Georg Diez: "Der Tod meiner Mutter"
Ein
bewegendes Buch über das Leben, zu dem auch der Tod
gehört
Das Schreiben über den Tod ist so alt wie das schreibende
Reflektieren des
Menschen über sich und seine
Endlichkeit selbst. Die Krankheit
mit dem Namen
Krebs, die den Tod nicht selten in einen langen quälenden
Prozess verwandelt,
hat in den letzten Jahrzehnten einige erstaunliche und bleibende
Bücher über
das Sterben und den Tod hervorgebracht. Da ist zu denken an das
Standardwerk von
Susan Sontag "Krankheit als Metapher" und an viele ihrer
Essays,
in denen sie ihre Krebskrankheit reflektiert hat, und vor allem an
Fritz Zorns
"Mars", das schon vor vielen Jahren nicht nur das Leiden und das
Sterben jenes Schweizer Schriftstellers dokumentierte, sondern schon
damals so
etwas wie eine Zeitansage war und von vielen gesunden Menschen als ein
extrem
zeitkritisches Buch geradezu verschlungen wurde.
Das vorliegende Buch von Georg Diez beschreibt den "Tod meiner Mutter".
Es ist ein stilles, nachdenkliches und unaufdringlich schönes
Buch, das er da
vorgelegt hat und in dem er erzählt, wie mit dem Tod seiner
Mutter auch ein Stück
von ihm selbst geht und verschwindet für immer. Mit der
Mutter, so geht es
jedem von uns, stirbt die, die uns geboren hat, und
unverdrängbar stehen nun
wir in der Reihe derer, die als nächste Bekanntschaft machen
mit dem, von dem
schon Paulus
sagte, dass er uns mitten im Leben umfange und den Rilke in einem
Gedicht unübertroffen
so zeichnet:
"Der Tod ist groß
Wir sind die Seinen
Lachenden Mundes.
Wenn wir uns mitten im Leben meinen
Wagt er zu weinen
Mitten in uns."
Dieses Buch kann man als das Literatur gewordene Weinen eines Sohnes
über seine
Mutter bezeichnen, die er mit folgenden Worten beschreibt:
"Sie war die Tochter gewesen, die sie trotz allem blieb. Sie
war die
Ehefrau gewesen, die sie vielleicht nie war. Sie war die Mutter
gewesen, zu der
sie wurde. Sie war die Emanzipierte gewesen, die sie sein wollte. Sie
war die
Selbstbestimmte gewesen, die im Beruf und im Leben endlich
weiß, was sie will.
Und nun war sie eben nicht allein die Krebskranke, die Leidende. Sie
fand für
sich eine neue Rolle, sie fand in der Krankheit die Kraft, Abstand zu
nehmen von
ihrem alten Leben und ein neues zu beginnen."
Der Krebs, nachdem er zum ersten Mal diagnostiziert ist, lässt
Hannelore Diez
zwölf Jahre Zeit. Manchmal schlägt er hart zu, doch
dann meldet er sich lange
nicht. "Sie lebte die meisten dieser zwölf Jahre
lang, als habe ihr die
Krankheit eine Welt eröffnet."
In der letzten Phase des Sterbens der Mutter ist die Frau des Autors
schwanger,
und er pendelt hin und her zwischen Tod und Geburt. Hin- und
hergerissen ist er
auch zwischen der nötigen Hilfe für seine Mutter und
einer Bevormundung, bei
der er sich immer wieder ertappt.
Diez schreibt nüchtern und ehrlich, ohne Pathos, etwa davon,
dass er keine
Antwort hat, dass es keine gibt:
"Habe ich das gesehen?
Ja. Nein.
Wusste ich, wie lange es noch geht?
Ja. Nein.
Sollte ich ihr zeigen, sollte ich ihr sagen, was ich sah?
Ja. Nein."
Auch an vielen anderen Stellen des Buches notiert er aufrichtig seine
Gefühle
der Ohnmacht, auch des Zorns darüber, hilflos dem Sterben
seiner Mutter zusehen
zu müssen. "Aber wir weinen ja nicht um den Anderen,
wir weinen im
Grund nur um uns selbst."
Worte sind das, sensibel und zart formuliert, die immer wieder um die
Unfähigkeit
kreisen, mit dem Leid und dem Kummer Anderer umzugehen, die genau
dokumentieren,
was sich im Autor, konfrontiert mit dem Tod, verändert. Und
der Leser erkennt,
wenn er denn diese Erfahrung schon einmal oder gar mehrmals gemacht
hat, viele
eigene, damals vielleicht nicht richtig wahrgenommene Gefühle
wieder.
Der zentrale Satz gegen Ende formuliert so etwas wie eine
übertragbare
Erkenntnis:
"Einatmen, ausatmen. Ich lernte das langsam. Ich lernte, dass
es
verschiedene Wahrheiten gab, die der Kranken
und die der Gesunden."
Ein selten schönes und dennoch aufrüttelndes Buch,
das den Journalisten Georg
Diez als feinfühligen Beobachter seiner eigenen Sache zeigt
und seiner Mutter
Hannelore versucht gerecht zu werden und sich mit dem
auseinanderzusetzen, was
der nahende Tod
aus ihr macht.
(Winfried Stanzick; 02/2010)
Georg
Diez: "Der Tod meiner Mutter"
Kiepenheuer & Witsch, 2009. 200 Seiten.
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