Vogelstimmen.
Verkehrslärm.
In den niedrig gehenden
Beweggründen der Sonne
stolpert der Demiurg
in sein Metronom
verschluckt, überzählt sich.
Erzählt sie.
Die Augen schweifen lassen. Die Eindrücke, das Denken über die Eindrücke wie von Aussen betrachten. Dann die Worte setzen, einige vorher noch zuschneiden. So entstehen die Gedichte in dem Dichter Wolfram Malte Fues, der, um die Brüchigkeit der Sprache wissend, dennoch feste Gebäude schafft. Manchmal auch nur die Gerüste. Doch die Statik der Gedichte hält stand.
Lyrik Edition 2000, Klappentext, Juni 2014
InZwischen lautet der in der Lyrikedition 2000 im Allitera Verlag München erschienene Gedichtband mit Zeichnungen von Thitz, den der deutsch-schweizerische Germanist, Hochschullehrer, Essayist und Lyriker Wolfram Malte Fues unlängst veröffentlichte. Zu den Forschungsschwerpunkten des 1944 in Bremen geborenen und seit 1965 in der Schweiz lebenden Professors und Literaturwissenschaftlers gehören Arbeiten zum deutschen Roman von der Aufklärung bis zur Gegenwart, zum Diskurs der Geschlechterdifferenz in der deutschen Aufklärung, zur klassischen und zur modernen Ästhetik, zur Postmoderne, zur Medien- und Wissenschaftstheorie. Er publizierte Lyrik und Essays in deutschen, schweizerischen und österreichischen Literaturzeitschriften und Anthologien, wirkt aktiv am Internationalen Lyrik-Festival Basel mit. Im Dezember 2013 war Fues Gast des Departments für Germanische Sprachen und Literaturen an der Universität Bukarest, wo er im Rahmen der Nacht der deutschen Kultur aus seinen Werken las.
Schon der Titel des 128 Seiten starken Lyrikbandes deutet auf einen Autor hin, der die deutsche Sprache in ihrer Grammatik und Syntax, in ihren feinsten rhetorisch-stilistischen Nuancen beherrscht. An folgendem Beispiel (S. 6) soll diese Behauptung veranschaulicht werden:
Die Zeit ist in den Fugen.
Zeit (a : b = c : d) Fugen.
In = Fugen
aaaaZeit
Den plus Die mal
Wurzel aus minus Ist
Fugen-Zeit?
Für Unbefugte
Zutritt geboten.
Die Texte von Fues sind manchmal hermetisch und schwer, manchmal kristallklar und einfach zu verstehen. Auf jeden Fall sind sie gründlich durchdacht und bis ins kleinste Detail ausgefeilt. Der Tonfall ist raffiniert und sicher. Zu den oft verwendeten Stilmitteln gehören die Alliteration:
Unter Dach ohne Dach
schlafen die Blitze.
Am Felsüberhang
bauen die Donner
auf Dächer für später.
Der Fels hängt seinen
Gedächtnissen an
ohne Hang
zu ihren. (S. 12)
Auch Aufzählungen, Enjambements, Anapher, Ding- und Farbsymbole sind in den Gedichten anzutreffen. Diese verleihen den Texten lyrische Substanz und philosophische Tiefe:
Tunnel
Tag
Tunnel
Wille und Schicksal.
Sinn und Geschichte.
Geist und Gesetz.
Mit dem Teleprompter
Leben schreiben
unter Berg durch Tal. (S. 14)
Wissen und Bildung werden vom Dichter souverän eingesetzt:
Die Sonne wandert
über Hegel und Marx. Gleich
fällt sie auf Nietzsche. Benjamin
liegt mit Adorno
schon halb im Schatten. Heute
geht sie mit Peirce und Bloch. Morgen
wird Anderswertag. (S. 28)
Fues bevorzugt pointierte, aphoristische Ausdrucksweisen, woran sein solides geistesgeschichtliches Format zu erkennen ist.
Subtile Ironie und Anspielungen auf den Zeitgeist machen aus einem auf Anhieb harmlos klingenden ein vielschichtiges Gedicht:
Ein Baum wie
eine Antenne.
Eine Antenne
wie ein Baum.
Demnächst
botschaften Bäume
blühen Antennen. (S. 44)
Einfallsreiche Wortspiele und kluge Aperçus versteht Fues meisterhaft zu handhaben:
Das andere Land
dasselbe Land
wie dieses Land.
Nur. Aber. Obwohl.
Nichts schlechterdings desto.
Trotz möglicherweise dem.
Viel
leicht.
Gleich
viel.
Disney-land. (S. 36)
Unerwartete Wortkombinationen und -assoziationen überraschen und ergötzen zugleich:
Sonnenterrasse
Scheibenradgrosse
Sonnenbrille.
Brillenglasgroße
Gurkenscheiben. (S. 26)
Das Substantiv „Nummer“ und seine Zusammensetzungen rekonstruieren den Alltag im heutigen Leben eines jeden von uns:
Eine Versicherungs-Nummer
eine Telefon-Nummer
eine Konto-Nummer
eine Auto-Nummer
eine Pass-Nummer
eine Haus-Nummer
sind gestrichen
und unterm Strich
wie neu. (S. 94)
Eine Art Autobiografie lesen wir aus folgenden Zeilen heraus:
Seit ich 20 bin
hab‘ ich in der linken Hosentasche
meinen Autoschlüssel.
Seit ich 70 bin
hab‘ ich in der linken Hosentasche
keinen Autoschlüssel.
Unter dem Druckknopf
des Schlüsseletuis
macht seine Geschichte
sich fertig
zum Dreisatz. (S. 114)
Eine Stilfigur wie die Paronomasie zu erfinden, ist eine Kunst, die nicht jedem liegt, doch in den Gedichten von Fues trifft man sie oft an:
Die Kälte hat sich
ins Kalte gerettet.
Hat mich
kalt
vor Kälte gerettet. (S. 118)
Die Verse „Schläft ein Wie / in den Dingen, die nein / zueinander sagen?“ (S. 46) erinnern an Eichendorff, Benn wird andernorts heraufbeschworen:
Er
war sich sicher
über Steigen und Fallen. (S. 110)
Wie sich die Denk- und Schreibweise von Fues entwickelt, wie die Worte ins Rollen kommen und einprägsame Bilder entstehen lassen, verdeutlicht folgendes existentialistisches Gedicht:
Mir tut nichts leid.
Mir tut nichts weh.
Mir macht nichts Angst.
Mir macht nichts Lust.
Mir ist nichts schwer.
Mir ist nichts leicht.
Ist wer?
Tut nichts.
Mach. (S. 102)
Oder das vorletzte Gedicht im Band, das, wie alle anderen, keinen Titel trägt:
Ich verliere das Augenlicht
Ich verliere das Licht
Ich verliere die Augen
Ich verliere
Ich verlier
Ich. (S. 122)
Ausgefallene Wortschöpfungen faszinieren immer wieder den Leser und regen ihn zum Nachdenken an:
Der Nebel hebt sich
sich auf
über ihn winterhin
hebelnden Herbst. (S. 52)
Die Gedichte von Wolfram Malte Fues stehen in einer langen Tradition der deutschen Lyrik und spannen den Bogen vom experimentellen Charakter der Jahrhundertwende über das Dinggedicht und Seherlebnis zum Surrealismus bis zur konkreten Poesie. Die Zeichnungen von Thitz, dem Fues in der Galerie Mollwo in Riehen begegnete, bieten visuelle Interpretationsalternativen für die nicht immer leicht zu entschlüsselnden Texte. Sie bestehen aus einfachen, wesentlichen Linien, Buchstaben, Zahlen, Sprechblasen, Figuren, Signaturen, Konturen und verwandeln den Gedichtband in eine einmalige gehaltvolle Mischung von Bildkunst und Gedankenlyrik.
Jayne-Ann Igel: „Die Zeit ist in den Fugen“
signaturen-magazin.de
Paul-Henri Campbell: Wolfram Malte Fues InZwischen
dasgedichtblog.de
Schreibe einen Kommentar