stille zurückkehre

um bei uns zu liegen
die Arme
um unseren Hals
eine kleine Weile mörderisch

 

 

 

Das poetische Geschenk

– Wallace Stevens überläßt William Carlos Williams zwei Verse. –

Anders als ihre berühmteren Zeitgenossen T.S. Eliot und Ezra Pound, haben Wallace Stevens (1879–1955) und William Carlos Williams (1883–1963) die englischsprachige Lyrik dieses Jahrhunderts geprägt, ohne die amerikanische Kleinstadt gegen die europäische Großstadt zu vertauschen. Sie arbeiteten und wohnten in der neuenglischen Provinz: Stevens in Hartfort, Connecticut, und Williams in Rutherford, New Jersey. Und beide führten eine bürgerliche Existenz: Stevens war Jurist und brachte es bei einer großen Versicherung bis zum Vizepräsidenten; Williams war Arzt und hatte eine gutgehende Praxis. Als Stevens 1955, kurz vor seinem Tod, für den Band seiner gesammelten Gedichte den renommierten National Book Award bekam, soll sein engster Mitarbeiter in der Hartford Accident and Indemnity Company verwundert ausgerufen haben: „Wally, poetry!?“ Auch Williams’ Patienten wußten nicht viel von seinem anderen Leben und wären wahrscheinlich genauso überrascht gewesen, wenn sie davon erfahren hätten.
Die Routine des unpoetischen Provinzalltags lockerten regelmäßige Ausflüge in die nahe Metropole auf: New York war nur wenige Stunden von Hartford wie von Rutherford entfernt. Stevens war ein subtiler Kunstkenner, der sich eine kleine, aber um so feinere Sammlung zusammenkaufte; Williams’ Freundschaft mit dem Maler Charles Demuth wurde zu einer Legende der amerikanischen Moderne. In der New Yorker Kunstszene lernten sich der dichtende Jurist und der dichtende Arzt 1915 kennen und schätzen; schon bald führten sie eine angeregte Korrespondenz. Im Herbst 1915 berichtete Stevens seinem Freund in mehreren Briefen von der Arbeit an einem längeren Gedicht. Besonders die letzte Strophe beschäftige ihn, und von dieser Strophe monierte Williams denn auch zwei Verse – zwei Verse, auf die Stevens schließlich verzichtete und die er Williams schenkte. Williams, der das Gedicht in seiner Endfassung großartig fand, bedankte sich für das Geschenk und machte durch bloße Umstellung der Wörter aus den beiden Versen ein eigenes Gedicht. Beide Gedichte, Wallace Stevens’ „Sunday Morning“ und William Carlos Williams’ „The Red Wheelbarrow“, wurden in der legendären Zeitschrift Poetry veröffentlicht. Stevens nahm sein Gedicht in seinen ersten Sammelband Harmonium (1923) auf; Williams integrierte das seine in die Complete Collected Poems (1933). Die Geschichte der geschenkten Verse wurde nicht bekannt – nicht, weil sie verheimlicht worden wäre, sondern weil niemand darauf stieß. Auch die Korrespondenz zwischen Stevens und Williams ist nicht veröffentlicht worden, aber Auszüge erschienen 1981 in The Hudson Review. Es folgen die Briefstellen, die die Schenkung der beiden Verse dokumentieren.

WS an WCW: „Anbei die letzte Fassung dessen, was ich schließlich Sonntagmorgen genannt habe. In der ersten Strophe sollte ich vielleicht noch Morgenrock (wrapper) in Negligé (peignoir) ändern – Du kennst (und beklagst) meine Vorliebe für das schickere Wort. In derselben Strophe befriedigt mich die Zeile Und das sanfte Schnarchen eines Pekinesen nicht. Ich habe ja gar nichts gegen die kleine Foufou meiner Frau, aber hier fühle ich ein Bedürfnis nach mehr Farbe und scheue mich nicht, Foufou mit einem Fußtritt auf ihren gefiederten Hintern aus dem Gedicht zu stoßen. Wäre Und die grüne Freiheit eines Kakadus eine Verbesserung? (Wenn ja, dann sollte aus helles braunes Fell in Zeile 9 helle grüne Flügel werden.) Ich hoffe, Dir ganz bald die letzten Zeilen der letzten Strophe zu schicken. Sie verursachen mir akute Anfälle von dem, was Deine Patienten Sodbrennen nennen und ich ein Ärgernis.

WCW an WS: „Noch nie einen grünen Kakadu gesehen. Kakadus sind rosa. Bin froh, daß Du Foufou loswerden willst. […] Gedicht sehr gut, wirklich, eins Deiner besten. Freue mich auf letzte Verse.“

WS an WCW: „Nach Einnahme großer Mengen von Bromsalz gegen mein Ärgernis bin ich vorläufig zu folgendem Schluß für Sonntagmorgen gekommen:

Hirsche ziehen über unsre Berge, und
Um uns schallt instinktiver Wachtelschlag;
Süße Beeren reifen in der Wildnis; und hier,
Zu Hause, an unseren Herden und Herzen,
Hängt soviel ab von einem roten Schubkarren
Glasiert im Regenwasser zwischen den weißen Hühnern,
Daß wir häuslich, wild und froh zugleich sind.

Was ich natürlich möchte, ist, unmerklich auf die glückhafte Häuslichkeit vom Anfang zurückzuverweisen, aber ich finde, daß Schubkarren und Hühner noch keine Negligés und Kakadus suggerieren. Hast Du ein Mittel, Doktor, in Deiner kleinen schwarzen Tasche?“

WCW an WS: „Noch nie einen roten Schubkarren gesehen. Schubkarren sind grün. Ich meine, die auf einem Bauernhof. Habe in Nantucket mal einen blauen gesehen, aber das war ein Vorgarten-Schubkarren. Mit Petunien drin. Und was die Hirsche anbelangt, die über die Berge ziehen – sie laufen eher um ihr Leben. Keine Hirsche in der Gegend von Paterson. Kaum Wachteln, wenn überhaupt. Aber viele Stare, besonders hier draußen. In der Stadt Tauben in Hülle und Fülle. Warum zwischen den weißen Hühnern? Stimmt zwar, besser aber neben. Hühner sind stets überall, bleiben nie stillestehen, besonders die weißen Leghorns nicht. Du willst doch ein Stilleben, keinen Massenauflauf. Habe aber gegen die ganze Bauernhofgeschichte Bedenken, aus demselben Grund wie Du. Schlage vor, die ganze Strophe mit den wilden Beeren aufzufüllen. Keine wilden Beeren in der Gegend von Paterson, soviel ich weiß. Habe einmal einen Patienten wegen Beriberi behandelt, ist nicht dasselbe. Witz.“

WS an WCW (Telegramm): „TAUBEN KOMMA KLAR AUSRUFEZEICHEN ZUTIEFST VERBUNDEN KOMMA MON CHER GUILLAUME STOP JUHU MEHRERE AUSRUFEZEICHEN“

WCW an WS (Postkarte): „[…] Eins zu null für Dich, was den Kakadu betrifft, gestern kam Patient mit einem großen grünen. Chronischer Schluckauf oder sowas. Überwies Fall an Tierarzt, höre daß er diese Woche wieder nüchtern ist. Was ist jetzt mit den Tauben?“

WS an WCW: „Wie schon Foufou (die in Ungnade gefallen ist, weil sie schon wieder auf meinem Perserteppich gepinkelt hat), ist alles, was Du als Bauernhofgeschichte beschrieben hast, endgültig raus aus dem Gedicht. Der Schubkarren ist Deiner, wenn Du ihn willst, obwohl ich den Verlust von Glasiert im Regenwasser eigentlich bedaure […]. Sicher hast Du recht, daß landwirtschaftliche Schubkarren gewöhnlich grün sind, aber vergangenen Oktober habe ich einige eindeutig rote Schubkarren beobachtet, als ich die herbstliche Verfärbung der Blätter in Vermont bewunderte. Wahrscheinlich hatten sie noch Farbe übrig, nachdem sie ihre Bauernhäuser für Norman RockweIl gestrichen hatten.“

WCW an WS (Telegramm): „LASS DIE SCHUBKARREN ERKLÄR JUHU-TAUBEN“

WS an WCW: „Zu Deinem beharrlichen Interesse an Tauben, was ich mit Tauben, klar! sagen wollte, ist, daß besagte Vögel einerseits nicht so wild sind wie die vorher bemühten Wachteln und andererseits nicht so domestiziert wie die jetzt vertriebenen weißen Leghorns. Ihr Status ähnelt wirklich dem des Kakadus, weder ganz wild noch ganz zahm. Insofern spielen die letzten Zeilen der letzten Strophe auf die ersten Zeilen der ersten Strophe an:

Und allein
Am Himmel, abends, wiegen Taubenschwärme sich
In unbestimmtem Auf und Ab und sinken

Nieder in die Dunkelheit auf ausgestreckten Flügeln.

Ich hoffe, Du bist damit zufrieden. Ich habe mir eingeredet, daß ich es bin.“

WCW an WS: „Neue Zeilen ganz heiß, wie man sagt, besonders unbestimmtes Auf und Ab. Kenne eine Frau, die so geht, allerdings glücklich verheiratet. Warum ausgestreckte Flügel? Wie könnten sie sonst fliegen? Nein. Nein, ah, ich verstehe. Blöde Frage. Entschuldige Bemerkung über Auf und Ab. Sie sinken in die Dunkelheit, indem sie nach unten gleiten. Flügel schlagen nicht, sind ausgestreckt. Schön. Ganze Strophe, ganzes Gedicht, besser konntest Du’s nicht. Besser kann es keiner. Im Ernst, Wallace. Übrigens, danke für den roten Schubkarren. Habe vielleicht Verwendung dafür.“

Stefana Sabin, Akzente. Zeitschrift für Literatur, Heft 4, August 1991

 

Zum 90. Geburtstag des Autors:

Hans-Jürgen Heise: Willliam Carlos Williams: die Demokratisierung der Metapher
Die Tat, 15.9.1973

Fakten und  Vermutungen zum Autor + IMDbPennsound

 

William Carlos Williams – Eine kurze biographische Dokumentation.

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