Agustín Sánchez Vidal: "Quipu"
An
der Küste von Andalusien beginnt anno 1573 eine
rätselhafte Geschichte um ein schwarzes Schiff und Quipu, die
Knotenschrift der Inkas.
Sánchez Vidals Buch ist ein Epigraf vorangestellt, ein
sprachliches Bild aus dem Spätwerk
Jorge Luis Borges': "Jemand nimmt sich vor, die
Welt zu zeichnen. Im Laufe der Jahre bevölkert er einen Raum
mit Bildern von Provinzen, Königreichen, Gebirgen, Buchten,
Schiffen, Inseln, Fischen, Zimmern, Instrumenten, Gestirnen, Pferden
und Menschen. Kurz bevor er stirbt, entdeckt er, dass dieses geduldige
Labyrinth aus Linien das Bild seines eigenen Gesichts wiedergibt."
(1960).
Borges ist einer, der sein ganzes Leben auf der Suche nach dem Selbst
war und die Geheimnisse, die das Leben für uns alle bereit
hält, in seinen Texten verehrend beschrieb und ihnen die
irritierende Wichtigkeit einräumte, die so mancher
aufklärerische Zeitgenosse niederzudenken vermag.
Auch Agustín Sánchez Vidals Roman "Quipu" ist
eine Geschichte um die Unklarheiten des Lebens, um die Mythen des
Daseins.
Recht konventionelle Bilder machen den Roman zu einem gewohnten Bild
des Lesens. Die Metaphern aber sind stimmig und funktionieren. Die sehr
distanzierte Darstellung bei der (Nicht-)Einführung der
Figuren in dem In-medias-res-Beginn des Romans fesselt den Leser
durchaus. Dies ist ein historischer Roman, der es wahrlich schaffen
kann, über den ureigenen Unterhaltungswert, eben durch die
metaphysischen Anspielungen auf die Rätsel der Geschichte und
fremden Völker, hinauszuwachsen.
"Doch Sebastían blickte nicht auf den ersten
Minister, sondern auf die Person, die zu seiner Rechten einherschritt.
Zum ersten Mal seit vielen Jahren regte sich in ihm ein
Gefühl, das er für immer tot geglaubt hatte. Die
schlanke junge Frau mit dem pechschwarzen Haar, dem rosigen Mund von
betörender Sinnlichkeit, den leicht mandelförmigen
Augen und einer Hautfarbe zwischen kupfern und zimten, wie man es nur
bei Mestizinnen fand, war eine Schönheit, die ihm den Atem
nahm."
Gleich auf den ersten Seiten des Romans wird zwischen
Sebastían de Fonseca und der gefährlichen Mestizin
Umina eine liebende Verbindung durch den Erzähler gestrickt,
die den Fokus des Lesers auf die Zwischenmenschlichkeit, die das Leben
natürlich vor allem ausmacht, lenkt. So muss das bei einem
historischen Wälzer dieser Art wohl auch sein.
Sebastían de Fonseca ist Militäringenieur und wird
von seinem Vater aufgrund einer wichtigen Mitteilung zum Direktor der
Theatergruppe gesendet.
Sebastían geht also ins Theater, es wird eine Neubearbeitung
der Trilogie über die Gebrüder Pizarro von dem
spanischen Dramatiker Tirso de Molinas gegeben. Francisco Pizarro
entdeckte zu Beginn des 16. Jahrhunderts die neue Welt und verwebt sich
so mit der geheimnisvollen Geschichte um einen Schatz der Inkas, der
auch Ausgangspunkt für den vorliegenden Roman ist.
Der Mord des Theaterdirektors Cañizares fügt dem
Verwirrspiel des Romanbeginns ein weiteres Mosaikstück hinzu
und dröselt die schon von Beginn an verstreute Handlungsebene
noch einmal auf, denn hier wird für den Leser klar, dass er es
mit einer sehr komplexen und auf verschiedene Protagonisten verteilten
Geschichte zu tun haben wird. Diese analytische Struktur des Romans
geht aber auf: Der Leser möchte nun unbedingt wissen, warum
dieser Tod notwendig war, wie es mit Sebastíans aufkeimenden
Gefühlen für die Mestizin weitergehen wird, und warum
Cañizares für seinen mutigen und provozierenden
Monolog vor der Theateraufführung nun mit seinem Leben
bezahlen musste.
Dabei ist es immer wieder interessant zu sehen, wie mythische und
mythologische Quellen und Bezüge für das
Unterhaltungsgenre zur allgemeinen Mystifizierung werden und bestimmte
Menschentypen beschreiben, aber auch als erzählerische Magie
funktionieren. Hierbei wechselt sich ein wissender Erzähler
immer wieder mit der Innensicht Sebastíans ab, der zur
Heldenfigur des Romans wird.
Leider gleitet der Roman auch immer wieder in platte Oppositionen ab,
die es für das Flair der Intrigen und Konventionen des Genres
wohl benötigt, die den Roman durchaus flott lesbar, aber
für die Begriffe der Rezensentin auch etwas trivialer machen.
Dem Rezipienten wird in Sebastían ein überaus
gebrochener, von der Liebe niedergedrückter Held
präsentiert, dessen Leiden auf urkonventionelle und
überaus romantisierte Vorstellungen von Liebe und
Lebensplanung fußen, was für das Genre des
historischen Romans und seine realhistorisch zu verankernde Geschichte
ganz natürlich erscheinen mag, aber für einen
geübten Leser leicht zum ironischen Material werden kann. Denn
immer auch ist es die Form des Erzählten, die die Konventionen
der Vergangenheit in rosa Tönen färbt oder eine
tatsächliche, vielleicht auch drastisch fiktionalisierte
Wirklichkeit bieten. Die Entscheidung für eine der beiden
Seiten muss schlicht dem Leser überlassen werden.
Im vorliegenden Roman wird also eine Identifikationslinie gezogen, die
- zugegebenermaßen - für den wohlwollenden Leser zu
einer spannenden Lesereise führen kann, weil der Autor eine
sichere, schöne, bildreiche Sprache und eine hochinteressante
Geschichte um die spanische Vergangenheit und ihre kolonialisierenden
Tendenzen und Entwicklungen liefert, die glaubhaft erzählt und
recherchiert wirkt.
(Christin Zenker; 03/2010)
Agustín
Sánchez Vidal: "Quipu"
(Originaltitel "Nudo de Sangre")
Aus dem Spanischen von Marianne Gareis.
dtv premium, 2009. 463 Seiten.
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Hörbuchausgabe:
DAV, 2010.
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Agustín
Sánchez Vidal, 1948 in Salamanca geboren, ist Professor
für Film- und Medienwissenschaft an der Universität
Zaragoza und einer der weltweit anerkannten Experten für das
Werk von Luis Buñuel und Carlos Saura. Des Weiteren hat er
Drehbücher für Film und
Fernsehen verfasst und mehrere Monografien zu Literatur-, Kunst- und
Filmgeschichte veröffentlicht.
Weitere Buchtipps:
Titu Kusi Yupanki: "Der Kampf gegen die Spanier. Ein
Inka-König berichtet"
Herausgegeben von Martin Lienhard.
Das einzige indianische Zeugnis über den Zusammenbruch der
Inka-Kultur. Diese
als Brief abgefasste Chronik des "Sonnengottes" Titu Kusi Yupanki
entstand 1570, zwei Jahre bevor die Inka-Dynastie den Spaniern
endgültig erlag.
Die Chronik wurde in "Ketschua" vom Sekretär Titu Kussis
für den
spanischen König Philipp II. aufgezeichnet. Sie schildert
teils romanhaft,
teils in klagenden, zornigen Monologen ein Stück peruanischer
Geschichte, die
die meisten europäischen Historiker unterschlagen oder
vernachlässigt haben.
Es ist ein packendes Zeugnis über die Erschütterung
der Inka-Welt und deren
hartnäckigen Kampf gegen die Konquistadoren und ein
Meisterwerk der frühen
lateinamerikanischen Literatur. Herausgegeben, mit einer
Einführung versehen
und aus dem Spanischen übersetzt von Martin Lienhard. (Patmos)
Buch
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Karl-Heinz
Raach, Andreas
Drouve: "Peru"
Peru ist weit mehr als bunte Märkte im Hochland der Anden oder
Lamas vor der
Kulisse von Machu Picchu - Peru, das sind auch trockene
Wüsten, vergletscherte
Gipfel und scheinbar endlose Regenwaldgebiete, moderne Städte,
einsame
Nationalparks und bunte Folklore. Barocke Kirchen und Klöster
sowie Häuser mit
den charakteristischen Holzbalkonen machen den Reiz von Lima aus, einst
Hauptstadt des gewaltigen spanischen Kolonialreiches. Die einzigartigen
Zeugnisse der Hochkultur der Inka findet man nicht nur in Machu Picchu,
archäologische
Höhepunkte bilden ebenso Chan Chan oder Nazca, wo
geheimnisvolle Linien im Wüstensand
bis heute Rätsel aufgeben.
Mehr als zweihundert Bilder zeigen das Land mit seinen Besonderheiten,
eigene
Kapitel berichten über Sonderthemen. (Stürtz)
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Karl-Heinz
Raach, Detlev Kirst: "Peru"
Die Bergriesen der Anden, von den spanischen Eroberern
geprägte Städte und
einmalige archäologische Stätten locken in das
ehemalige Inkareich und drittgrößte
Land Südamerikas: Peru. Zwischen der Pazifikküste,
dem Amazonastiefland und
den Kordilleren gibt es eine einzigartige landschaftliche Vielfalt zu
entdecken:
schneebedeckte Gipfel, grüner Regenwald und Wüste an
der Küste, die von
fruchtbaren Flussoasen unterbrochen wird. In den Nationalparks des
Tieflands
findet sich ein ungeheurer Artenreichtum, im Hochland lebt der
legendäre Puma
und das Wappentier des Landes, der Kondor. (Stürtz)
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Flora
Tristan: "Meine
Reise nach Peru. Fahrten einer Paria"
Aus dem Französischen und mit Anmerkungen von Friedrich
Wolfzettel. Mit einem
Vorwort von
Mario
Vargas Llosa.
Mario Vargas Llosa hat Flora Tristan, der berühmten
französischen
Frauenrechtlerin, Sozialistin und Verfasserin kämpferischer
Schriften
(1803-1844), und ihrem Enkel Paul Gauguin seinen Roman "Das Paradis ist
anderswo" (Suhrkamp 2004) gewidmet.
In "Meine Reise nach Peru" spricht die unkonventionelle Frau von ihrem
bewegten Leben: Um vor ihrem gewalttätigen Ehemann zu fliehen,
schifft sich
Flora 1833 nach Peru ein, in der Hoffnung auf Zuflucht und finanzielle
Zuwendung
bei der Familie ihres verstorbenen Vaters.
Ihr lebendiger Reisebericht zeugt von dem wachen Blick, den die damals
Dreißigjährige
auf die Menschen, ihre sozialen Bindungen und die Politik hat. Eine
Gesellschaftsstudie und gleichzeitig die fesselnd zu lesende
Autobiografie einer
mutigen Frau
Flora Tristan, die berühmte Frauenrechtlerin, Sozialistin und
Großmutter Paul Gauguins, wurde 1803 in Paris als Tochter
einer Französin und eines adeligen Peruaners geboren. Die
Anfänge ihrer Kindheit verlebte sie im Luxus, doch als der
Vater starb und die Familie verarmte, fing sie als Arbeiterin in einer
Druckereiwerkstatt an. Den Besitzer der Werkstatt heiratete sie mit
siebzehn Jahren.
1833 flieht sie vor den Misshandlungen ihres Ehemanns nach Peru, um
dort um finanzielle Unterstützung durch die Familie ihres
Vaters zu bitten. In dem 1838 erschienenen Buch "Meine Reise nach Peru"
gibt sie ihre Eindrücke der Reise wieder. Es gilt als die
beste Beschreibug Perus jener Zeit und zeigt ein Bild dieser
unkonventionellen Frau und ihres bewegten Lebens.
Nach ihrer Rückkehr nach Frankreich setzt sie sich aktiv
für die Rechte der Frauen und Arbeiter ein, bevor sie 1844 in
Bordeaux an den Folgen einer Schussverletzung stirbt, die ihr Mann ihr
zugefügt hatte. (Insel)
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