Wenn die afrikanische Autorin Yewande Omotoso über gefährliche Frauen nachdenkt, schweben ihr Frauen vor, in deren Gegenwart die Gefahren des Lebens auf einen ebenbürtigen Gegner treffen. Im Essay spricht sie über die Entschlossenheit ihrer Mutter, den Zorn ihrer Großmutter – und über all die Frauen in ihrem Leben, die sich im Angesicht von Unterdrückung zu behaupten wussten.
von Yewande Omotoso
Eine ernsthafte Form der Liebe
Wenn ich an gefährliche Frauen denke, denke ich nicht an Frauen, in deren Gegenwart ich mich in Gefahr befinde. Wenn ich an gefährliche Frauen denke, denke ich an Frauen, in deren Gegenwart die Gefahren des Lebens auf einen ebenbürtigen Gegner treffen. Ich spreche hier von Gefahren wie der Heuchelei, dem Patriarchat oder den Regeln, die überhaupt keine Regeln sind, sondern einfach nur Mittel, die Freiheit zu missachten und diejenigen zu unterdrücken, die es wagen, ihre Stimme zu erheben.
Ich habe solche Frauen gekannt, sie durchziehen mein Leben. Es ist nicht so, wie es klingt; manche geben sich zwar grimmig, aber viele von ihnen sind freundlich, wortkarg und friedliebend.
In meiner Kindheit kannte ich viele Mütter. Meine eigene, Marguerita, war sanftmütig. Ihre Gefahr kam vielmehr in dem Mann zum Ausdruck, den sie liebte. In den späten 1960er Jahren hätten an der Edinburgh University die meisten wahrscheinlich vermutet, dass ein nigerianischer Mann, der ihnen den Hof macht, daheim im „dunklen“ Afrika eine ganze Horde von Frauen haben müsse. Meine Mutter, die von der Insel Barbados stammte, machte sich hingegen keinen Kopf darüber, und Jahrzehnte später kam ich auf die Welt.
Erst als Erwachsene, als Frau, kommt mir in den Sinn, wie mutig meine Mutter gewesen sein muss, so überzeugt von der Sache zu sein und nach Nigeria zu ziehen.
Ihre Zungen sind Bögen, die Pfeile in die Welt schießen und nie ihr Ziel verfehlen.
Ich erinnere mich, wie ich als kleines Mädchen auf einer Feier war und die Erwachsenen beobachtete. Eine Freundin der Familie, an deren Namen ich mich nicht mehr erinnere, ging auf eine andere Frau zu und sprach Worte, die für eine Feier unangemessen waren. Es waren sehr deutliche Worte, nicht respektlos, aber auch nicht höflich. Ich habe die Person, an die sie sich wandte, in meiner Erinnerung Stella getauft. Stella, sagte sie, aber weißt Du denn nicht, dass Du schön bist!
Gefährliche Frauen machen sich manchmal bemerkbar, indem sie für Aufruhr sorgen. Stella war schön. Sie trug darüber hinaus die verräterischen Zeichen der Chemikalien, die sie auf ihre dunkle Haut aufbrachte, um sie aufzuhellen. Ich war acht oder neun und erstaunt, dass jemand auf diese Weise zu einer anderen Person sprechen konnte.
Viele Frauen von der Insel, auf der ich geboren wurde, sind so. Ihre Zungen sind Bögen, die Pfeile in die Welt schießen und nie ihr Ziel verfehlen.
Meine Großmutter war so eine Frau. Lange Zeit kannte ich nur ihre liebe Seite, bis ich eines Tages zu ihr sagte, wie nett sie sei und sie mir, einen Topf mit heißem Wasser in der Hand, antwortete: Meine Liebe, früher hätte ich Dir auf der Stelle das Wasser übergeschüttet. Ich erfuhr also, dass meine liebe Großmutter allem Anschein nach leicht reizbar gewesen war. Die meisten gefährlichen Frauen sind es, es ist eine wichtige Fähigkeit, dass sie auf ihren Zorn zurückgreifen können, dessen bloße Existenz die Ammenmärchen Lügen straft, die man uns über das liebreizende Wesen von Mädchen erzählt hat.
Die Cousinen meiner Mutter, meine Tantchen Betty, Maxine und Debbie, sind gefährlich in dem Sinne, dass sie ungeheuer präsent sind. Sie wissen, was es bedeutet zu lachen, obwohl sie auch geweint haben.
Es ist eine wichtige Fähigkeit, dass Frauen auf ihren Zorn zurückgreifen können, dessen bloße Existenz die Ammenmärchen Lügen straft, die man uns über das liebreizende Wesen von Mädchen erzählt hat.
Die Schwester meines Großvaters, ihre Mutter, verbringt jetzt die meiste Zeit in einem Rollstuhl, aber neulich sagte sie zu mir: Mensch, wenn ich nur jung wäre! Und ich verstand. Ich verstand, dass die Frau, die da so gebrechlich vor mir saß, das Leben in sich aufgesogen, es ganz und gar verinnerlicht hatte. Ich stelle mir vor, wie sie tanzte, sich verliebte, liebte , Kinder bekam und andere, wenn nötig, mit ihren Pfeilworten zurechtwies. Und wissen Sie, die Gefahr, wie sie sich in diesen Frauen manifestiert, war nie bejahender oder großzügiger.
Diese Gefahr hat eine neue Bedeutung. Sie ist eine ernsthafte Form der Liebe. Sich selbst, der eigenen Verwandtschaft und der Bestimmung des Lebens gegenüber. Gefährlich. Damals habe ich das nicht gesagt; ich war zu jung und antwortete Ärztin oder Mutter, aber fragen Sie mich jetzt mal, was ich werden will, wenn ich groß bin.
Dieser Essay erschien im englischen Original auf dem Blog des Dangerous Women Project der University of Edinburgh
Das Buch
Liebe deine Nachbarn? Leichter gesagt als getan. Das Fernglas ist ein Geschenk der Enkel, doch Marion interessiert sich nicht für Vögel. Die Nachbarn zu beobachten ist viel spannender. Hortensia ist die einzige Schwarze in dem wohlhabenden Viertel von Kapstadt. Und sie war schon immer eine Kämpferin, die es ablehnt, Schwäche zu zeigen. Durch einen Hausschaden muss Marion vorübergehend bei Hortensia einziehen. Das zwingt die Frauen zu unwillkommener Nähe. Ihre Gespräche sind temperamentvoll, doch sie erkennen in der anderen auch etwas Vertrautes. Beide haben harte Verluste und Ungerechtigkeiten erfahren. Oft genug waren auch ihre eigenen Entscheidungen falsch. Mit dem Mut zur Wahrheit und der Kraft der neu gewonnen Freundschaft stellen sie sich den großen Fragen im Leben.
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„Die Frau nebenan“ auf den Seiten der Ullstein Buchverlage
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