(....) Gerade
um diese Zeit nahm ein alter treuer Diener die Gelegenheit wahr, dem Grafen,
als er ihn gerade allein fand, zu entdecken, daß die Gräfin jede Nacht das Schloß
verlasse, und erst beim Anbruch des Tages wiederkehre. Eiskalt erfaßte es den
Grafen. Nun erst dachte er daran, wie ihn seit einiger Zeit jedesmal zur Mitternacht
ein ganz unnatürlicher Schlaf überfallen, den er jetzt irgendeinem narkotischen
Mittel zuschrieb, das die Gräfin ihm beibringe, um das Schlafzimmer, das sie
vornehmer Sitte entgegen, mit dem Gemahl teilte, unbemerkt verlassen zu können.
Die schwärzesten Ahnungen kamen in seine Seele; er dachte an die teuflische
Mutter, deren Sinn vielleicht erst jetzt in der Tochter erwacht, an irgendein
abscheuliches ehebrecherisches Verhältnis, an den verruchten Scharfrichterknecht
– Die nächste Nacht sollte ihm das entsetzliche Geheimnis erschließen, das allein
die Ursache des unerklärlichen Zustandes der Gattin sein konnte. Die Gräfin
pflegte jeden Abend selbst den Tee zu bereiten, den der Graf genoß, und sich
dann zu entfernen. Heute nahm er keinen Tropfen, und als er seiner Gewohnheit
nach im Bette las, fühlte er keineswegs um Mitternacht die Schlafsucht, die
ihn sonst überfallen. Demunerachtet sank er zurück in die Kissen, und stellte
sich bald, als sei er fest eingeschlafen. Leise, leise verließ nun die Gräfin
ihr Lager, trat an das Bett des Grafen, leuchtete ihm ins Gesicht, und schlüpfte
hinaus aus dem Schlafzimmer. Das Herz bebte dem Grafen, er stand auf, warf einen
Mantel um, und schlich der Gattin nach.
Es war eine ganz mondhelle Nacht,
so daß der Graf Aureliens, in ein weißes Schlafgewand gehüllte Gestalt, unerachtet
sie einen beträchtlichen Vorsprung gewonnen, auf das deutlichste wahrnehmen
konnte. Durch den Park nach dem Kirchhofe zu, nahm die Gräfin ihren Weg, dort
verschwand sie an der Mauer. Schnell rannte der Graf hinter ihr her, durch die Pforte der Kirchhofsmauer, die er offen fand.
Da gewahrte er im hellsten Mondesschimmer dicht vor sich einen Kreis furchtbar
gespenstischer Gestalten. Alte halbnackte Weiber mit fliegendem Haar hatten
sich niedergekauert auf den Boden, und mitten in dem Kreise lag der Leichnam
eines Menschen, an dem sie zehrten mit Wolfesgier. – Aurelie war unter ihnen! –
Fort stürzte der Graf in wildem Grausen, und rannte besinnungslos, gehetzt von
der Todesangst, von dem Entsetzen der Hölle,
durch die Gänge des Parks, bis er sich am hellen Morgen im Schweiß gebadet,
vor dem Tor des Schlosses wiederfand. Unwillkürlich, ohne einen deutlichen Gedanken
fassen zu können, sprang er die Treppe herauf, stürzte durch die Zimmer, hinein
in das Schlafgemach. Da lag die Gräfin, wie es schien, in sanftem, süßem Schlummer,
und der Graf wollte sich überzeugen, daß nur ein abscheuliches Traumbild, oder,
da er sich der nächtlichen Wanderung bewußt, für die auch der von dem Morgentau
durchnäßte Mantel zeugte, vielmehr eine sinnetäuschende Erscheinung ihn zum
Tode geängstigt. Ohne der Gräfin Erwachen abzuwarten, verließ er das Zimmer,
kleidete sich an, und warf sich aufs Pferd. Der Spazierritt an dem schönen Morgen
durch duftendes Gesträuch, aus dem heraus muntrer Gesang der erwachten Vögel
ihn begrüßte, verscheuchte die furchtbaren Bilder der Nacht; getröstet und erheitert
kehrte er zurück nach dem Schlosse. Als nun aber beide, der Graf und die Gräfin
sich allein zu Tische gesetzt, und diese, da das gekochte Fleisch aufgetragen,
mit den Zeichen des tiefsten Abscheus aus dem Zimmer wollte, da trat die Wahrheit
dessen, was er in der Nacht geschaut, gräßlich vor die Seele des Grafen. In
wildem Grimm sprang er auf, und rief mit fürchterlicher Stimme: ›Verfluchte
Ausgeburt der Hölle, ich kenne deinen Abscheu vor des Menschen Speise, aus den
Gräbern zerrst du deine Atzung, teuflisches Weib!‹ Doch sowie der Graf diese
Worte ausstieß, stürzte die Gräfin laut heulend auf ihn zu, und biß ihn mit
der Wut der Hyäne in die Brust. Der Graf schleuderte die Rasende von sich zur
Erde nieder, und sie gab den Geist auf unter grauenhaften Verzuckungen. – Der
Graf verfiel in Wahnsinn. (...)
(aus Hoffmanns "Serapions-Brüder")