Wolfgang Koeppen: "Tauben im Gras"
Eine
erste kritische literarische Bestandsaufnahme der sich restaurierenden
gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse in der
Bundesrepublik
Dieser 1951 erschienene Roman beschäftigt sich mit den
Lebensumständen und dem Lebensgefühl der deutschen
Bevölkerung kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in den
Anfängen der Besatzungszeit besonders im us-amerikanisch
verwalteten München im Jahr 1949. Und auch mit den Gedanken
und Gefühlen besonders einiger afroamerikanischer Soldaten,
die in Europa in einer ganz anderen Situation sind als in ihrer
US-Heimat. All dies wird komprimiert auf einen Erzählzeitraum
von etwa 18 Stunden im München des Jahres 1949.
Neben den bereits genannten Schwerpunktcharakteren gibt es noch den
us-amerikanischen Schriftsteller Edwin, der auf einer Art Tournee in
dem besiegten Land ist, auch, um Eindrücke davon zu sammeln,
und eine Gruppe von Lehrerinnen, die das "Land der Dichter und Denker"
besuchen und dabei eigentlich nur sehr wenig von dem sehen, was zu
dieser Zeit wirklich bemerkenswert erscheint.
In mehreren Handlungssträngen begleitet der Leser einen
erfolglosen deutschen Dichter
und seine Geliebte, die mit ihrem
ärmlichen Status sehr unzufrieden ist und darum nach Besuchen
von Pfandleihen dem Alkohol kräftig zuspricht, man trifft
Washington Price, der als Schwarzer in einem kurz zuvor rassistisch
regierten Land eine weiße Geliebte findet, die ihrer beider
Situation in dieser Beziehung wesentlich realistischer betrachtet als
er selbst - auch weil sie schon einiges an Erfahrungen gesammelt hat.
Mit diesen und anderen Figuren zeigt der am 23. Juni 1906 in Greifswald
geborene und am 15. März 1996 in München gestorbene
Autor Wolfgang Koeppen, dass die Bevölkerung nach Kriegsende
zum Teil in einer Art Betäubung verharrte, die aber beim
richtigen Auslöser schnell wieder ins
völkisch-rassische Denken umschlagen konnte, was unter Anderem
an einem Abend im Bräuhaus zu komisch-beängstigenden
Szenen führt, wenn Altnazis und schwarze "GIs"
auf Wirthausbänken stehend das Röslein im Walde
besingen und den Fuchs, der die Gans gestohlen hat.
Das Elend der Nachkriegszeit und die Entwürdigungen der
Beschaffung von Lebensnotwendigem stehen neben dem Versuch neue Leben
zu beginnen, sich umzuorientieren und irgendwie die Schrecken der
letzten Jahre hinter sich zu lassen. All dies wird in wechselnden
personalen Betrachtungen dargestellt, die oft
in der Form eines Bewusstseinsstroms abgebildet sind und das
Denken des Lesers aufgrund der sehr komplexen, anspielungsreichen
Bildsprache
herausfordern.
"Tauben im Gras" kann als nicht gerade einfache Lektüre
bezeichnet werden, weder in inhaltlicher noch in sprachlicher Hinsicht,
ist jedoch durchaus glaubhaft in der Darstellung des Denkens und
Fühlens der Menschen der damaligen Zeit.
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 11/2010)
Wolfgang
Koeppen: "Tauben im Gras"
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