Siegfried Lenz: "Landesbühne"
Im
hohen Alter ist der
Schriftsteller Siegfried Lenz zu einem absoluten Meister der Novellen
geworden.
Neben seinen Romanen waren es schon immer seine Erzählungen,
die seinen Ruhm
und seinen Ruf begründeten, doch die letzten beiden ragen
für den Rezensenten
sprachlich wie auch thematisch noch heraus. 2008 hatte der Autor in
seiner
Novelle "Schweigeminute"
die Liebesgeschichte einer Lehrerin mit ihrem Schüler
erzählt und gezeigt, wie
die Liebe gerade durch den Tod unsterblich wird, und damit Marcel
Reich-Ranicki
zu dem Urteil herausgefordert, das sei "vielleicht sein
schönstes Buch".
Die gegenständlich besprochene Novelle wählt einen
ungewöhnlichen Schauplatz
als Ausgangspunkt. Im Gefängnis der norddeutschen Provinzstadt
Isenbüttel
begegnen sich der Ich-Erzähler Clemens, der sich als Professor
von Studentinnen
mit Liebesnächten für bestandene Examina entlohnen
ließ, und Hannes, der an
den Ausfallstraßen Hamburgs als verkleideter Polizist
über lange Zeit
erfolgreich schnellen Autofahrern Bußgelder ohne Beleg
abknöpfte, bis auch er
entdeckt wurde und im Knast landete.
Als eines Tages ein Bus der Landesbühne in den
Gefängnishof einfährt, weil
der rührige Gefängnisdirektor Karl Tauber etwas
für die Kultur seiner
Insassen tun will, reift in Hannes ein genialer Plan. Zusammen mit
einem
ehemaligen Schiedsrichter, der Spiele en masse verschoben hatte und
dabei reich
geworden war, gelingt es einer Gruppe von Gefangenen, darunter auch
Clemens und
Hannes, den Bus der Landesbühne sozusagen zu kapern und mit
ihm zu fliehen. Sie
landen in Grünau, wo man gerade dabei ist, das
jährliche Nelkenfest
vorzubereiten. Als die Bürger den Bus mit der Aufschrift
"Landesbühne"
sehen, "konnte ich beobachten, wie ein Tumult entstand, ein
Freudentumult, immer wieder hörte ich den Ruf:
'Landesbühne, das ist die
Landesbühne, die Landesbühne ist zu unserem Fest
gekommen!'"
Hannes begreift die Gunst der Stunde sofort, ordnet das Bleiben der
Flüchtenden
an, und da erscheint auch schon "ein untersetzter,
silberbärtiger Mann,
Jens Uhlenkopp, der Bürgermeister von Grünau."
Er glaubt die Geschichte unverzüglich, wittert kulturelle
Morgenluft für
seinen Ort und hofiert in affektierter Weise die für
Schauspieler
gehaltenen
Häftlinge. Alle möglichen kulturellen
Aktivitäten sollen sie initiieren, der
Bürgermeister sieht sein Kaff schon bald als eine Art
regionales Kulturzentrum.
Es ist köstlich zu lesen, wie Siegfried Lenz da durchaus
wohlwollend die Chuzpe
der Häftlinge sowie die Eitelkeiten der Provinz- und
Lokalpolitik beschreibt.
Als auch der Intendant der Landesbühne und der
Gefängnisdirektor auftauchen,
weiß man nicht mehr, ob man da gerade als Leser mit einer
grandiosen
Inszenierung konfrontiert ist. Auch die Gefangenen sind unsicher.
Werden sie
wieder zurückgebracht nach Isenbüttel?
Am Ende bleibt die Geschichte von Clemens und Hannes, zwei
Männern, wie sie
ungleicher nicht sein können, zwischen denen sich eine
außergewöhnliche
Freundschaft
entwickelt.
(Winfried Stanzick; 04/2010)
Siegfried
Lenz: "Landesbühne"
Hoffmann und Campe, 2009. 120 Seiten.
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