Roberto Ampuero: "Der Fall Neruda"
Cayetano Brulé ermittelt
Stark,
dabei jedoch auch sehr
sensibel verfasst: Ein Krimi um den chilenischen
Nobelpreisträger Pablo Neruda
In diesem Roman lässt der chilenische Autor Roberto Ampuero
seinen zumindest
dem chilenischen Publikum bereits aus mehreren
Vorgänger-Krimis bekannten
Protagonisten seinen ersten und ihn wohl am meisten prägenden
Fall erleben.
Der zunächst in Miami lebende junge Exil-Kubaner Cayetano
Brulé hat sich in
eine Chilenin verliebt und ist ihr nach Valparaíso gefolgt,
wo sie für
Salvador Allende und gegen den sich ankündigenden Putsch
kämpfen möchte; man
schreibt das Jahr 1973.
Cayetano gelingt es nicht, in Valparaíso Fuß zu
fassen - trotz der Bemühungen
seiner Frau, die sich ihm jedoch zusehends entfremdet. Dann aber trifft
Cayetano,
der unbekannte Kubaner, mehr oder weniger zufällig mit dem
chilenischen
Literatur-Nobelpreisträger Pablo Neruda zusammen, der ihn
trotz mangelnder
Erfahrung als Privatdetektiv engagiert.
Der schwer krebskranke Dichter beauftragt den anfangs sehr skeptischen
Cayetano,
für ihn einen alten Bekannten, der über Krebsheilung
forscht, zu finden. Rasch
erkannt Cayetano allerdings, dass es in Wirklichkeit um eine Frau geht.
Den Spuren dieser Frau folgt Cayetano zunehmend verwirrt von Chile aus
nach
Mexiko, nach Kuba, in die DDR und nach Bolivien. Bisweilen
weiß er nicht, ob er
einer oder mehreren Frauen oder vielleicht nur einem Phantom nachjagt.
Es dauert
lange, bis er erkennt, dass die Erfüllung seines Auftrags
näher liegt, als er
gedacht hat. Da kommt es zum Militärputsch, und in Chile ist
nichts mehr, wie
es einmal war.
Historische Persönlichkeiten, mitunter auch solche, deren Tod
noch nicht
Hunderte Jahre zurückliegt, sind oft Protagonisten von
Romanen. Außergewöhnlich
ist es jedoch, wenn eine vor noch nicht einmal vierzig Jahren
verstorbene Berühmtheit
als zentrale Figur in einem regelrechten Kriminalroman agiert. Denn als
solchen
kann man Ampueros Buch durchaus bezeichnen, auch wenn der unmittelbare
Suchauftrag nur Teil einer sehr vielschichtigen Handlung ist.
Von einem knappen Rahmen in der Jetztzeit abgesehen, besteht das Buch
ausschließlich
aus einer Rückblende in die Zeit um den
Militärputsch, der Pinochet an die
Macht brachte, der den demokratisch gewählten
Präsidenten Salvador Allende das
Leben kostete, und den Pablo Neruda nur um wenige Tage
überlebte.
Die Kapitel sind nach Frauenfiguren aus
Nerudas Leben benannt und enthalten außer der
eigentlichen Handlung jeweils
auch einen eingeblendeten kurzen Abschnitt in kursiver Schrift, in dem
Neruda
als Ich-Erzähler von seinem Leben mit der betreffenden Frau
berichtet: vor
allem von der gemeinsamen Sexualität, wie er selbst sie erlebt
hat, von der
emotionalen Beziehung zu ihr, der Trennung und gegebenenfalls von
Schuldgefühlen.
Die Beschreibungen der Erotik sind an Nerudas Liebesgedichte angelehnt:
bilderreich, für die damalige Zeit sehr offen, aber nie
vulgär.
Auch in Cayetanos unmittelbare Ermittlungen mischt sich immer die
Literatur, die
Lyrik - wohl unvermeidlich, wenn man für einen
Literatur-Nobelpreisträger
ermittelt. Während der Kubaner immer wieder am Sinn seines
Auftrags zweifelt
und Neruda schließlich nötigt, ihm die wahren
Beweggründe für seine Suche zu
enthüllen, lernt er, Nerudas Poesie und ein wenig auch die
Beweggründe für
des Schriftstellers politische Werke zu verstehen. Parallel dazu
kämpft er eine
Weile um seine eigene Liebe und versucht zu begreifen, woran diese
zerbrochen
ist.
Dabei verliert Cayetano nie seinen Auftrag aus den Augen, in dessen
Rahmen der
Leser zusammen mit ihm verschiedene kommunistische Regimes im Jahr 1973
kennen
lernt, vor allem aber Chile im wohl dramatischsten Jahr seiner
Geschichte. Ohne
übertriebenes Pathos, packend, dabei einfühlsam,
schildert Ampuero die
Erlebnisse und Erfahrungen seines Protagonisten. Die Charaktere werden
wunderbar
eigenwillig gezeichnet. Vor allem ist hervorzuheben, wie realistisch
und
facettenreich der todkranke Dichter als Persönlichkeit
auftritt, der in seinen
letzten Wochen erleben muss, wie sein Lebenstraum von einem
sozialistischen
Chile zerfällt.
Ein starker, aber auch sehr sensibel verfasster Roman und ganz sicher
einer der
wenigen Kriminalromane, die man mehrmals lesen kann und sollte!
(Regina Károlyi; 02/2010)
Roberto
Ampuero: "Der Fall Neruda. Cayetano Brulé ermittelt"
Aus dem Spanischen von Carsten Regling.
Berlin Verlag, 2010. 377 Seiten.
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Roberto Ampuero, 1953 in Valparaíso/Chile geboren, ist einer der erfolgreichsten Autoren Chiles. Sein Werk, in zahlreiche Sprachen übersetzt, wurde mehrfach ausgezeichnet. "Der Fall Neruda" stand in seiner Heimat mehrere Wochen auf dem ersten Platz der Verkaufsbestenliste.
Ein weiteres Buch des Autors:
"Der letzte Tango des Salvador Allende"
Ein ehemaliger CIA-Agent fährt nach Chile, um dort den früheren Geliebten seiner Tochter zu finden. Das Tagebuch des Mannes, der in den letzten Monaten Salvador Allendes Koch und Freund war, soll ihn auf die Spur führen.
Als am Morgen des 13. Septembers 1973 der Oberbefehlshaber der Streitkräfte, Augusto Pinochet, nicht auf seinen Anruf reagiert, ahnt Salvador Allende, dass seine Stunden als Präsident gezählt sind: Der Putsch steht bevor.
Sein Koch und persönlicher Assistent, Rufino, hält die dramatischen Ereignisse in einem Tagebuch fest - und erzählt darin ihre gemeinsame Geschichte, von den abendlichen Gesprächen über das Leben, die Liebe und den Tango, von Allendes Liebschaften und den Sorgen um das Land. Jahrzehnte später gelangen diese Aufzeichnungen in die Hände von David Kurtz, einem ehemaligen CIA-Agenten. Wird es ihm mit ihrer Hilfe gelingen, den chilenischen Geliebten seiner Tochter aufzuspüren?
Roberto Ampuero, 1953 in Valparaíso, Chile geboren, ist derzeit der erfolgreichste Autor seines Landes. Nach Aufenthalten in Kuba, der DDR und der BRD lebte er lange Jahre in den USA, wo er an der Universität von Iowa lehrte. Seit 2012 ist er chilenischer Botschafter in Mexiko. Sein Werk, in zahlreiche Sprachen übersetzt, wurde mehrfach ausgezeichnet. "Der letzte Tango des Salvador Allende" stand wochenlang auf Platz 1 der chilenischen Liste der meistverkauften Bücher. (Bloomsbury Berlin)
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