Hansjörg Schertenleib: "Cowboysommer"
Ist
die Erinnerung besänftigend?
"Der Weg ist gar so einsam,
Es reist ja niemand mit;
Die Wolken nur am Himmel
Halten gleichen Schritt."
(Theodor
Storm, "Weiße
Rosen")
Einige verloren wir "unterwegs", manche begleiten uns bereits lange
Zeit, andere haben wir erst jüngst in unseren inneren Kreis
aufgenommen. Wie
wichtig Freundschaften
für uns sind, merken wir erst dann, wenn wir niemanden
haben, dem wir unser Innerstes anvertrauen können. Freunde
sind ein
wesentlicher Bestandteil eines erfüllten Lebens. In der
Definition von
Freundschaft gibt es keine sture Regel, die vorgibt, ab wann jemand ein
Freund
und bis an welchen Punkt er nur ein guter Bekannter ist. Jeder Mensch
definiert
Freundschaft anders.
"Freundschaft kann man genauso wenig erklären wie
Liebe; doch was wären
wir, wenn wir es nicht versuchten?", sinniert der Protagonist
in Hansjörg
Schertenleibs Roman "Cowboysommer" - sein Alter Ego?
Der Schweizer Autor, der in Irland eine zweite Heimat gefunden hat,
setzt sich
erneut - wie schon in seinem Roman "Das
Regenorchester" - mit den Themen Liebe und
Enttäuschung, Leben und
Tod, Kindheit und Erwachsensein, Vergangenheit und Erinnerung
auseinander.
Zentraler Zusammenhalt ist jedoch unzweifelhaft das Sujet Freundschaft.
"Wäre ich ein Mädchen, ich würde
mich auf der Stelle in dich
verlieben." Mit diesem Gedanken beginnt Schertenleibs Roman
und auch
die Freundschaft von Boyroth und Hanspeter "Gönngi", dem
Ich-Erzähler.
Und eben dieser Satz und eine erneute Begegnung der beiden Freunde nach
langen
Jahren der Abstinenz ist Auslöser für die
dreißig Jahre zurückliegenden
Erinnerungen des mittlerweile über
Fünfzigjährigen, der sich vom damaligen
Setzerlehrling zum Schriftsteller "emporgearbeitet" hat. Ganz anders
sein Gegenüber, dessen fleckiger Parka und zotteliger Bart
nichts mehr von der
Souveränität und Überlegenheit des damaligen
jungen Mannes ausstrahlen,
sondern den eine Müdigkeit und Bitterkeit umgibt. Die Zeit hat
ihre Spuren
hinterlassen. Heute scheint Boyroth nur noch ein Schatten seiner selbst
zu sein,
"im Würgegriff der Vergangenheit".
Damals - 1974 - war Boyroth der autonome "Macher".
"Es ist so schön, so schön, so
schön, ein Cowboy zu sein",
singt der Liedermacher Gisbert zu Knyphausen. Cowboys sind die beiden
siebzehnjährigen
Protagonisten auch. Sie haben ein Faible für Fußball,
die gleiche Musik
und ihre frisierten Mopeds. Für Hanspeter ist Boyroth vom
ersten Augenblick an
etwas Besonderes. "Er würde mir das Gefühl
geben, da zu sein, am Leben
zu sein, wirklich und immer, jede Sekunde, jemand, der nicht in der
Menge
untergeht und doch nicht allein ist. Er hatte, das sah ich, die
schwierige
Aufgabe, er selbst zu werden, bereits geschafft. Mit ihm konnte ich
üben, ein
anderer zu sein, bis ich wirklich ein anderer war. (...) Er tat alles
dafür,
seine Träume zu erfüllen."
"Gönngi" gleitet in dieser Freundschaft aus seiner Kindheit in
die
Welt der Erwachsenen, auch wenn ein tragisches Unglück die
Beiden trennen und für
ihr Leben zeichnen wird.
Hansjörg Schertenleib wartet erneut mit einem wunderbar
zartbesaiteten und
feingeistigen Duktus auf. Er versteht es auf unnachahmliche Art und
Weise,
Gesten und Blicke ins Jetzt zu heben und damit dem Leser
zugänglich zu machen.
Trotzdem die alle Sinne berührende Lektüre eine
unbewusste Schwerelosigkeit
erzeugt, agiert sie mit literarischem Tiefgang und
stilistischem Niveau.
Das leise, unaufdringliche und beinahe unspektakulär zu
nennende Buch übt vor
allem durch die Aktivierung aller fünf Sinne einen magischen
Sog aus. Vielfältige
Eindrücke und Erinnerungen durchziehen meisterhaft den ganzen
Roman. "Cowboysommer"
verrückt Distanzen: Fernes wird nah und Nahes fern. Es ist ein
nachdenkliches,
aber nicht grüblerisches, ein zuweilen melancholisches, aber
nicht trauriges
Buch.
"Wieder das sein
was ich nie war
aber immer sein werde."
(Gerhard Altenbourg)
(Heike Geilen; 08/2010)
Hansjörg
Schertenleib: "Cowboysommer"
Aufbau Verlag, 2010. 244 Seiten.
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