Der nächste Tag war strahlend und hell, und Lemorne schlug vor, baden zu gehen. Seine Frau hatte keine Lust, und er fuhr mit Gabrielle und Denise zu einem kleinen See ein paar Kilometer vor Autun. Es herrschte Hochbetrieb, und auf der glatten Wasseroberfläche voll seltsam abgeschlagener Standbilder erkannte er verschiedene Schüler.
Ausläufer des Hügels und gigantische Baumwurzeln teilten das Ufer in zahllose Strandparzellen. Da sie nicht früh genug gekommen waren, mussten sich Lemorne und seine Töchter mit einer kleineren begnügen, aber auf die eine oder andere Weise kamen immer mehr Jungen ausgerechnet bei ihnen aus dem Wasser oder den Hang hinab. Viele von ihnen blieben und unterhielten sich mit Gabrielle und Denise oder untereinander; wenn sie seine Schüler waren, nachdem sie ihn höflich gegrüßt hatten. 
Lemorne las die Zeitung. Auf den Regionalseiten suchte und fand er das Unglück, das er an der Tankstelle gesehen hatte. Das Opfer war ein einundzwanzigjähriger Engländer namens L. Bodding aus Hull, und er war glimpflich davongekommen: eine leichte Gehirnerschütterung und ein gebrochenes Bein.
Sein Strand wurde immer voller. Lemorne hatte bereits einmal zum Rand rutschen müssen, mindestens zwölf Jungen saßen nun da, und immer noch nur zwei Mädchen: seine Töchter. Lemorne stand auf, räusperte sich und bat um Ruhe.
"Jungs", sagte er, "ich habe euch zweierlei zu sagen. Erstens habe ich gesehen, dass einige von euch Zigaretten bei sich haben. Einige haben sogar versucht, sich heimlich eine anzustecken. Das ist nicht nötig. Es sind Ferien, und für Schüler, die ich hier sehe, gilt, dass auch die Schulordnung Ferien hat. Zweitens ...", weil laut gejubelt wurde, machte er eine kurze Pause, " ... gebe ich ein Eis aus. Aber so gutmütig, wie ich scheine, bin ich nicht, denn ich denke nicht im Traum daran, selbst nach oben zu gehen."
Er hielt einen Hundert-Franc-Schein in die Luft, man hörte vielstimmiges Ja-Ja-Gerufe, und fünf Minuten später hatte jeder ein Eis. Um ein Uhr ging Lemorne. Gabrielle und Denise wollten bleiben, und nachdem sie ihm versprochen hatten, pünktlich zu Hause zu sein, ließ er ihnen noch etwas Geld für Süßigkeiten und den Bus da.
Lemorne aß mit seiner Frau zu Mittag, half ihr beim Packen für den Urlaub, der in vier Tagen beginnen würde, schlief eine Stunde, und um fünf Uhr fuhr er zur Autobahn.

Bei der großen Wiese kuppelte er den Hänger ab, fuhr zurück und parkte sein Auto am Bordstein auf der Rückseite des Minimarktes. Er entkorkte sein Fläschchen Chloroform und verstopfte den Hals mit einem Lappen. Er knotete sich die Schlinge um, hängte den linken Arm hinein und schob dann das Fläschchen, den Boden voran, hinterher.
Er stieg aus und atmete die herrliche, prickelnd mit Auspuffgasen angereicherte Abendluft ein. Das war der Geruch von Reisen und von Erwartung, er fühlte sich schon heimisch an den Tankstellen - sich ewig erneuernde Dörfer, in denen man in allen Ländern sogleich das Abenteuer verspürte.
Er ging zum Ende der Wiese und wieder zurück und genoss die Blicke der ballspielenden und im Gras ruhenden Leute auf seine Armschlinge.

Die langbeinige junge Frau zog zwei Dosen Cola aus dem Automaten.
"Entschuldigen Sie", sagte Lemorne, "können Sie mir vielleicht helfen? Ich will einen Anhänger ankoppeln, und das geht so nicht." 
Er hob den Arm in der Schlinge an. Was für eine Entdeckung die Schlinge doch war - ihre Reserviertheit verschwand, noch bevor ihr Blick seinen Arm verlassen hatte.
"Ich ...? Oui, naturellement." Die letzte Silbe war eine freundliche Tonlage höher. "Gebrochen?"
"Ja, beim Tennis." Er machte mit dem rechten Arm eine Vorhandbewegung. "Ausgerutscht und bumm ... Arm gebrochen."
"Das ist nicht schön", sagte die junge Frau.
"Helfen Sie mir eben?"
Er ging nach draußen, sie ging mit.
"Ja ... wo steht denn Ihr Anhänger?"
"Oh, da", sagte Lemorne. "Entschuldigung, das hätte ich dazusagen sollen. Jetzt müssen Sie dort hinübergehen."
"Das ist nicht so schlimm."
"Ja ... oder Sie steigen ein. Ich muss da schließlich auch hin." 
Er lachte und hielt ihr die Tür auf.
"Ja, das ist einfacher", sagte sie, aber ihre Stimme war plötzlich tonlos, und sie blieb stehen.
"Steigen Sie ein", sagte Lemorne.
Sie drückte die Cola-Dosen an sich, und über ihr Gesicht glitt der Schatten, den Lemorne schon bis zum Überdruss gesehen hatte, wenn er einer Frau vorschlug einzusteigen.
"Ich weiß nicht", sagte sie zu sich, kaum hörbar, als hätte sie an etwas ganz anderes gedacht. "Nein, ich laufe lieber."
Gemeinsam koppelten sie Lemornes Anhänger an. Mit der rechten Hand machte er die schwerere Arbeit, sie sorgte dafür, dass die Klaue der Deichsel genau auf die Kupplungskugel kam.
Er schaute ihr nach, bis sie bei ihrem Auto war. Sie sagte etwas zu ihrem Mann, wonach beide in seine Richtung sahen.
"Merci!" rief Lemorne und winkte ihnen.
Er stieg ein, wartete, bis sie wegfuhren, und nahm seine Schlinge ab. In sein Notizbuch schrieb er: Mobil 'Le Chien Blanc' ; 28.7.75 18.00-18.15 Uhr.
Als er sich seine älteren Notizen ansah, stellte er fest, dass er zwei Tankstellen weiter noch einen Versuch wagen konnte.


(Aus dem Roman "Das goldene Ei" von Tim Krabbé.
Aus dem Niederländischen von Susanne George.)