... aus "Der Hofmeister"...
Dritter
Akt
Zweite Szene
Eine Schule im Dorf
Wenzeslaus. Läuffer. Es ist
finstrer Abend.
(...)
LÄUFER: Dürft
ich mir ein Glas Wasser ausbitten?
WENZESLAUS: Wasser? - Sie sollen haben.
Aber - ja wovon redten wir? Vom Gradschreiben; nein vom Major - he he he - Aber
wissen Sie auch, Herr - Wie ist Ihr Name?
LÄUFFER: Mein - Ich heiße - Mandel.
WENZESLAUS: Herr Mandel - Und darauf mußten Sie sich noch besinnen? Nun ja,
man hat bisweilen Abwesenheiten des Geistes; besonders die jungen Herren weiß
und rot - Sie heißen unrecht Mandel; Sie sollten Mandelblüte heißen, denn Sie
sind ja weiß und rot wie die Mandelblüte
- Nun ja freilich, der Hofmeisterstand ist einer von denen, unus ex his, die
alleweile mit Rosen
und Lilien
überstreut sind und wo einen die Dornen des Lebens nur gar selten stechen. Denn
was hat man zu tun? Man ißt, schläft, hat für nichts zu sorgen; sein gut Glas
Wein gewiß, seinen Braten täglich, alle Morgen seinen Kaffee, Tee, Schokolade
oder was man trinkt, und das geht denn immer so fort - Nun ja, ich wollt Ihnen
sagen: wissen Sie auch, Herr Mandel, daß ein Glas Wasser der Gesundheit ebenso
schädlich auf eine heftige Gemütsbewegung als auf eine heftige Leibesbewegung;
aber freilich, was fragt ihr jungen Herren Hofmeister nach der Gesundheit -
Denn sagt mir doch legt Brille und Lineal weg und steht auf, wo in
aller Welt kann das der Gesundheit gut tun, wenn alle Nerven und Adern gespannt
sind und das Blut ist in der heftigsten Zirkulation und die Lebensgeister sind
alle in einer - Hitze, in einer -
LÄUFFER: Um Gotteswillen, der Graf Wermuth - Springt
in eine Kammer.
...
Vierte
Szene
Die Schule
Wenzeslaus und Läuffer an einem ungedeckten Tisch speisend
WENZESLAUS: Schmeckt´s? Nicht wahr, es ist ein
Abstand von meinem Tisch und des Majors? Aber wenn der Schulmeister Wenzeslaus
seine Wurst
ißt, so hilft ihm das gute Gewissen verdauen, und wenn der Herr Mandel Kapaunenbraten
mit der Champignonsauce aß, so stieß ihm sein Gewissen jeden Bissen,
den er hinabschluckte, mit der Moral wieder in Hals
zurück: Du bist ein - Denn sagt mir einmal, lieber Herr Mandel; nehmt
mir nicht übel, daß ich Euch die Wahrheit sage, das würzt das Gespräch wie Pfeffer
den Gurkensalat; sagt mir einmal, ist das nicht hundföttisch, wenn ich davon
überzeugt bin, daß ich ein Ignorant bin und meine Untergebenen nichts lehren
kann und also müßig bei ihnen gehe und sie müßig
gehen lasse und dem lieben Gott ihren Tag stehlen und doch hundert
Dukaten - war´s nicht soviel? Gott verzeih mir, ich hab in meinem Leben nicht
so viel Geld auf einem Haufen beisammen gesehen! hundertfunfzig Dukaten, sag
ich, in Sack stecke, für nichts und wieder nichts!
LÄUFFER: Oh! und Sie haben noch nicht alles gesagt, Sie kennen Ihren Vorzug
nicht ganz oder fühlen ihn, ohn ihn zu kennen. Haben Sie nie einen Sklaven im
betreßten Rock gesehen? O Freiheit, güldene Freiheit!
(...)
(von
Jakob Michael Reinhold Lenz; 12.1.1751 - 24.5.1792)
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