Aussteigen, innehalten, etwas ganz anderes machen? Gesa Neitzel arbeitete als Journalistin in Berlin und realisierte eines Tages, dass sie das, was sie tut, nicht erfüllt. Sie hat die Chance ergriffen, sich in der afrikanischen Wildnis auf neue Pfade zu begeben und ihr Leben wieder in die Hand zu nehmen – im wahrsten Sinne des Wortes. Wie es dazu kam, erzählt sie hier.
von Gesa Neitzel
Foto: Gesa Neitzel
Viele haben mich gefragt – und die Frage ist berechtigt – wie ich auf die Idee kam, eine Ausbildung zum Ranger in Afrika zu machen.
Der Grund ist der, dass ich im wahrsten Sinne des Wortes wieder auf dem Boden ankommen musste. Mein Leben verlief zu losgelöst von der Erde, auf der ich stand. Ich meine, ich hätte in Berlin monatelang allein in meiner Wohnung überleben können, ohne jemals vor die Tür gehen zu müssen. Ich war die meiste Zeit in geschlossenen Räumen; ich wusste nicht, wo die Lebensmittel herkamen, die ich täglich zu mir nahm; und wenn ich Bäume sah, dann nur solche, die von Menschenhand gepflanzt wurden. Bewegung erreichte ich in Form von Fitness oder Sport, nicht weil sie notwendig für meine Tätigkeiten gewesen wäre; mit meinen Nachbarn trat ich nur dann in Kontakt, wenn sie wieder mal zu laut waren; und außer Tauben am Bahnhof und Hunden an Leinen sah ich so gut wie nie ein lebendes Tier, geschweige denn ein wildes.
Ich benutzte meine Hände nicht. Meine Beine waren faul geworden; meine Sinne abgestumpft. Ich fühlte mich wie ein taubes Gliedmaß, das zwar noch an einem lebendigen Körper hängt, dort aber keinerlei Zweck erfüllte. Ich bekam von nichts genug; aber ich hatte von allem zu viel.
Als Kind hatte ich mir das anders vorgestellt, das Leben. Es war für mich ein großes Abenteuer, das Leben. Es war ein leeres Bilderbuch, das mit Farben gefüllt werden wollte, das Leben. Es war nicht das, was es geworden ist, das Leben.
Aber was ist es geworden, das Leben?
Grob gesagt sind es zwölf Stunden im Internet, acht Stunden im Schlaf und vier Stunden irgendwo dazwischen. Mir gefällt das nicht mehr. Und vielleicht hat es mir nie gefallen.
Ich will ein Leben führen, das wieder draußen stattfindet.
Ich will Holz hacken und Lagerfeuer machen und Stockbrot über den Flammen rösten. Ich will mich besinnen auf einfache Freuden und naturbewusste Lebensweisen und ich will nicht länger in dieser Blase leben, in der sich Unzufriedenheit nur mit Konsum beseitigen lässt.
Foto: Gesa Neitzel
Ich will durch Wälder wandern und wilden Tieren begegnen und Steinchen über das Wasser springen lassen. Ich will mit der Sonne aufstehen und der Welt zuschauen, wie sie jeden Morgen aufs Neue erwacht. Ich will Kräuter pflanzen und Kartoffeln ernten und am Ende des Tages eine Suppe daraus kochen.
Ich will wieder Kind sein und mich wundern über die Welt.
Wir leben auf einem blauen Planeten, der um einen brennenden Ball kreist und neben einem Mond, der unsere Meere bewegt… Wenn das an sich nicht schon ein Wunder ist, was dann? Nur kriege ich nichts mit von diesem Wunder. Ich bin ein ganz natürlicher Teil davon und habe es völlig vergessen. Ich bin zu digital, zu pixelig geworden.
Und ich schätze, das wäre vollkommen in Ordnung gewesen – wenn ich mich denn damit wohl gefühlt hätte. Aber das gelang mir nicht. Ich schien dafür nicht gemacht zu sein. Nun hätte ich natürlich auch einfach ein paar Mal öfter in den Spreewald fahren können, um das Problem zu lösen. Aber ich bin eine Reisende; ich suche meine Antworten in der Ferne. Und als sich mir für 2015 die Chance bot, mich in der Wildnis Afrikas weiterzubilden, habe ich mich Hals über Kopf in die Idee verliebt. Nun bin ich wieder da. Und habe im letzten Jahr so vieles gelernt von dieser wundervollen Welt; ich durfte eintauchen in den Alltag von Menschen, die ihr Leben draußen verbringen; und gehöre nun selbst zu ihnen.
Seitdem sich meine Schnapsidee in einen echten Neuanfang verwandelt hat, ist etwas Wundervolles passiert: Leute – sowohl Fremde, als auch Bekannte – kommen auf mich zu und erzählen mir von ihrem eigenen Wunsch, auszubrechen; etwas Neues zu machen; das anonyme Großstadtleben hinter sich zu lassen und endlich ihre Hände wieder zu benutzen.
…Was ich dann sage?
Lasst uns das packen.
Lasst uns ein paar Bienen retten und uns mit den Sternen zudecken, lasst uns Pullover stricken statt shoppen, lasst uns aufs Land ziehen und zusammen Holzhütten bauen und lasst uns wie Petterson und Findus Fleischklößchen im Gemüsebeet pflanzen. Wir sind mehr als unser Profilbild. Wir sind Menschen mit Haut und Haaren und Herzen und Händen.
Lasst sie uns benutzen.
Und dann lasst mal am Ende des Tages einfach kein Beweisfoto über die blau-weiße Pinnwand jagen. Es heißt, im Internet würden unsere Informationen für immer gespeichert. Doch es gehört mehr zu einer Erinnerung, als ein paar Daten und Pixel. Und der Ort, an dem ein Moment wirklich für immer gespeichert wird, ist und bleibt immer noch das Herz.
Foto: Gesa Neitzel
Das Buch
Gesa Neitzel wagt sich von Berlin in den Busch. Ihr Ziel: die Ausbildung zur Safari-Rangerin in Afrika. Das bedeutet zwölf Monate in einem einfachen Zeltlager. Ohne Internet, ohne Badezimmer, ohne Türen — dafür aber mit Zebras, Ameisenbären und Skorpionen. Die Ausbildungsinhalte bestehen aus Fährtenlesen, Überlebenstraining, Schießübungen. Wie schlägt sich eine junge Frau in dieser fremden Welt? Kann sie sich auf ihre Instinkte verlassen? Funktionieren die eigentlich noch? Sie erzählt von atemberaubenden Begegnungen mit Elefanten und Löwen, vom Barfußlaufen durch die Savanne, von langen Nächten unterm Sternenhimmel – und von einem Leben, das endlich richtig beginnt.
Links
Frühstück mit Elefanten auf den Seiten der Ullstein Buchverlage
Gesa Neitzels Blog Wonderful Wild