Douglas Coupland: "Marshall McLuhan"
Eine Biografie
"Das
globale Dorf" oder
"Das Medium ist die Botschaft" sind heute längst
geflügelte Wörter
und geistiges Allgemeingut, doch als Marshall McLuhan als Stammvater
der
Medientheorie seine visionären Ideen erstmals zu formulieren
begann, waren
Internet
und Digitale Revolution noch nicht einmal ferne
Träume. Sieht man
heute retrospektiv auf McLuhans Lebenswerk zurück, ist man
erstaunt, wie ein
Kulturwissenschaftler in den frühen 1950er- und 60er-Jahren in
einer damals
noch viel trägeren akademischen Umgebung einen Wandel
vorwegnehmen konnte, der
anscheinend erst heute zu seiner vollen Entfaltung gelangt ist. All das
überrascht
umso mehr, wenn man erfährt, dass McLuhan zeit seines Lebens
alles Andere als
ein Technikenthusiast war und sich teils obskurer Quellen bediente.
Umso mehr drängt sich daher die Frage auf, wie aus dem in der
kanadischen Provinz
geborenen McLuhan der Visionär McLuhan werden konnte. Douglas
Coupland, selbst
ein für seine pointierte Analyse des Zeitgeists
gerühmter Autor und Schöpfer
des Schlagworts "Generation X", hat sich anlässlich McLuhans
100. Geburtstag am
21. Juli 2011 an eine Biografie des schon 1980 Verstorbenen gewagt,
dessen
Theorien zunehmend umso treffender auf die Lage des frühen 21.
Jahrhunderts zu
passen scheinen.
So unorthodox wie der Porträtierte
ist auch Couplands Biografie, doch dazu später noch mehr.
Zunächst beginnt
Coupland sein Porträt der Lebensgeschichte Marshall McLuhans
geradezu klassisch
mit einer Szene aus McLuhans Leben nach dessen letztem Schlaganfall,
der es ihm
von da an unmöglich machte zu sprechen, zu schreiben oder auch
nur etwas aus
seiner umfangreichen Privatbibliothek zu lesen. Von diesem tragischen
Ende einer
glänzenden Karriere aus blickt Coupland nun zurück
auf die Anfänge und
Grundlagen von Marshalls Werdegang. Meint man, dass McLuhans Genie in
der Kindheit
ihre Anfänge genommen hätte, wird man
enttäuscht, außer dass Marshall im
Umgang mit seiner Mutter die für ihn später
höchst wertvollen rhetorischen
Gaben entwickeln konnte, erwies sich seine Erziehung als wenig
einflussreich auf
den weiteren Verlauf seines Lebens. Womöglich resultierte
McLuhans Genie
ohnehin aus einer Verkettung verschiedenster Faktoren, wie der
Tatsache, dass
sein Gehirn
von einer zusätzlichen Arterie mit Sauerstoff
versorgt wurde, oder
dass ihm in den 1960ern ein zitronengroßer Gehirntumor
entfernt werden musste.
Vielleicht waren auch kleinere Schlaganfälle für
Marshalls außergewöhnliche
Denkmuster verantwortlich, wenn nicht epileptische Anfälle
(Absencen), die ihn
im Alter zunehmend exzentrischer wirken ließen und dazu
führten, dass er oft
mitten im Gespräch scheinbar Pausen einlegte, um dann genau an
der letzten
Stelle wieder fortzusetzen.
Dem exzentrischen Wesen McLuhans geschuldet, schmückt
sich Couplands Biografie unter Anderem mit seitenlangen Wortspielen
(Anagrammen,
um genau zu sein), aber auch Auszügen aus "AbeBooks"-Verkaufsseiten
zu den
wichtigsten Werken McLuhans. Doch dieser Versuch, dem
"künstlerischen"
Anspruch Genüge zu tun, schmälert Couplands Leistung,
die Entwicklung des
Biografierten und seiner Denkprozesse zu ergründen,
keineswegs. Nebenbei hat
Coupland auch noch Auszüge aus seinem eigenen literarischen
Werk eingebracht,
was zwar dem Zweck dienlich ist, das Werk in Hinsicht auf die
Seitenzahl etwas
aufzubauschen, die Biografie allerdings auch nicht sonderlich weit von
ihrem
roten Faden abkommen lässt. Im Gegenteil, es
überwiegen die positiven Eindrücke.
Couplands Biografie schafft es, Werk und Person McLuhans auf eine sehr
interessante Weise zu verbinden. Coupland belässt es
nämlich nicht einfach
tumb dabei, die Daten zu McLuhans Leben herunterzuspulen, sondern
versucht, die
Entwicklung dessen zentraler Theorien und Überlegungen ebenso
zum Thema zu
machen wie McLuhans Werdegang. Stilistisch merkt man Coupland dabei an,
dass er
vor allem die visionären Eigenschaften McLuhans mit Verve
hervorhebt und
gelegentlich auch eine gesunde Dosis Humor einzubringen versteht. So
ist
Couplands McLuhan-Biografie ein überraschendes Leseerlebnis,
bei dem die Fußnoten
sogar einen ganz eigenen Lesegenuss darstellen.
(Mario Pfanzagl; 04/2011)
Douglas
Coupland: "Marshall McLuhan. Eine
Biografie"
(Originaltitel "Marshall McLuhan")
Übersetzt von Nicolai von Schweder-Schreiner.
Tropen bei Klett-Cotta, 2011. 222 Seiten.
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Ein
weiteres Buch des Autors:
"Generation A"
"Generation A" spielt in einer Welt ohne Bienen und ohne Liebe, in der
die Pharmaindustrie
und der Irrsinn herrschen. Douglas Coupland
erzählt eine
wundersame Geschichte über die große Einsamkeit im
digitalen Zeitalter - und
zugleich über die Möglichkeit einer neuen
Gemeinschaft.
Die Bienen
sind ausgestorben.
Bis eines Tages an unterschiedlichen Orten der Welt
fünf
Menschen gestochen werden. Monatelang werden sie in Quarantäne
gehalten und von
Männern in schlecht sitzenden Anzügen
verhört. Nach der Freilassung in eine
internetgetriebene Welt erleben sie ihre fünfzehn Minuten
Ruhm. Als ein
dubioser Wissenschaftler sie überredet, ihm zu Testzwecken auf
eine abgelegene
Insel zu folgen, kommen sie einander überraschend
näher. Mit souveränem Humor
führt Douglas Coupland durch die Untiefen und
Abgründe dieser bizarren Welt. (Klett-Cotta)
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