Friedhelm Rathjen, (c) Katrin Samulowitz
Warum ausgerechnet James Joyce – geht’s nicht auch ’ne Nummer kleiner? Sicher geht das, aber das entspricht nicht meinem Naturell, ich gehe gern aufs Ganze. Beim Radfahren, vorzugsweise durch irische Landschaften, bevorzuge ich große, schwere Übersetzungen, kleine Gänge bringen mich nicht weiter, und in der Literatur halte ich es ebenso. Kurz nach meiner ersten Irlandtour also las ich den Ulysses, es war mein Leser-Entrée in die Weltliteratur, seither gibt es für mich keine unlesbar schweren Bücher mehr – alles ist lesbar, vorausgesetzt man erliegt nicht dem Irrglauben, mit Freude und Gewinn lesbar und erlebbar sei nur, was sofort komplett durchschaubar ist. Joyce traf mich mit ebensolcher Wucht wie kurz zuvor sein rätselhaftes Heimatland, lesend und reisend kehre ich immer wieder zurück, verstehe sowohl Irland als auch Joyce mit zunehmender Beschäftigung immer besser, auch wenn ich weiß, dass die begeisternde Eindrücklichkeit des erstens Mals sich nicht wiederholen lässt. Ich beneide alle, die ihre erste Irlandreise oder ihre erste Joyce-Lektüre oder vielleicht gar beides noch vor sich haben, und kann nur dazu raten, sich auf beides so offen und unvoreingenommen wie möglich einzulassen. Die Irlandreise beginnt sinnvollerweise in Dublin, die Joyce-Lektüre beim Porträt des Künstlers als junger Mann.
Meine Tätigkeit als Übersetzer hingegen begann mit Abschnitten aus Finnegans Wake, dem «unübersetzbarsten» aller Bücher, wie es grammatisch falsch, aber in der Sache durchaus zutreffend gelegentlich heißt. Seither erkenne ich in anderen Büchern keine übersetzerischen Hürden mehr, die zu hoch wären, um übersprungen zu werden; übersetzbar ist alles. Natürlich auch der frühe Joyce, mit dem späten verglichen wirkt er beinahe schlicht und simpel, das erweist sich bei näherem Hinsehen jedoch als Täuschung. Bei Joyce ist jeder Satz, jedes Wort, jeder Ton genau bedacht und auf präzise Wirkung hin angelegt, die Sprache transportiert nicht einfach nur einen Inhalt, sondern in ihrer Gestalt selbst steckt eine Aussage, die den Inhalt in ein bestimmtes Licht rückt und indirekt kommentiert. Ein Porträt des Künstlers als junger Mann schildert den Reifeprozess und die Identitätsfindung des Helden in einer Sprache, die mit dem Heranwachsenden mitwächst, dessen Streben nach Individualisierung präzise begleitet, vom «feinches kleinches Jungchen» der ersten Seite bis zur hochfliegenden Selbststilisierung der letzten Seite, «auf dem Amboss meiner Seele das ungeschaffene Gewissen meines Volkes zu schmieden». Die bewusste und zielgerichtete Absetzbewegung des jungen Helden von allen Verstrickungen und Konventionen spiegelt sich in einer Sprache, die zunehmend auf Distanz zu Floskeln und Klischees geht und sich keiner stilistischen Konvention unterwirft, sondern nur das tut, was der Verfolgung der je eigenen Ziele dienlich ist. Auch der Übersetzer darf sich folglich nicht an die Konventionen seiner Sprache binden, wo Stephen Dedalus die Konventionen seiner Welt übertritt, sondern muss bei jeder Silbe und selbst noch in der Zeichensetzung auf hellhörige Weise sprachbewusst vorgehen. Joyce hatte ein phänomenal gutes Gehör, und das nutzt er schon in seinem ersten Roman. «Schmarotzer war ein komisches Wort», überlegt der noch ganz junge Stephen und erinnert sich dabei an das Geräusch im Abfluss eines Waschbeckens, «das so klang: schmarotz. Bloß lauter.» Ein Schmarotzer der Sprache war Joyce, er bediente sich ohne Skrupel bei allem, was er hörte, und ließ auf diesem Nährboden aus allem, was die Sprache hergab, sein eigenes Werk gedeihen.
Darum also Joyce. Alles andere wirkt daneben klein. Joyce ist der Kosmos, der alles bietet.
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