Vier Minuten maritime Auszeit

Während andere in Köln das offensichtliche Ferienprogramm abspulen, hat Martin Zingsheim seinen ganz eigenen Rückzugsort in der Domstadt gefunden: ein kleines Bötchen mit Kultstatus, das den Rhein quert und für angenehme Entschleunigung sorgt. Immer wieder aufs Neue.

von Martin Zingsheim

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Kabarettisten sind in gewisser Weise wie Skilehrer. Nämlich Saisonarbeiter. Insbesondere zwischen Anfang Oktober und Ende April spurte ich von Auftritt zu Auftritt zwischen Kiel und Zürich, zwischen Bocholt und Windischeschenbach. Und schnell muss das alles gehen, egal ob im ICE, im Taxi, Bus oder Auto. Gut, die Strecke Bocholt‒Zürich sollte man nach Möglichkeit nicht mit dem Taxi absolvieren, sonst gehen sämtliche Gagen des Jahres für diese eine Anreise drauf. Aber Stil hätte es schon!

In jedem Fall sind die Tage herrlich eng getaktet zwischen Sachen packen, Auschecken, panisch zum Bahnhof rennen, Zug verpassen, Ticket umbuchen, zum Hotel durchfragen, wieder Einchecken, Soundchecken, Minibar bezahlen ‒ und dann alles wieder von vorne. Manchmal könnte man glatt den Eindruck gewinnen, die allerschlimmste Hetze gehe von einem selber und nicht von der AfD aus.

Wie auch immer, im Sommer implodiert dieser selbst verschuldete Highway to Burnout komplett, und so etwas wie die viel zitierte Entschleunigung kann einsetzen. Aber flott, bitteschön! Ich wohne in Köln. Meine Familie auch. Das ist schon mal praktisch. Zu Fuß sind es nur ein paar Minuten zum Rheinufer, das im winzigen Stadtteil Weiß sogar größtenteils ein richtiges Ufer im Sinne von unbebaut ist ‒ eine ziemliche Seltenheit in Köln, dem Antichristen in Sachen architektonische Stadtentwicklung. Früher, als Kind, wohnte ich genau auf der anderen Seite des damals noch trüb braunen Flusses. Rechts und vor allem links waren auch damals schon die Brücken ein gutes Stückchen entfernt. Aber es gab Rettung: das Krokolino. Eine in den sogenannten schönen Monaten fleißig zwischen beiden Rheinseiten hin- und herpendelnde Mini-Fähre, die von beachtlichen Großgruppen mit Trekkingrädern bis hin zu einzelnen Fahrgästen alles und jeden für schmales Geld sicher ans andere Ufer bringt. Ich persönlich halte ja die Fortbewegung mittels eines schwimmenden Gefährts grundsätzlich für die absolut beste Art des Reisens. Nicht der 300 km/h schnelle ICE, nicht die halsbrecherische Taxifahrt inklusive lethaler Überholmanöver, nicht die 280 PS, mit denen man ungebremst ins Stauende knallt ‒ nein, das beruhigend gemächliche Dahinschippern auf dem Wasser ist der wahre Luxus in einer dauergestressten Wirklichkeit.

Rheinfähre Krokolino (Foto: Duhon, Wikimedia Commons, CC BY 3.0)

Gut, die einfache Fahrt mit dem Krokolino dauert knapp zwei Minuten, sofern man nicht gerade einem Containerschiff in letzter Sekunde ausweichen muss. Aber man kann ja auch Hin- und Rückfahrtticket kaufen, dann kommt man bereits auf stolze vier Minuten maritime Auszeit. Mehr schaffe auch ich kaum, ich will ja schließlich richtig schnell entschleunigen.

Auf der anderen Seite von Vater Rhein wartet übrigens das, was der Rest der Menschheit für sommerliche Freizeitgestaltung hält: ein paar sandige Strände, überzuckertes Speiseeis und eine Minigolfanlage. Whatever, mir geht es lediglich um die Überfahrt, das ist mein Miniurlaub. Vielleicht frage ich irgendwann den bärtigen Kauz, der seit gefühlten vierhundert Jahren als Kapitän dieses wunderbarsten aller Boote am Steuerrad steht, ob ich nicht eine Art Flatrate buchen kann für den ganzen Tag, oder gleich den ganzen Sommer, der im Regenloch Köln ja häufig eh nur zwei, drei Tage dauert. Dann könnte ich einfach sitzen bleiben, während den anderen ihr knatschbuntes Wassereis auf die Minigolfbahn Nummer 7 tropft. Ich tucker derweil tiefenentspannt über den Rhein und träume von einer Transatlantik-Passage. Und wer weiß, vielleicht gebe ich vorne am Bug noch schnell den Leonardo di Caprio. Ich bin der König der Welt. Jedenfalls für vier Minuten. Und das alles für gerade einmal drei Euro hin und zurück. Regional, saisonal, all inclusive. Leider fährt das Krokolino nicht nach Windischeschenbach oder Bocholt.


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Eltern haften an ihren Kindern auf den Seiten der Ullstein Buchverlage
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Martin Zingsheim

Martin Zingsheim

Martin Zingsheim studierte Musikwissenschaft, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft und Philosophie in Köln. Von 2006 bis 2010 arbeitete er als Pianist, Darsteller und Sänger sowie Komponist. Seit 2011 tritt er mit diversen Solo-Programmen auf. Zuletzt erhielt er 2015 den Deutschen Kleinkunstpreis (Förderpreis) und 2016 den Salzburger Stier. Sein Buch Eltern haften an ihren Kindern erscheint am 2. Dezember im Ullstein Verlag.

Foto: © Tomas Rodriguez

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