Oliver G. Becker: "Voodoo im Strafraum"
Fußball und Magie in Afrika
Im
Jahr 2005 verbrachte Oliver G. Becker einige Monate auf dem
afrikanischen Kontinent und sammelte Material für seinen
Dokumentarfilm "Kick the lion", der ein Beitrag zum Kulturprogramm der
Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland sein sollte.
Der Film beschäftigt sich mit mystischen Ritualen, die Teil
des afrikanischen Fußballs sind. Das zu besprechende Buch ist
gewissermaßen eine Ergänzung zum Film und
ermöglicht eine etwas tiefer gehende Auseinandersetzung mit
der Thematik.
Wie der Autor am Ende des Buches anmerkt, ginge es ihm in keiner Weise
um eine Diskreditierung des Fußballs auf dem afrikanischen
Kontinent. Es liegt ihm auch fern, die Einsetzung von mystischen
Ritualen rund um den Fußball kritisch zu beleuchten. Damit
deutet er eine "Botschaft" an, die über die gesamten knapp 200
Seiten vielleicht die Gedanken des Lesers beflügelt. Denn
jeder Leser ist angehalten, sich seine eigenen Gedanken über
die Geschehnisse zu machen. Wie möglicherweise noch nie zuvor
bei der Lektüre eines Sachbuchs hatte ich den Eindruck, es mit
einer Art "Diplomarbeit" zu tun zu haben. Eine eigene Meinung des
Autors kristallisiert sich jedenfalls nicht heraus. Er lässt
die Protagonisten, also die Fußballer, Heiler, Trainer,
Manager und Experten, für sich sprechen, sodass sich am Ende
ein Panoptikum von unterschiedlichsten Meinungen und Erfahrungen
ergibt.
Tatsache ist, dass mystische Rituale für zahlreiche
afrikanische Fußballer eine Form von
"Alltagsgeschäft" sind. Sie begeben sich auf
Friedhöfe, zu Sangomas oder anderen Heilern und werden mit
mystischen Ritualen konfrontiert, die ihre ballesterischen
Qualitäten steigern, die Fähigkeiten des Gegners aber
schwächen sollen. Es gibt Fußballer und Trainer, die
nichts davon halten, dass der Fußballsport eine mystische
Ausprägung erfahren mag. Andere glauben ganz fest daran und
wissen auch von positiven Dingen zu berichten. Die "CAF", der
afrikanische Fußballverband, tolerierte lange Zeit, dass
mystische Rituale auf den Fußballplätzen angewandt
wurden, und etwa Eier oder Kokosnüsse mit den Namen
gegnerischer Spieler beschrieben in zerstörter Form das
Spielfeld übersäten. Es werden auch schon einmal tote
Tiere oder Teile davon in den Rasen eingegraben. Tormänner
berichten davon, dass sie nicht einen Fußball, sondern den
Kopf einer Ziege auf sich zukommen sahen, was sie davon abhielt, diesen
Kopf fangen zu wollen. Als sie dann in das Tornetz griffen, hatte sich
freilich ein Fußball in den Maschen verfangen. Mittlerweile
ist die "CAF" strenger, und jene Männer, die das Spielfeld
kommissionieren, achten stärker darauf, inwiefern die
Anwendung von mystischen Ritualen angenommen werden kann.
Tatsächlich ist davon auszugehen, dass selbst die auf dem
Kontinent erfolgreichsten und bekanntesten Teams wie etwa die Kaizer
chiefs (Südafrika) mit sogenannten witchdoctors
(Heilern, Magiern, "Zauberern") in Kontakt sind, auf dass die witchcraft
sie in ungeahnte fußballerische Höhen trage.
Der Fußball auf dem afrikanischen Kontinent ist tiefgehend
von mystischen Ritualen durchzogen. Davon hat sich der Autor
überzeugt, und dafür gibt es eine Menge Belege.
Die kleine Geschichte des Fußballs auf dem afrikanischen
Kontinent bleibt jedoch ebenso an der Oberfläche wie die
Auseinandersetzung mit nunmehr veränderten Strukturen, welche
der afrikanische Fußballverband zu schaffen versucht.
Interessant wäre es auch gewesen, zu erfahren, inwiefern
Nationalteams vom afrikanischen Kontinent bei Weltmeisterschaften, die
etwa in Europa stattfinden, mit diesen mystischen Ritualen konfrontiert
sind. Es gibt nur kleine Andeutungen, was das Mitreisen der witchdoctors
zu wichtigen Spielen außerhalb des afrikanischen Kontinents
betrifft. Insofern also der Einsatz von mystischen Ritualen ganze
Meisterschaften oder Afrika-Cups maßgeblich beeinflusst haben
soll, könnte doch das Fehlen dieser magischen "Begleiter"
andererseits die Ergebnisse afrikanischer Teams außerhalb der
Heimat negativ beeinflussen? Diese "Frage", die sich der Rezensent
stellt, ist natürlich genau so wenig zu beantworten wie
sämtliche anderen Fragen, die das Buch von Oliver G. Becker
aufwirft. Ist alles nur Humbug, oder ist doch irgendetwas dran? Ganze
Teams werden in der Nacht auf Friedhöfen mit verstorbenen
Fußballern und deren Fähigkeiten in
Berührung gebracht, auf dass durch mystische Rituale, durch witchcraft,
ein Sieg im entscheidenden Spiel gelinge. Am nächsten Tag sind
die Spieler freilich sehr müde, und das führt in
Konsequenz dazu, dass Spiele kaum gewonnen werden können.
Die Berichte bekannter Fußballer, Trainer und witchdoctors
sind spannend zu lesen. Der Leser ist sehr gefordert, weil er sich
seinen eigenen Reim machen muss. Oliver G. Becker verhält sich
neutral und streut in erster Linie geschichtliche Details und mit dem
Film zusammenhängende Erfahrungen ein.
(Jürgen Heimlich; 03/2010)
Oliver
G. Becker: "Voodoo im Strafraum. Fußball und Magie in Afrika"
C. H. Beck, Beck'sche Reihe, 2010. 198 Seiten.
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Christian
Ewers: "Ich werde rennen wie ein Schwarzer, um zu leben wie ein
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Die Tragödie des afrikanischen Fußballs"
Der Kolonialismus lebt: über modernen Menschenhandel im
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Eine erschütternde Reportage über das
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Wie Korruption die Hoffnung der Menschen auf ein besseres Leben kaputt
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Sie opfern alles für ihren großen Traum von Europa:
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steinigen Weg nach Europa. Der Traum vom großen
Glück jedoch erfüllt sich nur für wenige.
(Gütersloher Verlagshaus)
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Rupert Neudeck: "Die Kraft Afrikas. Warum der Kontinent noch
nicht verloren ist"
Während andere einst zur "Dritten
Welt" gehörende Länder in den letzten Jahrzehnten an
Wohlstand gewonnen
haben, scheint die Mehrzahl der Staaten Afrikas trotz westlicher
Entwicklungshilfe weiter zurückzufallen. Mit viel Empathie
für die Betroffenen
analysiert Rupert Neudeck die Hintergründe der heutigen
Situation, berichtet
von seinen eigenen Erfahrungen und fordert eine andere Afrikapolitik,
die auf
Eigeninitiative von unten setzt statt auf "Entwicklung" von oben.
Afrika hat Vieles, was wir in Europa als Entlastung und Ausgleich
brauchen: Öl
und wichtige Rohstoffe im Überfluss, eine
wunderschöne Natur, gute
landwirtschaftliche Produkte, die noch nicht durch Chemikalien
verseucht sind
und viel Sonne und Wind für alternative Energien. Und es
besitzt zahlreiche
Menschen, die ehrgeizig sind und ihre Situation verbessern wollen. Aber
der
Kontinent ist auch belastet durch das Erbe von Kolonialismus und
Sklaverei und
durch die Misswirtschaft der meisten afrikanischen Regierungen. Das
Fehlen
verantwortlicher politischer Eliten ist für Rupert Neudeck die
wichtigste
Ursache der afrikanischen Misere, aber auch die westliche
Entwicklungspolitik
ist reformbedürftig.
Der Gründer von "CAP ANAMUR" kennt die Probleme der
humanitären
Hilfe seit vielen Jahren aus eigener Anschauung und spart nicht mit
Kritik an
der Selbstbezogenheit vieler Hilfsorganisationen. Vor allem aber
plädiert er im
Jahr der afrikanischen Fußballweltmeisterschaft
dafür, endlich den kolonialen
Blick abzulegen und mehr Vertrauen zu haben in die "Kraft Afrikas".
(C.H.
Beck)
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Bartholomäus
Grill: "Laduuuuuma! Wie der Fußball
Afrika verzaubert"
Laduuuuuma heißt Tooooor!
Südafrika ist mehr als Diamanten, Löwen, Tafelberg
und Nelson Mandela. Wer wüsste
das besser als der Afrika-Experte Bartholomäus Grill, der in
Johannesburg eine
Jugendelf trainiert hat. Geistreich und unterhaltsam führt er
durch die
Kap-Republik und den Kontinent.
Afrika hat lange auf die Fußballweltmeisterschaft gewartet,
2010 findet sie nun
auf diesem fußballbegeisterten Kontinent statt: in
Südafrika, dem Land, das
den Rassenwahn der Apartheid
mit friedlichen Mitteln
überwunden hat und als
Leitmodell der Versöhnung gilt. Bartholomäus Grill
beschreibt, welche
Bedeutung die WM für das Selbstbewusstsein der Afrikaner hat,
und führt durch
die Geschichte und Gegenwart des afrikanischen Fußballsports.
Anschaulich
berichtet er über die Probleme, Hoffnungen und Träume
eines Erdteils. All die
Geschichten und Schicksale, die dem Autor im Laufe der Jahre zwischen
Kairo und
Kapstadt begegnet sind, haben einen gemeinsamen Nenner: Sie
erzählen davon, wie
der Fußball Afrika verzaubert. (Hoffmann und Campe)
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