Jiddu Krishnamurti: "Meditationen"
Die
nicht organisierbare
Wahrheit
"Ich behaupte, dass die Wahrheit ein pfadloses Land ist und
dass es
keine Pfade gibt, die zu ihr hinführen - keine Religionen,
keine Sekten."
Dies sprach Einer, der sein Leben lang auf der Suche nach der Wahrheit
war:
Jiddu Krishnamurti (1895-1986), gebürtiger Inder, weigerte
sich, als Inkarnation
des prophezeiten fünften Buddhas zur Verfügung zu
stehen, da sich Wahrheit und
Freiheit nicht mit Hierarchien und Autoritäten vertragen. Er
bereiste
allerdings sozusagen auf eigene Verantwortung alle Welt, hielt
zahlreiche
anerkannte Vorträge und hinterließ jede Menge
nachdenkenswerter Sentenzen und
Überlegungen. Er wollte keine Bewegung gründen und
keine Nachläufer haben,
und was er lehrte, das versuchte er auch selbst zu leben. Betrachtet
man den
Lebensweg Krishnamurtis etwas genauer, wird offenkundig, wie
verschlungen und
eigentlich auch ideologisch bedenklich die Entwicklung eines
Gutmenschen
verlaufen könnte. Es ist immer interessant zu beobachten, wie
sich
charismatisch veranlagte Persönlichkeiten gegen
Vereinnahmungen durch dubiose
Organisationen verwahren müssen. Vor allem die Theosophische
Gesellschaft, in
welche er übrigens durch die Zugehörigkeit seines
Vaters geriet, scheint ihm
diesbezüglich sehr lästig gefallen zu sein. Immerhin
wurde er schon mit 15
Jahren Oberhaupt des weltumspannenden theosophischen Ordens "Star
oft he
East", ließ sich aber auf keine bestimmte Religion
oder Philosophie
verpflichten. Konsequenterweise löste er diesen "Sternenorden"
im
Jahr 1929 auf. Er verweigerte den Guru-Status, gleichwohl sprach er
immer wieder
vor und mit vielen Leuten. Ein Kernsatz von ihm war aber: "Schaffen
Sie
sich bitte kein Bild vom Sprecher. Der Sprecher ist nicht sehr wertvoll
- was
bedeutungsvoll ist, ist das, was er sagt." Gleichwohl
entstanden in den
USA, in Indien und England Schulen und Zentren, und von 1961 bis 1985
lebte und
sprach Krishnamurti im Sommer mehrere Wochen in Saanen im Berner
Oberland. Er
wurde zum Kritiker aller religiösen Gemeinschaften mit all
deren Regeln und
Kulten und lehnte jede Autorität in Glaubensfragen ab, denn
das namenlose Wahre
erschließt sich dem Einzelnen in der Meditation. Krishnamurti
zeigt auf, wie
man sich aus den Fesseln instrumentalisierender Institutionen befreien
kann,
ohne Weltflucht zu begehen.
Krishnamurti las keine religiösen oder philosophischen
Bücher, er entwickelte
seine Lehre aus seinem eigenen Leben heraus. Gleichwohl wurden seine
Reden,
Dialoge, Tagebücher und Briefe in mehr als 60 Büchern
gesammelt und in viele
Sprachen übersetzt. Die zentrale Idee war, das Bewusstsein des
Einzelnen zu
transformieren, sich durch Selbsterkenntnis der einengenden und
trennenden Einflüsse
der kulturellen, religiösen und nationalistischen
Konditionierungen zu
entledigen. Die Menschen sollten in Harmonie mit sich selber, mit den
anderen
und mit der Natur leben. Dazu ist es zuvörderst
nötig, sich von Besitz- und
Machtgier zu befreien.
Passend zur vorliegenden
Zusammenstellung hat Krishnamurti einmal
formuliert: "Nur
als Erblühen des Denkens und damit als Ende des Denkens hat
Meditation wirklich
Bedeutung. Meditation ist der Zustand des Geistes, der alles mit
vollkommener
Aufmerksamkeit betrachtet, das Ganze, nicht nur Teile davon. (...) Jede
Anstrengung zu meditieren macht Meditation unmöglich."
Anlässlich der
Auflösung des Sternenordens sagte er u. A.: "Die
Wahrheit ist
grenzenlos, sie kann nicht konditioniert, sie kann nicht auf
vorgegebenen Wegen
erreicht und daher auch nicht organisiert werden. (...) Der
Glaube ist
eine
absolut individuelle Angelegenheit und man kann und darf ihn nicht in
Organisationen pressen. (...) Solche Organisationen
verkrüppeln das Individuum,
hindern es daran zu wachsen und seine Einzigartigkeit zu leben, die ja
darin
liegt, dass es ganz alleine diese absolute, uneingeschränkte
Wahrheit entdeckt.
(...) In dem Moment, in dem man beginnt, jemandem zu folgen,
hört man auf, der
Wahrheit zu folgen." Krishnamurti wollte aus seinen Aussagen
nie eine
Ideologie machen, er wollte damit lediglich anregen, die jeweils eigene
geistige
Freiheit zu entdecken und zu leben.
Das
Ich ist für Krishnamurti ein bloßes
Produkt des
Denkens. Er strebt keine
Stabilisierung des Ich an, sondern dessen Auflösung. Wird das
Ich ohnehin
zwischen Philosophie und Psychologie hin und her geschubst, so klingt
es ebenso
provozierend für den westlichen Verstandesmenschen, dass man
durch Denken auf
keine Lösungen kommen könne. Denken schaffe nur
Weltanschauungen und sei eben
abhängig von der
Verhältnismäßigkeit unseres Wissens und
Unwissens. Aus dem
Denken entstehen Ideen und Ideale, und daraus erwächst ein
Konflikt zwischen
Illusion und Wirklichkeit. Auf diesem Hintergrund ist wohl auch ein
Buchtitel
von ihm richtig zu verstehen: "Revolution durch Meditation. Die totale
Erneuerung" (1970). Krishnamurti sucht nach einem Weg der
ganzheitlichen
Wahrnehmung der Welt, die nicht durch den Filter des analytischen und
damit
trennenden Denkens läuft.
Für Krishnamurti ist Meditation "keine Flucht aus
der Welt (...) sie
ist vielmehr das umfassende Verstehen der Welt und ihrer
Beschaffenheit."
Meditation ist das "Hinweggehen aus der Welt",
allein dadurch "hat
die Welt einen Sinn." Krishnamurti verbindet sozusagen ein
Risiko mit
der Meditation: "Man muss sich ins Wasser stürzen,
ohne zu wissen, wie
man schwimmt. Und das Schöne an der Meditation ist, dass man
nie weiß, wo man
ist, wohin man geht und was am Ende ist." Meditation ergibt
sich aus
der "Freude der Einsamkeit", wenn man "nicht
mehr zur
Welt gehört oder an irgend etwas hängt" und
den "Weg in die
Stille" findet. Meditation ist nicht das Trachten nach einer
Vision,
sondern die Aufhebung des Raums zwischen Ich und Du. Die Meditation hat
weder
Zweck noch Nutzen, sie bringt ein "großes
Entzücken", denn
sie öffnet das "Tor zu dem Unermesslichen".
Meditation ist
Schweigen und Liebe, Friede und Schönheit. Der Mensch dringt
immer tiefer in
sich selbst ein, er ist nicht mehr auf der Suche, sondern er
spürt ein "unmittelbares
Wahrnehmen".
Für uns rational gepolte Westeuropäer ist wohl noch
wichtig zu wissen, wie
Krishnamurti die Herangehensweise sieht: "Die Meditation kann
man nicht
von einem Anderen erlernen. Man muss beginnen, ohne etwas über
sie zu wissen,
und muss ständig in diesem Zustand der Unschuld verbleiben."
Das
klingt freilich für seminarverwöhnte und
fortbildungsgetrimmte Leistungsbürger
befremdlich. Meditation heißt eben: "Ohne
Widerstand zu sein, innerlich
allen Dingen gegenüber ohne Schranken zu sein, wirklich und
vollkommen frei von
den geringfügigen Nöten, Bedrängungen und
Ansprüchen mit ihren nichtigen
Konflikten und Heucheleien, heißt mit offenen Armen durch das
Leben zu gehen."
Schließlich erfahren wir, wie wir den meditativen Zustand
intensiv erleben können:
"Das tiefe Entzücken an der Einsamkeit ist in dir,
wenn du dich nicht
davor fürchtest, allein zu sein, wenn du der Welt nicht
länger zugehörst und
keinem Ding mehr verhaftet bist." Sind wir nicht schon allein
vom Lesen
solcher Formulierungen innerlich friedlich und entspannt?!
Neurologen messen eine Veränderung der Hirnwellen, man
registriert, dass sich
der Herzschlag verlangsamt, dass sich die Atmung vertieft und sich
Muskelspannungen reduzieren. Der linke Stirnhirnlappen entwickelt eine
größere
Aktivität, im EEG registriert man verstärkte
Gamma-Wellen, und es kommt zu
deutlichen Verdickungen in Bereichen der Großhirnrinde. Es
gibt medizinische
und psychologische Arbeiten, welche die positive Wirkung von Meditation
auf
Bluthochdruck, Herz-Kreislauferkrankungen und Drogen- und
Arzneimittelmissbrauch
nachweisen. Wolf
Singer, einer der einflussreichsten Hirnforscher der Welt,
versteht
Meditation so, dass es darum gehe, eine Veränderung von
Hirnfunktionen
herbeizuführen, um das Bewusstsein verlässlich gegen "schädliche
Intrusionen" zu schützen. Eng damit
verknüpft ist die Frage, wie man
sich in unserem Gehirn die "Konstitution des intentionalen
Ichs"
vorstellen soll. Matthieu
Ricard, Vertreter der sogenannten kontemplativen
Wissenschaft, nennt die
Meditation eine "Anregung von innen",
während der menschliche
Geist normalerweise durch Außenreize weiterentwickelt wird.
Da unser Hirn
raumzeitlichen Erregungsmustern ausgesetzt ist, aktiviert es einen
dynamischen
Selektionsmechanismus. Bei der Meditation werden wir eben nicht mehr
von außen
"erregt", die Dynamik verebbt, und aus der Selektion wird eine
Fokussierung. Oder mit Krishnamurtis Worten: "Ein meditativer
Geist ist
still. (...) Es ist die Stille, in der das Denken - mit all seinen
Bildern,
seinen Worten und Wahrnehmungen - vollkommen aufgehört hat."
Es heißt
aber auch hier: "Meditation heißt herauszufinden,
ob das Gehirn mit all
seinen Aktivitäten, all seinen Erfahrungen, absolut still sein
kann."
Meditieren heißt auch, sich von der Zeit befreien und Liebe
"erblühen"
zu lassen. Wenn wir noch lesen, dass Meditation auch zu Tugend
führt - "Freiheit
von Neid, Gier und Machtstreben" - dann müssten wir
uns ja fast schon
verpflichtet fühlen, uns mit diesem Büchlein von
Krishnamurti zu beschäftigen.
(KS; 07/2010)
Jiddu
Krishnamurti: "Meditationen"
Übersetzt von Ulrich Hartmann.
Diogenes, 2010. 84 Seiten.
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"Über Leben und Sterben.
Reflexionen über die
Letzten Dinge"
Wir können nicht wahrhaft lieben und das Leben voll
ausschöpfen, wenn wir
nicht aus eigener innerer Erfahrung begreifen, was der Tod wirklich
ist. Denn:
Leben,
Liebe
und Tod,
so Krishnamurti, sind eng miteinander verbunden.
Kompromisslos
weist er alle von außen kommenden Antworten zurück
und fordert seine Zuhörer
in den hier gesammelten Reden und Gesprächen auf, ihre eigenen
Antworten auf
die zentralen existenziellen Fragen des Menschen zu finden. (Fischer)
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"Vollkommene
Freiheit. Das große Krishnamurti-Buch"
Vollkommene Freiheit - das war Jiddu Krishnamurtis Leitmotiv. Dieser
Band
versammelt seine wichtigsten Aufsätze, Reden und
Gespräche aus fünfzig Jahren
weltweiter Lehrtätigkeit - viele davon hier zum ersten Mal in
deutscher Übersetzung.
Jiddu Krishnamurti (1895-1986) war einer der großen geistigen
Revolutionäre
des 20. Jahrhunderts. In England erzogen wurde er schon früh
von der
Theosophischen Gesellschaft zum "Weltlehrer" auserkoren. Anno 1929
löste
er sich mit einer berühmt gewordenen Rede von allen Bindungen
an organisierte
Religionen
und Ideologien. Auf Vortragsreisen, in Gesprächen
und mehr als 60 Büchern
legte er Suchenden in aller Welt seine eigenwillige Auffassung des
geistigen
Erwachens ohne alle traditionellen Methoden dar. (Fischer)
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D. Rajagopal (Hrsg.):
"Das Wesentliche ist einfach.
Antworten auf Fragen des Lebens"
Wie finde ich das Glück? Warum wollen wir immer mehr? Der
indische
Weisheitslehrer schenkt überraschende Einsichten und
überzeugende Orientierung.
(Herder)
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