Das Problem unserer Regierung ist die Demokratie

Wer hat das zu verantworten? Recep Tayyip Erdoğan wird mit einer Wahlmehrheit zum Alleinherrscher der Türkei. Donald Trump wurde Präsident der USA. Und die Briten stimmten in der Mehrheit für den Brexit. Haben die Wähler eigentlich die Konsequenzen ihrer Wahlentscheidung vor Augen, wenn sie solche Entscheidungen treffen? Jason Brennan meint: Nein. 

von Jason Brennan 

Titel

Wie kann nur jemand wie Donald Trump Präsident werden?

Um Wahlen zu gewinnen, müssen Politiker sich für Programme einsetzen, die Wähler ansprechen. Aber die meisten Wähler sind über die grundlegenden Fakten, die für die Wahlen eine Rolle spielen, systematisch schlecht informiert, und viele von ihnen befürworten Programme, die sie ablehnen würden, wenn sie besser Bescheid wüssten. Wir bekommen eine schlechte Regierung, weil die Wähler kaum wissen, was sie tun.

Und das Schlimmste daran: Es gibt wenig, was wir dagegen tun könnten. Unser demokratisches System selbst trägt dieses Problem in sich. Mehr Bildung ist nicht die Lösung. Die Wähler sind heutzutage gebildeter als in der Vergangenheit, aber sie sind andererseits ebenso ignorant, wie sie es vor 65 Jahren waren. Wir könnten von ihnen verlangen, dass sie eine Prüfung ablegen, um sich das Wahlrecht zu verdienen, aber das wäre verfassungswidrig, und nur wenige Menschen würden eine solch undemokratische Maßnahme befürworten. Bestenfalls könnten wir etwas an der Kultur des Wählens ändern. Wir könnten uns für die Vorstellung starkmachen, dass Bürger nicht nur wählen, sondern auch informiert sein sollten.

Wir könnten von ihnen verlangen, dass sie eine Prüfung ablegen, um sich das Wahlrecht zu verdienen, aber das wäre verfassungswidrig

65 Jahre ist es her, dass Wissenschaftler zu untersuchen begannen, was Wähler wissen und wie sie denken. Die Ergebnisse sind deprimierend. Der Durchschnittswähler weiß, wer der Präsident ist, aber nicht viel mehr. Wähler wissen nicht, welche Partei den Kongress kontrolliert, wer ihre Vertreter sind, welche neuen Gesetze erlassen wurden, wie hoch die Arbeitslosenquote ist, oder wie es um die Wirtschaft steht. Zum Zeitpunkt der US-amerikanischen Präsidentschaftswahl von 2000 wusste zwar etwas mehr als die Hälfte der Wähler, dass Al Gore liberaler als George W. Bush ist, andererseits schienen sie aber nicht zu wissen, was der Ausdruck „liberal“ bedeutet. Deutlich weniger als die Hälfte wusste, dass Gore sich stärker für das Recht auf Abtreibung, staatliche Wohlfahrtsprogramme oder strengere Umweltauflagen einsetzte und ein höheres Maß an Unterstützung für Schwarze befürwortete.

Hoch informierte Wähler haben systematisch andere politische Präferenzen als wenig informierte Wähler, sogar wenn man alle möglichen demografischen Faktoren herausrechnet,  die unsere Weltanschauung beeinflussen können. Der Politikwissenschaftler Martin Gilens fand beispielsweise in einer Studie heraus, dass sich hoch informierte Anhänger der demokratischen Partei stärker für freien Handel, Abtreibungsrechte, Bürgerrechte, Rechte von Homosexuellen und eine weniger aggressive Außenpolitik aussprechen als wenig informierte Wähler. Der Politologe Scott Althaus und der Ökonom Bryan Caplan kommen unter Verwendung anderen Datenmaterials zu den gleichen Ergebnissen. Aber die amerikanische Wählerschaft als Ganzes teilt die Präferenzen von wenig informierten Wählern, ganz einfach, weil es davon sehr viel mehr gibt.

Wenn diese Wähler sich die Mühe der Informationsbeschaffung machen, nutzen sie dafür Nachrichtenquellen und Experten, die ihre Ansichten teilen. Mit der anderen Seite, die sie für dumm und böse halten, kommunizieren sie so gut wie nie. Lesen sie etwas, das ihre Meinung widerlegt, stellen sie sich stur und beharren darauf, trotzdem recht zu haben.

 

Foto: Lars Plougmann | Flickr | CC BY 2.0

 

Es ist kein Geheimnis, warum die meisten Wähler so sind…

Stellen Sie sich vor, Sie nähmen an einem Universitätsseminar mit tausend Studierenden teil. Die Professorin teilt dem Kurs in der ersten Sitzung mit, dass sie vorhat, alle Noten zu mitteln und am Ende allen Studierenden die gleiche Note zu geben. Die meisten Studierenden würden sich nicht die Mühe machen, zu lernen, und die Abschlussnote entspräche wahrscheinlich einer „6“.

So verhält es sich auch mit dem Wählen. Wie die gesamte Wählerschaft abstimmt, ist wichtig, wie die einzelnen Wähler abstimmen, ist es nicht. Das Ergebnis ist, dass für die meisten individuellen Wähler die Kosten des Erwerbs politischer Informationen die zu erwartenden Vorteile übersteigen. Es ist nicht so, dass die einzelnen Wähler für sich genommen dumm sind; es ist so, dass sie sich einfach nicht darum kümmern. Sie reagieren rational auf die negativen Anreize, die die Demokratie setzt.

Das spiegelt sich auch im Problem der Luftverschmutzung wider. Als Individuum kann jeder nach Herzenslust verschmutzen. Einen Prius zu kaufen, wird die Welt nicht retten, und eine Spritschleuder zu fahren, wird nicht ihr Ende bedeuten. Wenn wir aber alle ohne Rücksicht auf die Konsequenzen handeln, bekommen wir einen bedrohlichen Klimawandel. Wie bei der Luftverschmutzung, handelt es sich bei der „Wahlverschmutzung“ um ein Problem des kollektiven Handelns.

Einige Theoretiker argumentieren, dass Wähler zu ihrer Information Shortcuts nutzen können, um sich das Wählen zu erleichtern. Das ist teilweise richtig. Sicher, das Zweiparteiensystem macht die Sache einfacher, weil die Wähler sich zwischen nur zwei Plattformen entscheiden müssen. Andererseits wissen die meisten Wähler kaum etwas darüber, was diese zwei Parteien tun werden oder getan haben – und viele Parteien vertreten die Programme, die sie vertreten, nur, weil sie versuchen, attraktiv für wenig informierte Wähler zu sein. Ähnlich können Wähler Meinungsmacher und Experten darüber zurate ziehen, wie sie abstimmen sollten, aber die meisten Wähler konsultieren „Experten“, die mit ihnen einer Meinung sind.

Wähler sind schlecht informiert, weil sie keinen Anreiz haben, informiert zu sein.

Vielleicht könnten Regierungen etwas unternehmen, um das zu ändern. Nehmen wir mal an, dass zwei Wochen vor der Wahl die Regierung irgendeine Art „Wissenstest zu den Grundlagen der Politik“ unters Volk bringt und jedem, der ihn besteht, einen Steuernachlass von 500 $ gewährt. Das würde die Wähler dazu anspornen, sich mit den grundlegenden Fakten vertraut zu machen, obwohl der marginale Nutzen die Ausgaben womöglich nicht wert wäre.

In einem Land, das vollständig aus hoch informierten Wählern bestünde, hätte Trump niemals eine Chance gehabt, und die Demokraten hätten wahrscheinlich eine viel bessere Kandidatin als Hillary Clinton ins Rennen geschickt. Aber Wähler gleichen mehr Fahnen schwenkenden Sportfans als nüchternen Sozialwissenschaftlern. Wir können das Problem nicht lösen. Die Demokratie selbst trägt es in sich.

Dieser Text erschien ursprünglich in der Washington Post

 


 

Das Buch 

VS_9783550081569-Brennan-Gegen-Demokratie_U1.inddJason Brennan erhebt eine provokante Forderung: Die Demokratie soll endlich nach ihren Ergebnissen beurteilt werden. Und die sind keineswegs überzeugend. Demokratie führt oft dazu, dass lautstarke Meinungsmacher den Bürgern ihre fatalen Entscheidungen aufzwingen. Zumal die Mehrheit der Wähler uninformiert ist, grundlegende ökonomische und politische Zusammenhänge nicht begreift, aber dennoch maßgeblich Einfluss auf die Politik ausübt. Wir sollten anerkennen, dass das Wahlrecht kein universales Menschenrecht ist, sondern nur verantwortungsvollen, informierten Menschen mit politischen Kompetenzen zusteht.

 

Links 

„Gegen Demokratie“ auf den Seiten der Ullstein Buchverlage 

Die offizielle Website von Jason Brennan 

Resonanzraum #3: Jason Brennan und Ulrike Guérot über die Zukunft der Demokratie 

 

Jason Brennan

Jason Brennan

Jason Brennan ist Philosoph, Experte für politische Theorie und Autor mehrerer Bücher. Er ist Professor für Strategie, Wirtschaft, Ethik und Staatswissenschaft an der McDonough School of Business at Georgetown University. Seine Forschungsschwerpunkte sind Demokratietheorie, Wahlrechtsethik, politische Philosophie und Wirtschaft.

Foto: © privat

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