Antonio Skármeta: "Mein Freund Neruda"
Der
Klappentext besagt: "In 'Mein Freund Neruda' erklärt
Skármeta auf wunderbar persönliche,
liebevoll-ironische Weise Leben und Werk des
Nobelpreisträgers."
Was nun erwartet man von einer Biografie? Wer ist ihr Käufer?
Ist das nicht Einer, der sich mit dem Buch über denjenigen,
von dem das Buch handelt, informieren möchte? Jemand, der von
dem beschriebenen Menschen etwas mitnehmen möchte. Der
spanische Originaltitel "Neruda por Skármeta",
(wortwörtlich ins Deutsche übertragen: "Neruda durch
Skármeta"), deutet schon an, dass der Vermittelnde eine
gewisse Stellung im Buch einnehmen wird. Der deutschsprachige Titel des
Buches lässt diese Entscheidung offen. Dabei betont
Skármeta in seinem Vorwort durchaus, dass es im vorliegenden
Buch "um die Rolle, die Neruda in meinem Leben gespielt hat",
gehen wird, "und darum, wie Nerudas Leben mich als
Schriftsteller beeinflusst hat" (Seite 10). Der Klappentext
verspricht im Voraus die wunderbar persönliche und
liebevoll-ironische Weise der Darstellung des Lebens Pablo Nerudas.
Dazwischen liegt nicht unbedingt eine Kluft. Warum sie im vorliegenden
Buch dennoch vorhanden ist, möchten die nachstehenden Zeilen
näher erläutern.
Skármetas Buch folgt einer konsequenten Zweiteilung, die
zuerst das Leben Nerudas näher beleuchtet, um
anschließend einige seiner Gedichte in deutscher
Übersetzung abzudrucken und ihnen einen Kommentar Antonio
Skármetas nachzustellen.
Dabei wirft Skármeta interessante Punkte in
Nerudas
Leben auf, die sich der Leser zur Märchenhaftigkeit
des Lebens spinnen kann: "Immer wenn der Schriftsteller von
seinen Reisen etwas mitbrachte, wofür kein Platz war,
vergrößerte er einfach das Haus. [...] Da ist zum
Beispiel das Zimmer, das er nur anfügen ließ, weil
er beim Abriss eines alten Hauses eine herrliche Tür aus der
Kolonialzeit entdeckt hatte" (Seite 48f.).
Der Dichter wird in solchen Momenten greifbar, lebendig. In der
Motivation der Präsentation dieser Lebensanekdoten steht der
Roman "Mit brennender Geduld", in dem Skármeta über
die Freundschaft eines Jugendlichen zum Dichter Pablo Neruda schreibt.
Dabei bewegt sich Skármeta ganz scharf an der Grenze
zwischen dem Schreiben einer eigenen Biografie durch die Leitwege
Nerudas - Skármeta erklärt ausführlicher,
wie er selbst an einer langen Biografie schrieb und wie er sie sich
vorstellte - und der ausschließlichen Darstellung Nerudas, um
ein Bild vom Dichter und seinem Werk zu bekommen.
"In Steve Allens Fernsehshow hörte ich Jack Kerouac
einmal sagen, er habe 'Unterwegs' in zwei Wochen auf eine dieser
endlosen Papierrollen geschrieben, wie sie die Post für
Fernschreiben verwendete. Na gut, ich würde für mein
Mammutwerk ein Jahr benötigen, wenn ich pausenlos arbeitete,
auf Kino und Lektüre verzichtete, nicht mit Mädchen
flirtete und Pferderennen sowie jegliche andere Aktivität
mied, die mich von meinem narrativen Punchingball entfernen
könnte. / Ich hatte Rückenwind, mehrere Filme, zu
denen ich die Drehbücher geschrieben hatte, gewannen Preise in
Europa, auch einiger meiner Radiobeiträge wurden
ausgezeichnet, und somit war mein Auskommen und das meiner Familie
für ein Jahr gesichert. Ich, Jury und Mäzen in
Personalunion, würde mir selbst ein Stipendium
gewähren, um DEN ROMAN zu schreiben, der übrigens bei
Adam und Eva anfangen und mit dem Militärputsch enden sollte"
(Seite 54).
Immer wieder gleitet Skármeta in die formale Darstellung
seines eigenen Erfolges und der formalen Wertkategorien hinsichtlich
Nerudas ab. Er betont Nerudas Erfolg, den Erhalt des Nobelpreises.
Neruda wird vorgestellt als Einer, der die Menschen ob seines Rufes
begeistern kann. Einer, der Weltruhm besitzt und ein Touristenmagnet
ist. Sicherlich spielt Neruda in derselben Riege wie
Picasso,
Madonna und
Mozart - Namen, die Marke geworden sind - doch muss auch eine
Biografie diese Untiefe erhalten, indem man prominente Namen einflicht
und auf die gesellschaftliche Ranghöhe gemünzte
Formulierungen aneinanderreiht?
Hierbei sei nicht kritisiert, dass die eigene Geschichte anhand einer
Freundschaft, und dann noch zu einem bekannten, ja
weltberühmten Dichter, erzählt wird. Auch die
Klappentext- bzw. Verlagsdarstellung wäre hier gar nicht in
den Mittelpunkt der Enttäuschung über das Buch zu
stellen. Im Eigentlichen gilt der Tadel der oberflächlichen
Darstellung des Lebens und der Verbindungen.
Im ersten Teil bleibt Skármeta immer wieder an der
wunderbaren Überzeugungskraft Nerudas hängen, die er
selbst unzählige Male für die Verführung von
Mädchen genutzt habe.
"Genau genommen verdanke ich Neruda den Verlust meiner
Unschuld", schreibt Skármeta in glühender
Verehrung. Dabei betont er durchaus die über diese Funktion
der Mädchenverzauberung hinausgehende Potenz der Texte, und
doch stellt er die Überredungskunst dieser Poesie so
undifferenziert dar, dass man über die weite Lektüre
des Buches hinweg traurig werden kann.
Im zweiten Teil liefert Skármeta eine schöne
Zusammenstellung verschiedener Gedichte Nerudas, die er
anschließend selbst kommentiert. Dabei führt er
seine eigenen Gedanken, autobiografische Einordnungen und einen etwas
größeren entstehungs- und wirkungsgeschichtlichen
Rahmen vor, der eine gute Einleitung in die Beschäftigung mit
den Gedichten bieten kann. Außerdem ohrfeigt
Skármeta die Literaturwissenschafter im Kommentar zum ersten
Gedicht "Herbst" quasi erst einmal dafür ab, dass sie das
Spätwerk Nerudas nicht genügend
wertgeschätzt haben, er unterstellt ihnen "Geschmacklosigkeit,
Unwissenheit und Gemeinheit."
Man kann aus diesem Buch durchaus viel mitnehmen, der Dichter wird
durch Skármeta, dessen große Verehrung
für den Dichter Neruda sehr klar hervorsticht, greifbar
dargestellt. Die Textauswahl und Kommentierung bieten einen guten
Einstieg, doch so wie Hegel einmal sagte: "Wer die Welt
vernünftig ansieht, den sieht sie auch vernünftig an",
so muss man an diesem Punkt konstatieren: Wer viel protzt und den
Anderen Unwissenheit im Umgang mit einer Materie vorwirft, wird mit
denselben Maßstäben gelesen.
(Christin Zenker; 08/2011)
Antonio
Skármeta: "Mein Freund Neruda"
(Originaltitel "Neruda por Skármeta")
Aus dem Spanischen von Petra Zickmann.
Piper, 2011. 224 Seiten.
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