Andrzej Stasiuk: "Hinter der Blechwand"
Melancholisch
gefärbter Roman einer harten Welt
"Hinter der Blechwand" ist ein sehr eigensinniger, origineller,
hochliterarischer Roman, der sich eines Sujets oder einer Kulisse
bedient, die man anhand der feinen Prosa Andrzej Stasiuks zuerst gar
nicht erwarten würde.
Wladek und Pawel sind zwei zufällig aneinander geratene
Männer, die sich aus verschiedenen Gründen brauchen
und ergänzen. Sie klappern in Pawels altem Fiat Ducato die
diversen Schwarzmärkte und Basare in Südosteuropa ab,
hauptsächlich in der Region Slowakei, Polen, Ukraine und
Ungarn. Dort verkaufen sie die billige gefälschte oder auch
gebrauchte Ware.
"Im Herbst sieht man, dass die Stadt stirbt. Diejenigen, die
fliehen wollen, sind schon lange geflohen. In der
Abenddämmerung hängt der Gestank brennender
Blätter. Der Rauch vermischt sich mit Nebel und
verhüllt die Außenbezirke. Die Lichter werden
gelblich und fahl ..."
Wunderbar melancholisch gefärbte Sätze,
präzise und perfekt komponierte Prosa lassen immer wieder
vergessen, dass dieser Roman eine Übersetzung ist. Ein
Riesenlob an die Übersetzerin Renate Schmidgall an dieser
Stelle.
Während sich die Handlung des Romans immer wieder abschweifend
um ein paar zentrale Momente dreht, entwickelt sich aus der ewigen
Suche nach dem Geschäft eine Liebesgeschichte, die, wenngleich
auch massiv versteckt und als einzige Tiefstapelei getarnt, immer
wichtiger für den weiteren Verlauf wird. Für diese
Liebe geht man eine Abmachung mit Menschenschmugglern ein. So werden
die beiden Jäger des goldenen Geschäfts bald selbst
zu Gejagten.
"Hinter der Blechwand" ist ein poetischer Blick auf die Globalisierung
in Osteuropa, über die Auswirkungen der Veränderung
im Osten. Wunderbar zarte Momente wechseln mit Momenten grausamster
Härte, stilistisch durch die beeindruckende Prosa Andrzej
Stasiuks zusammengehalten. Meisterhaft gekonnt zieht der Autor seine
Leser tief in seinen Roman hinein, lässt sie hautnah am
Geschehen teilhaben, so nah, dass man meint, die Gerüche der
nebeligen Nacht auf einer einsamen Bergstraße zu riechen,
oder auch den Schweiß der üblen Schläger am
Markt. Selbst in den härtesten Momenten dieses Romans steht
die bewusste Wortwahl, die Präzision der Prosa im Vordergrund.
"Ich achtete auf das Reifengeräusch. Da
hörte ich von rechts ein Zischen. Wladek duckte sich
blitzschnell, und die Skorpion traf die hintere Wand des Fahrerhauses.
Dann fuchtelte der andere noch mal herum, und wieder dieses
automatische Ausweichen und der blecherne Schlag."
Herrliche Figurenzeichnung, die nie gewollt oder wertend wirkt, die
sich immer aus der Erzählung selbst ergibt, eindringliche
Schilderungen und scharfe psychologische Betrachtungen erlauben es dem
Autor Andrzej Stasiuk, aus einer vordergründig betrachtet
unliterarischen Thematik ein poetisch literarisches Werk zu schaffen,
das jegliche Ansprüche an die Literatur
mehr als
übertrifft. Häufige Tempoänderungen der
Prosa, die von innigster Abgeschiedenheit bis hin zu hektischer
Aufgeregtheit variieren, ergänzen das Bild dieses perfekt
komponierten Romans.
Ein sehr berührender Roman, der noch lange nach der
Lektüre der letzten Seiten nachklingt. Absolute Empfehlung.
(Roland Freisitzer; 10/2011)
Andrzej
Stasiuk: "Hinter der Blechwand"
(Originaltitel "Taksim")
Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall.
Suhrkamp, 2011. 349 Seiten.
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