„Ich schreib das jetzt einfach mal auf”

Von der Idee zum Buch – wie läuft das eigentlich? Unser Autor Christian Seltmann berichtet von der Entstehung seines Buches Where the Fuck is the Führer? – eine Geschichte, die zeigt, dass das Schreiben eines Buches nicht immer einfach ist und eine Berg- und Talfahrt sein kann – und dass sich dranbleiben lohnt.

von Christian Seltmann

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Der „erzählerische Rahmen” – es ist ein „Erzählendes Sachbuch” – spannt sich von dem Entschluss des Autors, dass er nicht nur einsam in der Staatsbibliothek an einem staatstragenden Roman schreiben kann, bis zum Ende seiner Tätigkeit als Guide – mehr sei hier nicht verraten.

 

Aber wie kam es nun zu dem Buch?

Ganz einfach. Irgendwann nach einer Tour kroch der abgekämpfte Autor in die Staatsbibliothek, setzte sich zwischen die Doktoranden und Jura-Studentinnen, öffnete seinen Computer und anstatt irgend etwas Literarisches zu schreiben, dachte er sich: „Das schreib ich jetzt mal auf.”

Und das tat er dann öfter und öfter.

Und schließlich, als er fünfzig Seiten und eine gute Handvoll Anekdoten zusammen hatte, schickte er sie seinem Literarischen Agenten.

Der fand das Manuskript „vielversprechend” – Agenten finden das Meiste ihrer Klienten vielversprechend, dafür werden sie bezahlt. Aber der Agent sagte auch, nur lustige Anekdoten würden nicht reichen, um einen Verlag für das Buch zu finden.

Der Autor ging also wieder in sich und schrieb nun auch die wirtschaftlichen Hintergründe des Guide- und Tourismusgeschäfts auf, so wie er sie kennenlernte und so wie er sie mit schrägem Humor wahrnahm. Und er schrieb über all das, was sich am Rande der Touren in einer Stadt wie Berlin ereignet: Obdachlose, Flüchtlinge, andere Guides, Kartenabreisser, Blumenverkäufer, Straßenkinder, Stricher, Drogensüchtige, Reiche, Arme.

Am Ende war es ein richtiges Flaneur-Buch des 21. Jahrhunderts, sagte der Agent und zog los.

Das Guide-Projekt wanderte aus der Schublade zurück auf den Schreibtisch

Es dauerte vier (4) Jahre, in denen zahlreiche Verlage auf- und wieder zumachten, die der Agent mit dem Manuskript versehen hatte. Es regnete – keine Reaktionen. Der Autor schrieb Kinderbücher und wurde damit einigermaßen bekannt (in der Kinderbuchszene). Das Guide-Projekt hatte er schon fast vergessen.

Da meldete sich eines Tages der Agent und sagte, ein wirklich großer Verlag sei interessiert. Das Guide-Projekt, so eben noch abgeschrieben in der geistigen Mottenkiste und schon in der Archivschublade des Schriftssteller-Sekretärs – also, das Guide-Projekt wanderte aus der Schublade rechts in der Mitte zurück auf den Schreibtischstapel links („Aktuelles”).

Dann ging der Autor essen. Und zwar mit dem Cheflektor und einem weiteren Lektor des wirklich großen Verlages. DimSums. Die waren nicht so gut wie gedacht – die DimSums. Aber die beiden Lektoren waren gut und interessiert und außerdem war die Abteilung des Cheflektors gerade dabei, ein wirklich sehr merkwürdiges Buch von einem sehr schlauen Mädchen zu bearbeiten, zu Themen, die eigentlich keiner gerne bespricht und so.

Zur großen Überraschung Freude des Autor bezahlten die Lektoren das Mittagessen – und zur noch größeren Freude wollten sie gerade NICHT NUR 256 Seiten mit witzigen Geschichten über Touristen, sondern auch die Betrachtungen über die Ärmsten der Armen, der Reichsten der Reichen, der Geschicktesten der Geschickten, das Wetter, die Hipster und den ganzen Rest!

Boah.

Der Autor war begeistert – so viel Zustimmung – und ein gratis Essen!

Toller Verlag!

Es begann eine wüste Titelfindungsorgie, bei der es von Führern, Befehlen, Folgen und Ausrufezeichen nur so wimmelte

Nachdem man seine mittelmäßigen DimSums verschluckt hatte, trennte man sich und zahlreiche Telefonate zwischen dem Cheflektor und dem Agenten folgten. Alle liefen auf eines hinaus: Das Buch wolle man machen, aber man benötige einen griffigen Titel. Ungefähr so wie das ebenso bei ihnen in der Abteilung erschienene Chill mal, Frau Freitag.

Okay, das war die Meinung der Marketing-Abteilung.
Und ohne die geht’s nicht, denn irgendwer muss das Manuskript von dem Stapel links in die Buchhandlung tragen – und das ist die Marketing-Abteilung.

Der Cheflektor, der sich mittlerweile des Projektes angenommen hatte, und der Autor begannen mit einer wüsten Titelfindungsorgie, bei der es von Führern, Befehlen, Folgen und Ausrufezeichen nur so wimmelte.

Die Marketingabteilung war begeistert. Die Geschäftsleitung des Hauses weniger, denn man überschritt zielsicher stets die Grenze des guten Geschmacks. (Diese unsichtbare Grenze ist eine der maßgeblichen Gesetze im Genre „Erzählendes Sachbuch. Humor”.)

Die Titelfindung zog sich über Monate, und Monate und Monate. Das Manuskript begann schon wieder nach rechts oben zu wandern. Aber der Autor hatte die Rechnung ohne die Hartnäckigkeit seines Cheflektors und der Gesetze des Transfermarktes gemacht. Fast auf den Tag genau ein Jahr nach dem DimSum-Lunch in der Friedrichstraße meldete sich ein neuer, aufstrebender Verlag aus der benachbarten Straße und wollte das Buch auch. Der Agent kam aus Hamburg mit dem Eilzug herbeigeeilt und beeilte sich, zu versichern, dass man eilig handelseinig werden wollte. Aber man müsse noch einmal einen letzten Anruf…

„Das ist alles dummes Zeug. Das ist niemals Chill mal, Herr Seltmann!”

So gab sich die Geschäftsleitung des hartnäckigen Cheflektors einen Ruck und man begann mit der eigentlichen Arbeit, dem Buchschreiben. Fünf Jahre nach dem ersten „ich schreib das jetzt mal auf”.

Von der Leseprobe, die der Cheflektor vom Agenten bekommen hatte (und die nicht zu verwechseln ist mit der Leseprobe, die der Verlag den Lesern zur Verfügung stellt), war es ein unfassbar steiniger Weg. Am Rande und vor dem Autor türmten sich Hänge mit Geröll aus Selbstzweifeln, Erkältungskrankheiten, Lesereisen im November und Januar mit Kindern um Viertel vor acht (morgens!!!), düsteren Hotels und nassen Füßen. Er wurde von Dämonen nachts geweckt, die schrien: „Das ist alles dummes Zeug. Das ist niemals Chill mal, Herr Seltmann!” – „Und es ist schon gar nicht Fahrn mit Charme!” Denn an dem Werk des schlauen Mädchens wurde neuerdings die Welt des „Erzählenden Sachbuchs” bei seinem Verlag neu vermessen.

Frau Enders – die Joanne K. Rowling der non-fiktionalen Buchwelt.

Schließlich übergab der glutäugige, blasshäutige Jonathan Harker seine Seele dem Cheflektor und brach zur nächsten Reise nach Transsylvanien auf, wo er hunderten von kleinen Vampirkindern von einem Pinguin in der Wüste erzählte. Dann kam der Frühling und der Autor merkte, dass er zu warm angezogen war. Und der Cheflektor meldete sich nicht und meldete sich nicht.

Und schließlich trafen die beiden sich zum Essen.
Es gab diesmal Risotto. Wieder in der Friedrichstraße.

„Wir haben eine Chance”

Nach anfänglichem Geplauder betrachtete man den Steinbruch aus Wörtern, mit dem man es zu tun hatte und verabredete umfangreiche Sprengungen, Untertunnelungen, Helikopterflüge und einige Passtraßen von mehrspuriger Ausführung durch das Machwerk aus Manuskript, Anmerkungen, Korrekturen, Überschreibungen, Antworten auf Korrekturen und Emails.

Der Autor gab sich drei Wochen Zeit und schlug seine Spitzhacke tiefer und tiefer ins Manuskript.

Das nächste Treffen sah unsere beiden Helden mit dem Fazit „Wir haben eine Chance” enden.

Man hatte auch verabredet, den allerwichtigsten Vorbildern für die Figuren in dem Buch vorab ein Manuskript zu schicken. Der Inhaber des am häufigsten im Buch vorkommenden Unternehmens schrieb neben anderen, weitaus angepissteren Sätzen folgenden zurück: „Deswegen wurde es mich freuen wenn du die Firmenname und Namen den Mitarbeitern ändern wurdest.”

Natürlich dachte sich der Autor selbst einen schönen Firmennamen aus. Und Namen für die Mitarbeitern auch. Kein Problem.

Der Rest ist wahr. So wahr wie die Wirklichkeit wahr ist.

Und dann kann der Tag, an dem die Pressefrau des Verlages „schon mal eben vor dem Urlaub eine kleine Aussendung des Manuskripts” vornahm.
Da war es mit dem Sommerurlaub des Autors vorbei, denn er saß mindestens zweimal am Tag im Auto auf dem Parkplatz des Campingplatzes und gab telefonisch Interviews.

Aber er hatte es ja nicht anders gewollt als er damals, sechs Jahre zuvor in der Staatsbibliothek gedacht hatte: „Ich schreib das jetzt einfach mal auf.”


 

Weblinks
Die offizielle Website von Christian Seltmann
„Where the Fuck is the Führer?” auf den Seiten der Ullstein Buchverlage
Christian Seltmann bei Facebook

 

Christian Seltmann

Christian Seltmann

Christian Seltmann, geboren 1968, floh in den 90ern aus Westdeutschland nach Ost-Berlin und schlug sich als Übersetzer, Fernsehredakteur, Rocksänger, Producer, Matratzenauslieferer, Rettungssanitäter und Drehbuchautor durch. Er war jahrelang Touristen-Guide und hat zudem Geschichte studiert (als es die DDR noch gab).

Foto: © photoformatplus, Ralph Bergel

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