Roberto Bolaño: "Exil im Niemandsland"
Fragmente einer Autobiografie
Die "apollinische Ratte"
"Wenn Sie einen Schriftsteller lesen, der keine Nachtseite
hat, so
handelt es sich um leichte Kost." Diesen Satz prägte
der italienische
Autor Giorgio Manganelli, und fast scheint es, dass er damit den in
Chile
geborenen, in Mexiko aufgewachsenen und in Spanien zu literarischem
Weltruhm
gelangten Roberto Bolaño meinte.
Nachtseiten konnte Bolaño wohl einige verzeichnen, und
schenkt man den Legenden
über den 2003 mit nur fünfzig Jahren verstorbenen
Autor Glauben, so hat er
sich gewissermaßen in der Stunde seines Todes in die
unbestrittene Leitfigur
der jüngeren lateinamerikanischen Literatur verwandelt. Er
soll unter Pinochet
im Gefängnis gesessen, in den siebziger Jahren in Mexikos
Hauptstadt ein wildes
Leben zwischen Drogen und literarischer Avantgarde geführt und
nach seiner Übersiedlung
nach Spanien von der Hand in den Mund gelebt haben. Auch das Bild eines
gefährlichen,
Gewalt
verherrlichenden und ein nihilistisches Weltbild vermittelnden Menschen
prägte er.
Ein bisschen Wahrheit ist wohl, wie bei allen Legenden und Mythen,
immer
vorhanden. Vor allem in seinem mit dem höchsten
lateinamerikanischen
Literaturpreis belohnten Roman "Die
wilden Detektive" kann man diesem
Mythos auf fast jeder Seite begegnen. Doch auch die anderen
Erzählungen Bolaños
bevölkern fanatische, kompromisslose, gleichzeitig aber auch
verzweifelte und
am Rande des Suizids stehende Helden, die sicherlich
untrügliche Wesenszüge
des Autors tragen, aber trotzdem viele surrealistische Elemente
beinhalten.
Sicher konnte man sich bei Bolaño nie sein, aber
zweifelsohne zeichneten ihn
drei wesentliche Charakterzüge aus, wie Heinrich v. Berenberg
(Übersetzer,
Herausgeber und Verleger) im Vorwort zu diesem Buch ausweist: "sein
Witz, seine Unerschrockenheit und seine
überwältigende Liebenswürdigkeit."
"Exil im Niemandsland" ist, wie der Untertitel es verrät, eine
fragmentarische Einführung in das Schaffen eines
großen Schriftstellers und
eine Annäherung an einen nicht immer leichten Charakter. Noch
einmal soll der
Herausgeber dieses schmalen Buches zu Wort kommen, der die Grundessenz
dieses
Bandes treffend umreißt: "Die hier gesammelten
Texte wurden in der
Absicht zusammengestellt, aus den verstreuten Artikeln, Essays und
Feuilletons,
die sich nach seinem Tod im Nachlass und in den verschiedensten
Zeitungen und
Zeitschriften fanden, ein literarisches Lebensbild zu skizzieren, und
zwar
eines, welches die Mischung aus Dichtung
und Wahrheit widerspiegelt, die ein so
bezeichnender Zug in Bolaños Leben war."
In vier Teile ist die fragmentarische Autobiografie gegliedert. Im
ersten Abschnitt finden sich einige der großen und programmatischen
Essays, die diverse Lieblingsthemen Bolaños behandeln: das Exil, die
Einheit der lateinamerikanischen Diaspora und die lateinamerikanischen Autoren. Der
zweite Abschnitt versammelt Kolumnen, die der Autor zwischen 1999 und 2002
für Tageszeitungen schrieb, der dritte bietet eine Auswahl von Reisebildern
und literarischen Momentaufnahmen aus seiner zweiten Heimat - Spanien, an
der Costa Brava. Den Abschluss bildet ein Interview, das Bolaño wenige
Tage vor seinem Tod für die mexikanische Ausgabe des "Playboy" gab.
Fazit:
Voller Esprit, messerscharf und zuweilen unbändig komisch, so
war Roberto Bolaño
zu Lebzeiten. Die in dem vorliegenden Band "Exil im Niemandsland"
versammelten Texte gewähren eine wunderbare
Annäherung und Einführung an das
Schaffen und Werk eines leider viel zu früh verstorbenen
großen
lateinamerikanischen Schriftstellers.
(Heike Geilen; 01/2010)
Roberto
Bolaño: "Exil im Niemandsland. Fragmente einer
Autobiografie"
Aus dem Spanischen
von Kirsten Brandt und Heinrich v. Berenberg.
Berenberg Verlag, 2008. 160 Seiten.
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