EMIR KUSTURICA & THE NO SMOKING ORCHESTRA: "Unza Unza Time"
Was
sie nicht umbringt, macht sie noch frecher! (Frei nach Nietzsche - wohlgemerkt!)
Jedes Land, jede Nation hat seine/ihre
eigenen nationalen "Heiligtümer" - umso mehr, wenn es sich dabei um eher antidemokratische
Staatsformen handelt. Diese "Ikonen" in welcher Weise auch immer zu verunglimpfen,
zeitigt oftmals äußerst rigide Konsequenzen derartiger Systeme.
Im ehemaligen Jugoslawien hatte sich Marschall Josep Brosz Tito - obgleich kroatischer
Abstammung - zu solch einer "Kultfigur"
hochstilisiert. Dass derartige Erscheinungen widerspenstigen Geistern geradezu
als Reibebaum dienen, ist wohl nur allzu verständlich: Dr. Nelle Karajic, Sänger
und Mastermind der jugoslawischen Band, mit dem doch so leicht zu merkenden
und vor allem auszusprechenden Namen, Zabranjeno Pusenje, zu gut englisch, "No
smoking", konnte es sich nicht verkneifen, während eines Konzertes auf nicht
sehr taktvolle Weise über den ohnehin erst vier Jahre toten jugoslawischen Führer,
der sich zu Lebzeiten gerne in strahlend weißer Admiralsuniform präsentierte,
zu sprechen. Die Konsequenz derartiger Redensweise ("Uns ist der Marshall verreckt!")
war es, dass Zabranjeno Pusenje die laufende Tournee abbrechen mussten und ihre
Platten aus den Läden verschwanden - dies obwohl oder vor allem, weil sich die
Band mittlerweile in Jugoslawien einen Kultstatus erarbeitet hatte. Das No Smoking
Orchestra hatte nun erst einmal für zwei Jahre Sendepause, ehe es sich 1986
neu formierte. Mit von der Partie war nunmehr auch der mittlerweile zu Ruhm
gekommene bosnische Filmemacher Emir Kusturica, der als Vertreter eines "neuen
Primitivismus" so wunderbar ins Konzept passte. Die Band hatte sich - ursprünglich
aus Sarajevo kommend - in die "weite Welt" nach Belgrad aufgemacht, um, wie
es "Schandmaul" Karajic bezeichnete, zur "World Band" zu mutieren. Noch eindringlicher,
noch frecher und kein bisschen weiser, bemüht man sich jetzt von Belgrad aus
die Welt zu erobern, wobei die von Kusturica erarbeiteten Kontakte in den Westen
sich als durchaus dienlich erweisen.
Eine wahnwitzige Mischung aus balkanischer Volksmusik, Zigeunermelodien, Zitaten
aus der italienischen Klassik aber gleichzeitig auch Jazz- und Rockelementen
dürften der Band die Tore in den "goldenen Westen" der Rockmusik weit geöffnet
haben. Aber ebenso wie sie früher "Hausgemachtes" durch den Kakao gezogen haben,
machen sie auch vor ihrer "neuen" musikalischen Heimat nicht mit Spott und Hohn
halt. Da werden Rock-Klischees ausgiebig bis zu schmerzhafter Lächerlichkeit
zelebriert, man bedient sich großzügigst musikalischer Themen aus hollywoodschen
Filmklassikern, kurzum, alles was gut, und vor allem auch geschmacklos genug
erscheint, wird "verwurstet" ohne dabei aber jemals selbst abgeschmackt zu wirken
- sondern ganz im Gegenteil strahlt das alles eine ungemeine Frische und Lebendigkeit
aus, die der in die Jahre gekommenen Rockmusik nur zu gut tut. Und natürlich
auch textlich wird einem "Hirnschmalz" serviert, garniert mit
babylonischem
Sprachengewirr aus vorhandenen und von No Smoking zum Teil wohl erfundenen
"Kunstsprachen" (beispielsweise Deutsch jenseits aller Grammatik, dafür aber
mit perfekt zackigem Habitus! etc.). Hier eine textliche Kostprobe - ausnahmsweise
sogar in einigermaßen zivilisiertem und allgemein üblichem Englisch!
Devil in the business class! |
Derartiges und noch Deftigeres bekommt
man auf "Unza Unza Time" brühheiß serviert, wobei der Ausdruck "Unza, Unza" wohl
eine lautmalerische Nachahmung der typisch balkanischen Rhythmen zu sein scheint.
(exorientelux) |
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Ein Buchtipp:
Emir Kusturica: "Der Tod ist ein unbestätigtes Gerücht. Mein bisheriges
Leben"
Von seinen Filmen sagt man, die Bilder und Töne würden in Ewigkeit überdauern.
Emir Kusturica, der gelegentlich den Mund recht vollnimmt, traut dieser
Einschätzung nicht und schreibt vorsichtshalber seine Erinnerungen auf:
beginnend an seinem ersten Schultag, als Juri Gagarin ins All flog, bis zu dem
Tag, als Johnny Depp sein Freund wurde. Er folgt der Chronologie, aber das ist
auch alles, was das Buch mit einer normalen Lebensgeschichte gemein hat.
"Der Tod ist ein unbestätigtes Gerücht" ist ein
Gesamtkunstwerk, das genau die Bilder erschafft, die man von Kusturica
kennt: wilde Geschichten vom Balkan, quirlig, heiter, sentimental, brutal.
Sein Buch ist ein adaptierter Autorenfilm, der die gedrehten und
ungedrehten Szenen eines Lebens vorführt. Die Geschichte vom unglücklichen
Alkoholiker in Sarajewo, der mit einer Prostituierten verheiratet ist und
dann erfriert. Die Geschichte von dem Psychiater, der Kusturica in einer
Schaffenskrise helfen soll und dann selbst Trost braucht. Die Geschichte
von der Frau seines Lebens. Die Geschichte vom Urknall der Begegnung mit
Tante Biba, später dann mit
Federico Fellini und
Ivo Andrić ...
Tränen und Gelächter über eine wahnwitzige Welt. Ein Tagebuch wie es dem Nachkommen
des Gottes Dionysos würdig ist. Obwohl er doch lediglich, weist Kusturica
die Übertreibung zurück, "der Sohn des Vaters von Dionysos" sei.
(Knaus. Aus dem Serbischen von Mascha Dabic.)
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