Tanizaki Jun'ichirô: "Lob der Meisterschaft"
Ein
tiefgehender Einblick in
die japanische Mentalität
Tanizaki Jun'ichirôs berühmter Essay "Lob der
Meisterschaft" beschäftigt
sich mit der Frage des Kunstverständnisses per se.
"Seit alters haben die Menschen des Ostens die Gewohnheit,
ihre Antiquitäten
zu bearbeiten, ein einzelnes Stück jahrelang
unermüdlich und geräuschvoll zu
polieren, um so einen natürlichen Glanz, eine Alterspatina
hervorzubringen. Um
genau dasselbe geht es im Grunde, wenn im Theater von Polieren und vom
Würdigen
der Meisterschaft die Rede ist. Meisterschaft, das ist eben diese
Patina, die
sich bei langjährigem, unermüdlichem Polieren ergibt."
Kann man zwischen Inspiration und Meisterschaft bzw. dem Handwerk des
Künstlers
überhaupt trennen?
Wie unterschiedlich sind die Zugänge des "Westens" und des
"Ostens"?
In einem ruhig parlierenden Tonfall erzählt Tanizaki
über Geschichten aus
seinem Leben, über Bekanntschaften; Geschichten, die seine
Auffassung von künstlerischer
Meisterschaft entwickeln.
Auch wenn Tanizaki in direkten Vergleichen zwischen Malern,
Schauspielern und
anderen Künstlern, von deren Fähigkeiten der
durchschnittliche, an Japan
interessierte Leser eigentlich keine bis wenig Ahnung hat bzw. deren
Namen und
Werke kaum mehr geläufig sind, die Frage der Meisterschaft
erörtert, so ist
doch sehr klar, was Tanizaki jeweils sagen will.
"Ein wirklich schöpferischer Mensch ist, nicht nur in
Bezug auf die
Schauspielerei, mit allen möglichen Fertigkeiten ausgestattet,
auf die sich ein
mittleres Talent jeweils im Einzelnen etwas einbildet. Er hat dieses
Stadium längst
hinter sich. Weit davon entfernt, unbeholfen zu sein, kann er alles,
was ein auf
den ersten Blick geschickter Aufschneider zustande bringt, ebenfalls,
wenn er
nur will. Aber er vermeidet es einfach, sein Können zur Schau
zu stellen. Das
wird wohl auch bei Danjûrô der Fall gewesen sein.
In besonderem Maß, so
Yasuda, ist solches aus den Bildern des Meisters Hashimoto
Gahô herauszuspüren.
Man trifft gelegentlich auf Leute, die das Werk des Malers Kawabata
Gyokushô
loben und behaupten, Gahô reiche in mancherlei Hinsicht nicht
an Gyokushô
heran. Aber nur keine Eile! Hätte man Gahô dazu
gebracht, ein Bild im Stil des
Gyokushô zu malen, hätte er es noch perfekter
ausgeführt als Gyokushô selbst
..."
Durch präzise und kenntnisreiche
Äußerungen, unterstützt durch die besonders
aussagekräftigen Fotos, führt Tanizaki den Leser
behutsam an die Mentalität
und Hintergründe, an die Kunst des Kabuki-Theaters heran.
Es ist besonders faszinierend, Tanizakis ruhig dahin
fließendem Text zu folgen,
da sich der Sinn seiner Ausführungen quasi nebenbei ergibt.
Und so finden sich in diesem Text feinsinnige und originelle Gedanken
zum Kabuki-Theater,
zum Film (mit dem Tanizaki natürlich den Stummfilm meint), zur
Schauspielerei,
zur Malerei und natürlich auch zur Literatur.
"Nach allgemeinem Verständnis der heutigen
Literatenkreise ist eine
Literatur, die sich von der Wirklichkeit absetzt, feige. Aber diese
Denkweise
ist dem westlichen Einfluss zuzuschreiben. Unser
ursprüngliches Verständnis
von Literatur bestand darin, dass sie uns die Nöte der
profanen Welt vergessen
lassen soll. Ich denke zwar, dass das, was man im Westen unter
Literatur
versteht, viel Nützliches zur öffentlichen Meinung
und allgemeinen
Sittlichkeit beiträgt - was aber nicht gleichzeitig
heißt, dass die östliche
Literaturauffassung gänzlich auszuschließen
wäre. Es gibt überhaupt keinen
Grund, wieso nicht beide nebeneinander existieren sollten."
Sehr schöne Schlussworte von Tanizaki runden diesen Band, zu
dem es noch "Lob
des Schattens", einen Entwurf zur japanischen Ästhetik und
auch im Manesse
Verlag veröffentlicht, gibt, ab. Großer Dank
gebührt auch dem Manesse Verlag
für das sehr informative Personenregister und den
umfangreichen Anhang.
(Roland Freisitzer; 10/2010)
Tanizaki
Jun'ichirô: "Lob der Meisterschaft"
(Originaltitel "Geidan")
Aus dem Japanischen übersetzt und kommentiert von Eduard
Klopfenstein.
Mit 9 historischen Fotografien und einer Original-Kalligrafie von
Suishû T. Klopfenstein-Arii.
Manesse, 2010. 137 Seiten.
Buch
bei amazon.de bestellen
Ein
weiteres Buch des Autors:
"Lob des Schattens"
Japanische Räume beeindrucken durch karge Schlichtheit und
ungewohntes Halbdunkel. Am Beispiel des Umgangs mit Farbe, Licht und
Schatten gelingt Tanizaki Jun’ichiro
der geniale Entwurf einer japanischen Ästhetik.
Einfühlsam und originell spürt dieser vielzitierte
Essay den Unterschieden zwischen östlicher und westlicher
Kultur nach. Ein Muss für alle, die sich für Form und
Gestaltung - nicht nur die japanische - interessieren. (Manesse)
Buch
bei amazon.de bestellen
Tanizaki
Jun'ichirô (1886-1965) wurde in Tokio geboren. Beide Eltern
stammten aus alten Kaufmannsfamilien. Der hochbegabte
Jun'ichirô, der schon in der Schule durch stilistische
Glanzleistungen Aufsehen erregt hatte, studierte in Tokio englische und
japanische Literatur. Er verließ die Universität
jedoch ohne Abschluss und entschied sich für die
Schriftstellerlaufbahn. Beeinflusst von
Oscar
Wilde, Edgar
Allan
Poe, Charles Baudelaire und seinem Lehrer Nagai Kafu nahm er
von Anfang an einen antinaturalistischen Standpunkt ein und wurde zum
Bannerträger des Ästhetizismus. Sein Hauptthema ist
die Suche nach Schönheit und nach einer oft
übersteigerten, sich am Rande des Abartigen bewegenden
Sinnlichkeit und Erotik.
1923 zog er in das Gebiet von Kyoto-Osaka und wandte sich vermehrt der
traditionellen Kultur zu. Sein Hauptwerk, der umfangreiche Familien-
und Gesellschaftsroman "Sasame yuki" ("Feiner Schnee"), entstand
1943-1948. Tanizaki schreibt eine breit angelegte, kraftvolle,
präzise Prosa.
Der lange Essay "In’ei raisan" ("Lob des Schattens", 1933)
ist ein Schlüsselwerk für Tanizakis
Ästhetik, zeugt sowohl von seinem ausgeprägten
Sensualismus wie für seine Hinwendung zur Tradition und
reflektiert in einzigartiger Weise die Situation des Umbruchs, die
Spannung zwischen Alt und Neu, zwischen Ost und West.