1952: Konrad Adenauer erholt sich im Schwarzwald, doch es gibt Morddrohungen, unter anderem aus Israel. Zu seinem Schutz wird die Mossad-Agentin Rosa Silbermann auf die Bühlerhöhe geschickt – doch sie hat eine Gegenspielerin vor Ort. Zwei Frauen mit Vergangenheit treffen in diesem Roman aufeinander – es sind die frühen Jahre der Bundesrepublik. Die Autorin Brigitte Glaser schildert den historischen Hintergrund ihres Romans Bühlerhöhe, erläutert ihren persönlichen Bezug zum Schauplatz und erzählt von der Arbeit am Buch.
Blick über den Schwarzwald (Foto: Arminia, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0)
Interview mit der Autorin
Wieso reizte Sie die Zeit der frühen 50er Jahre?
Die frühen 50er Jahre sind eine Zwischenzeit. Der Krieg ist vorbei, aber noch allseits präsent. Das Wirtschaftswunder zeichnet sich schon ab, ist aber noch nicht ganz da. Die frühen 50er Jahre sind zudem eine Zeit der kollektiven Verdrängung. Alle Nazi-Gräuel glaubte man mit den Nürnberger Prozessen abgegolten. Erst der Auschwitz-Prozess 1963 markiert den Beginn einer wirklichen Aufarbeitung der NS-Zeit. In den frühen 50er Jahren dagegen fühlten sich die Deutschen als Opfer und Verlierer. Man wollte das NS-Regime und die Schrecken des Krieges schnell hinter sich lassen, endlich die Trümmer beseitigen und nur noch nach vorne schauen. Verdrängung aber ist ein Kraftakt, und auch wenn man sich noch so sehr anstrengt, ist man nie davor gefeit, dass das, was man verdrängen will, wieder auftaucht. Das interessierte mich. Meine Hauptfiguren kämpfen alle auf unterschiedliche Weise mit ihren Verdrängungen.
Wie lief die Recherche für den Roman?
Am Anfang standen Oral Histories, Geschichten, die mir über die Höhenhotels erzählt wurden. Oral Histories sind aus Sicht des Erzählers immer wahr, aber Erinnerungen können trügerisch sein. Deshalb war der nächste Schritt, die erzählten Geschichten im historischen Kontext zu sehen und mit historischen Fakten zu konfrontieren. Was also geschah de facto als „Wiedergutmachung“ des Holocaust in den frühen 50er Jahren? Mit dieser Frage bin ich mitten in der Politik der jungen Bundesrepublik gelandet. Adenauer hat sich sehr früh auf der Seite der Westmächte positioniert, und es waren vor allem die Amerikaner, die auf eine Aussöhnung mit den Juden und auch mit Israel drängten. Nach zähen Verhandlungen und gegen große Widerstände in den eigenen Reihen hat Adenauer im September 1952 in Luxemburg ein Abkommen über Entschädigungsleistungen unterzeichnet. Die Auseinandersetzungen über diese Entschädigungsleistungen sind der reale Hintergrund, vor dem ich Bühlerhöhe spielen lasse.
Was hat sie bei der Recherche besonders überrascht?
Recherche ist immer ein Gang durchs Labyrinth. Man weiß nie, was hinter der nächsten Ecke lauert und ob man je ein Ende findet. Mein Ariadne-Faden „Wiedergutmachung“ hat mich tief in die Geschichte der Bundesrepublik hineingeführt. Ich wusste einiges über diese frühen Jahre, aber nichts über die Wiedergutmachung. Interessant fand ich die Geschichte des jungen Staates Israel, zu der ich für Bühlerhöhe viel gelesen habe. Die Besiedlung Palästinas, das englische Mandat, die aufreibende Staatsgründung, direkt danach der erste Krieg mit den arabischen Nachbarn. Sehr spannend fand ich auch, dass einige jüdische Frauen und Männer nach Ende des Krieges nicht im Exil oder der neuen Heimat Israel bleiben, sondern nach Deutschland zurückkehren wollten.
Gab es wirklich ein Attentatsversuch auf Adenauer auf der Bühlerhöhe?
Nein. Den Attentatsversuch auf der Bühlerhöhe habe ich erfunden. Meines Wissens sind die Urlaube des Kanzlers im Schwarzwald alle friedlich verlaufen. Aber es gab im Vorfeld des Wiedergutmachungsgesetzes zwei Briefbombenattentate. Eine direkt an Adenauer adressierte Briefbombe hat einen Münchner Sprengmeister im März 1952 beim Öffnen das Leben gekostet. Eine zweite Briefbombe, gerichtet an die Delegation in Kasteel Oud-Wassenaar bei Den Haag, die das Gesetz dort verhandelte konnte rechtzeitig entschärft werden.
Die beiden Hauptfiguren Rosa und Sophie sind beide sehr starke, aber auch sehr unterschiedliche Frauen. Gab es für beide Vorbilder im echten Leben?
Nein, nicht im Leben. Bei Sophie Reisacher habe ich mich von Frauenfiguren aus dem amerikanischen Film noir inspirieren lassen. Bei Rosa Silbermann von den wenigen starken Frauenfiguren in Western – weil ich mir Palästina auch immer ein bisschen wie den Wilden Westen vorgestellt habe – , aber auch von einer Frau wie Pilar aus Hemingways „Wem die Stunde schlägt“. Für ihre elegante, bourgeoise Seite, die Rosa qua Herkunft hat, hatte ich keine konkreten Vorbilder, aber solche Frauen finden sich viele in den Filmen der 50er Jahre.
Das Schlosshotel Bühlerhöhe (Foto: Ichneumon, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0)
Der Schauplatz
Brigitte Glaser und der Schwarzwald
Ich bin am Fuße des Schwarzwalds aufgewachsen. Dort, wo die Bundesstraße 3 die Grenze zwischen Schwarzwald und Rheinebene zieht. In meiner Kindheit wurde der Schwarzwald in Ausflügen erkundet: Kraxeln über den Karlsruher Grat, Bötchen fahren auf dem Mummelsee, Heidelbeeren sammeln am Ruhestein, den Weihnachtsbaum schlagen im Grimmerswald. Und Geschichten gab es: von der Nachtkrab und den Mummelseenixen, vom Krieg und den Franzosen; und vom Kanzler, der auf der Bühlerhöhe seine Ferien verbrachte.
Die Schwarzwaldhöhenhotels und die Bühlerhöhe
Von Höhenhotels, Kurhäusern, Sanatorien konnte im Nordschwarzwald bis Mitte des 19. Jahrhunderts keine Rede sein. Erst der aufkommende Tourismus ab Mitte des 19. Jahrhunderts veränderte die Situation. In wenigen Jahrzehnten mauserten sich die Buschwirtschaften zu florierenden Höhenhotels. Fast alle im Schwarzwälder Stil erbaut, aber mondän und mit dem Komfort der Zeit versehen, zogen sie Gäste aus Deutschland, aber auch ein internationales Publikum an. Der Ausbau der Schwarzwaldhochstraße in den 1930er Jahren verstärkte die Attraktion der Höhenhotels, die sich wie Perlen einer Kette entlang der nun gut ausgebauten Straße reihten. Da im Zweiten Weltkrieg keines der Häuser zerstört wurde, erlebten die Höhenhotels nach Ende der französischen Besatzung bis Ende der 1950er Jahre eine letzte Blütezeit.
Heute sind die meisten abgerissen, so auch das Hundseck. Einzige Ausnahme bildete von Anfang an die Bühlerhöhe. Die schlossähnliche Anlage, groß und prächtig, mit einem atemberaubenden Blick in die Ebene wurde in den 1910er Jahren nach den ehrgeizigen Plänen von Herta Isenbart gebaut. Bis zur Jahrtausendwende waren die Großen und Mächtigen des 20. Jahrhunderts hier zu Gast. Adenauer, später u.a. Bill Clinton und Nelson Mandela. Nach verschiedenen Besitzerwechseln steht die Bühlerhöhe zurzeit leer. Eine Investorengruppe aus Kasachstan hat das Hotel gekauft und angekündigt, das alte Haus 2017 in neuem Glanz wieder zu eröffnen.
Wer an mehr als Fotos zur Bühlerhöhe interessiert ist, der schaue sich den Tatort „Roomservice“ von 2015 an, der in weiten Teilen auf der Bühlerhöhe spielt.
Zum Zeitgeschehen
Adenauer und der Schwarzwald
In der Zeit von 1953 bis 1956 verbrachte Konrad Adenauer seine Ferien auf der Bühlerhöhe, wo er bereits vor dem Krieg zur Sommerfrische weilte. Er ging spazieren, ließ sich mit Frischzellen revitalisieren, bekam Besuch von seinen Kindern und traf sich mit örtlichen Honoratioren.
1954 verlegte er sogar eine Kabinettssitzung auf die Bühlerhöhe. Sehr früh hat Adenauer sich für den Anschluss an den Westen entschieden. Vor allem die USA drängten auf eine Wiedergutmachung für das den Juden zugefügte Unrecht während des NS-Regimes. Das sowohl in Israel als auch in Deutschland höchst umstrittene Gesetz brachte Adenauer 1952 nur mit den Stimmen der Opposition durch den Deutschen Bundestag. da dieses Gesetz in Bühlerhöhe eine wichtige Rolle spielt, habe ich mir die Freiheit erlaubt, den Kanzler schon ein Jahr früher, also 1952, auf die Bühlerhöhe reisen zu lassen.
17.8.1956, Bundeskanzler Konrad Adenauer im Urlaub auf Bühlerhöhe/Schwarzwald
Die neue Heimat der Protagonistin Rosa
Omarim, den Kibbuz in Bühlerhöhe, habe ich erfunden. Vorbild dafür war der Kibbuz Degania B, den ich als Jugendliche zu einem Pessach-Fest besucht habe.
Die Gründung ländlicher Kommunen, Kibbuzim, in Palästina war eine Reaktion der Juden auf den jahrhundertelangen Ausschluss von jeder landwirtschaftlichen und gewerblichen Produktion. Im Sinne der sozialistischen Idee und Gleichberechtigung der Geschlechter legte man von Anfang an Wert auf die besondere Förderung von Frauen. Der erste Kibbuz wurde 1909 gegründet. In den 1930er Jahren, als Rosa Silbermann nach Palästina auswanderte, waren die Kibbuzim ausschließlich landwirtschaftlich orientiert. Von der Alija, die von Europa aus die Auswanderung nach Palästina organisierte, wurden bereits vor der Reise „Hachschara“-Kurse angeboten, in denen auch Rosa und ihre Schwester Grundlagen landwirtschaftlicher Arbeit und hebräisch lernten. Für viele europäische Juden war Palästina ein Kulturschock. Unter widrigsten Bedingungen mussten die Neuankömmlinge Land urbar machen, Häuser bauen oder Wasserleitungen legen und waren aufgrund schlechter Ernährung und bei miserabler medizinischer Versorgung vielen Krankheiten ausgesetzt, besonders der Malaria. Das Leben mit den arabischen Nachbarn war manchmal friedlich, aber oft angespannt. Überfalle auf Kibbuzim, wie in Bühlerhöhe geschildert, waren keine Seltenheit. Sich in einem Kibbuz der 1930er Jahre in Palästina zu behaupten erforderte Zähigkeit, Durchsetzungsvermögen, Überzeugung und Überlebenswillen.
Arbeiterinnen im Kibbutz Givat Hashlosha (Foto: The Oded Yarkoni Historical Archives of Petah Tikv via the PikiWiki – Israel free image collection project, PD)
Das Buch
Rosa Silbermann wird 1952 mit einem geheimen Auftrag in das Nobelhotel Bühlerhöhe geschickt. Die in den 1930ern aus Köln nach Palästina emigrierte Jüdin arbeitet für den israelischen Geheimdienst. Ihre Gegenspielerin ist die misstrauische Hausdame Sophie Reisacher. Die musste 1945 das Elsass verlassen und sucht ihre Chance zum gesellschaftlichen Aufstieg. Beide haben erlebt, was es heißt, wenn ein ganzes Land neu beginnen will. Keine von ihnen vertraut der beschaulichen´Landschaft des Schwarzwalds. Und beide wissen von einem geplanten Attentat auf Bundeskanzler Adenauer, wobei jede ihre eigenen Pläne verfolgt. Zwei Frauen in einer Männerwelt, in der es um Macht, Geschäfte und alte Seilschaften geht – und irgendwann um Leben und Tod.
Links
Bühlerhöhe auf den Seiten der UIlstein Buchverlage
Die offizielle Website von Brigitte Glaser