Dan Lungu: "Wie man eine Frau vergisst"
Kaugummi
als Mittel zum Löschen
des Gedächtnisses
"Wie man eine Frau vergisst" ist nach "Das
Hühnerparadies" und "Die rote Babuschka" der dritte
in
deutscher Sprache erschienene Roman des 1969 geborenen
rumänischen
Schriftstellers Dan Lungu.
"Lieber Andi, ich bin weg. Ich bitte dich, mir zu verzeihen!
Irgendwann
wirst du es sicher verstehen. Marga."
Diese daheim anstelle von Marga vorgefundene Notiz Margas ist der
Ausgangspunkt
für Dan Lungus rasanten, zeitweise auch kurzweiligen, am Ende
jedoch für den
Rezensenten unbefriedigenden Roman über die Frage, wie Mann
denn eine
entschwundene Frau vergessen könne.
Andi ist ein komischer Kauz, ein eher misanthropisch veranlagter
Miesepeter, der
im postkommunistischen Rumänien scheinbar mühelos von
einer absurden Situation
in die nächste tappt. Ein Protagonist, der beim Eintreten in
die eigene
Wohnung, kurz vor dem Auffinden des Abschiedsbriefes von Marga "Hände
hoch! Gibt's etwas zu futtern in diesem Haus?"
brüllt und der die
Dunkelheit in der Wohnung wie die Dunkelheit in einem Sarg empfindet.
"Während ich nun weiteraß, machte ich mich
auf die Suche. Ich begann
meine Wohnung nach allen Regeln der Kunst zu durchkämmen, was
allerdings nicht
sonderlich viel Zeit in Anspruch nahm. Als Erstes gehorchte ich meinem
Reflex
und widmete mich dem Schrank, aber vergebens. Zwei aufgeschreckte
Motten ließen
die Erinnerung an einen kurzen Streit, den ich ein paar Tage zuvor mit
Marga
ausgetragen hatte, aufflackern. Danach suchte ich hinter den
Mänteln und
Jacken, die an dem Kleiderständer im Flur hingen, ich kroch
halb unter das Bett
und wirbelte dabei ordentlich Staub auf, ich ging abermals zum Schrank
und
tastete sogar den Hut ab, danach warf ich einen flüchtigen
Blick in den
Backofen. Nichts."
Was Andi zunächst als Streich Margas empfindet, den er sich so
zu erklären
versucht, dass sie wahrscheinlich überprüfen wolle,
ob die Mäuse in
Abwesenheit der Katze tanzen, entpuppt sich, nachdem er
zusätzlich noch das
Badezimmer, das Wohnzimmer, alle Koffer, die Schiebetüren der
Bibliothek und
sogar die eigenen Hosentaschen nach Marga ab- bzw. durchsucht hat,
relativ
schnell als bittere Wahrheit, die Andi in eine abwegige Reportage
über
Presbyter treibt und zum Sinnieren über verflossene
Liebschaften anregt.
Das sich ständig bühnenreif zankende Paar in der
Wohnung über Andi und Margas
bzw. die Zankereien dieses Paares sind neben dem immer wieder
aufflackernden
Wunsch, sich ein kühles Bier in einem gemütlichen
Gastgarten zu genehmigen,
ein roter Faden, der sich durch den Roman zieht.
Interessant gelöst hat Dan Lungu die Frage nach der
Erzählperspektive, die in
abwechselnden Kapiteln entweder die Ich-Perspektive von Andi beleuchtet
oder
Andi aus der Perspektive eines allwissenden Erzählers
beschreibt.
Während Andis Verwicklung mit den Presbytern immer absurder
und abwegiger wird,
versucht er durch Erinnerungen an die diversen Frauen in seinem Leben
zur
Antwort über das "Warum" des Verlassenwerdens durch Marga zu
kommen.
Erinnerungen, die natürlich auch die Schulzeit Andis in der
Ceauşescu-Zeit
und das repressive kommunistische Regime streifen sowie die
postkommunistische,
anarchistisch-kapitalistische Zeit auf bemüht heitere Art
beleuchten.
Eigentlich hätte dieser Roman, diese Geschichte um Andi und
seine entschwundene
Marga ein relativ hohes Unterhaltungspotenzial, wenn die
Bemühung, heiter und
erheiternd zu sein, nicht immer so präsent wäre und
die literarische Umsetzung
nicht immer wieder, oft in Bezug auf Frauen, die je nach ihren
Attributen auch
einmal als "Vorzeigekadaver", "Tussen"
und "Zicken"
beschrieben werden, in unvermutete Tiefen stürzen
würde.
"Ich habe ihr einfach gefallen, und sie nahm mit nach Hause
und legte
mich flach. Ich hätte nie gewagt, eine Frau anzuschauen, die
sechs Jahre älter
war als ich, eine richtige Frau sozusagen. Mein Beitrag zur Vereinigung
der Körper
war bescheiden: Ich ließ meine verkrampften Hände
wie zwei Besenstiele über
ihren heißen Rücken hinauf- und hinabwandern und
leistete ein bisschen später
eine Samenspende. Diese Manöver wiederholte ich einige Mal und
registrierte
dabei jedes Mal befriedigende Fortschritte ... Ich war derart berauscht
von
meinen Erfolgserlebnissen, dass ich nach einiger Zeit sogar einen
draufsetzte
und beschloss, Andrea auch noch zum Schreiben
zu bringen."
Ein kurzer Ausschnitt aus einer langen Szene, die symptomatisch
für die Sprache
und den Duktus des Buches ist. Eine Sprache, die ob ihrer Flapsigkeit
und eines
fast paranoiden Unterhaltungszwangs sehr bald ermüdend und ab
dem Moment, an
dem die Erinnerungen des Protagonisten vermehrt von quasi erotischen
Momenten
durchtränkt werden, nur mehr schal und nervtötend ist.
Ermüdend sind auch die möglicherweise als
Existenzialismus oder Postexistenzialismus
zu verstehenden Versuche des Protagonisten, die Erklärung
seiner "Ängste
und Feigheiten, mit denen er in einem Käfig wohne"
in Worte zu fassen,
wie auch die Suche nach der Antwort auf die im Titel des Romans
gestellte Frage.
"Ich hatte mir fest vorgenommen, mir diese launenhafte Zicke
ein für
alle Mal aus dem Kopf zu schlagen. Ich fühle mich nun etwas
unwohl, weil ich
sie so bezeichne, aber ich würde die Art, wie ich damals
über sie dachte,
verraten, wollte ich sie jetzt anders nennen.
Also, ich wollte sie aus meinem Gedächtnis löschen,
deshalb kaute ich
Kaugummi."
"Wie man eine Frau vergisst" ist trotz einer guten Idee leider nur
bemüht
witzig, viel zu dicht an vermeintlichen Versuchen, geistreich zu sein,
flapsig
und sprachlich uninteressant, beherbergt einige der schlechtesten
Sexszenen, die
dem Rezensenten je literarisch begegnet sind, und hat eine Art,
über Frauen zu
schreiben, die möglicherweise erheiternd sein soll, die
für den Rezensenten in
dieser Form und ohne wirkliche Begründung jedoch indiskutabel
ist.
Die besten Momente hat das Buch im Erzählstrang um die absurde
Presbyter-Gruppe, summa summarum ist der Roman aber leider eine herbe
Enttäuschung.
(Roland Freisitzer; 10/2010)
Dan
Lungu: "Wie man eine Frau vergisst"
Aus dem Rumänischen von Jan Cornelius.
Residenz Verlag, 2010. 283 Seiten.
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