Mario Vargas Llosa: "Der Traum des Kelten"
Auf
den Spuren von Roger Casement
Dieser Roman des Literatur-Nobelpreisträgers von 2010 widmet
sich der interessanten Persönlichkeit des Roger Casement, der
Abenteurer im Kongo, Diplomat, Kämpfer für die Rechte
der Indios, irischer Nationalist und britischer Verräter war.
Der Roman beginnt damit, dass der für Verrat am Vaterland zum
Tode verurteilte Roger Casement 1916 im Londoner Pentonville
Gefängnis in der Todeszelle auf seine Hinrichtung wartet. Der
einstmals gefeierte und geachtete, ja sogar mit dem Titel "Sir"
ausgestattete Casement ist nun zum Geächteten geworden. Er ist
für den Verrat an England zum Tode verurteilt. Pikante Details
aus seinem Privatleben sickern täglich an die Presse durch,
die weiter für schlechte Stimmung gegen ihn sorgen. Er wartet
auf die Entscheidung über sein Gnadengesuch. Die meisten
seiner Freunde, wie beispielsweise Joseph
Conrad, weigern sich, das
Gnadengesuch zu unterstützen.
Während Roger Casement auf diese Entscheidung wartet, erinnert
er sich zwischen Besuchen von ihm nahestehenden Verwandten, Freunden
und des Aufsehers an sein Leben.
Er erinnert sich an seine Kindheit in Ulster, mit einem
protestantischen Vater und einer katholischen Mutter, an seine Zeit im
belgischen Kongo, wo er die ersten Beweise für die
Unmenschlichkeit des Kolonialismus findet. Er sieht das Unrecht, das
der einheimischen Bevölkerung angetan wird, die von den
weißen Kolonialherren als Sklaven und Aggressionsobjekt
ausgenutzt wird. Er beginnt, gegen das Unrecht tätig zu
werden, und findet bald seine Rolle im Leben, nämlich die des
Retters, des ohne Rücksicht auf eigene Verluste
kämpfenden Ehrenmannes. Korruption und Ausnutzung sind ihm ein
Dorn im Auge.
Nach einer Zeit in Afrika und der Rolle des britischen Konsuls in
Brasilien widmet er sich der Aufklärung von Grausamkeiten
gegen die Ureinwohner Perus. Er riskiert weiter sein Leben im Kampf um
Gerechtigkeit.
Eine nicht unwesentliche Rolle spielt die immer stärker
werdende Tendenz zur Homosexualität, die allerdings
durchgehend fast eine zweifelhafte Rolle spielt, da unklar ist, wie
weit die Tagebucheinzeichnungen Casements mit der Realität
übereinstimmen, oder wie weit sie Wunschdenken des Iren sind
bzw. waren.
Der Teil in Peru ist der, nach Meinung des Rezensenten, literarisch
stärkste Teil des Romans, da hier Mario Vargas-Llosa
anscheinend den freiesten Zugriff auf die vorhandenen Fakten
gewählt hat. Hier entwickelt sich vor der Kulissen schier
unfassbarer Niedertracht eine spannende Erzähllinie, die im
unbefriedigenden Sumpf der Bürokratie verebbt.
Während seiner verschiedenen Reisen beginnt Casement eine
starke Position als Nationalist im Dienste Irlands zu entwickeln, das
er auch als Opfer eine Kolonialmacht sieht. Mit dieser immer
stärker werdenden Tendenz zum Nationalisten ist es
unausweichlich, dass er, auf der Suche nach Alliierten, in Deutschland
fündig wird. Als das Projekt auffliegt, wird Roger Casement
verhaftet und zum Tode verurteilt.
Mario Vargas-Llosa hat sich für diesen Roman eine besonders
ergiebige wahre Geschichte ausgesucht, die er allerdings,
möglicherweise im Bestreben, einen realitätstreuen
Roman zu schreiben, zu sehr faktisch erzählt, um die Fiktion
per se zünden zu können. Speziell im ersten und auch
im dritten Teil des Buches hat man oft das Gefühl, eine
Biografie zu lesen, die zwar ein eloquenter und gewiefter
Erzähler erzählt, die allerdings relativ fantasielos
an der Wahrheit entlang wandert und wenig Raum für das Wesen
der Fiktion erlaubt.
Mario Vargas-Llosa ist ein großartiger Schriftsteller, zu
dessen treuen Anhängern sich der Rezensent zählt, der
den Nobelpreis für Literatur 2010 verdient erhalten hat. Ein
Schriftsteller, dessen politisches Engagement wunderbare Romane wie
"Der Krieg am Ende der Welt", "Das Fest des Ziegenbocks",
"Gespräch in der Kathedrale" und "Maytas Geschichte"
hervorgebracht hat. "Der Traum des Kelten" ist allerdings, obwohl
stilistisch frei von Mängeln, als Roman misslungen, weil er es
nicht schafft, den Leser wirklich in diese Geschichte eintauchen zu
lassen. Er reißt nicht mit und lässt, bis auf
Episoden aus dem zweiten Teil, den Leser kalt zurück.
Ein als Biografie interessantes Buch ist es allerdings geworden,
schön zu lesen, gut übersetzt; ein großer
Roman ist "Der Traum des Kelten" leider nicht.
(Roland Freisitzer; 10/2011)
Mario
Vargas Llosa: "Der Traum des
Kelten"
(Originaltitel
"El sueño del celta")
Aus
dem Spanischen von Angelica Ammar.
Suhrkamp, 2011. 445 Seiten.
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Hörbuch:
der Hörverlag, 2011.
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Weitere Buchtipps:
Adam Hochschild: "Schatten über dem Kongo. Die Geschichte
eines der großen, fast vergessenen Menschheitsverbrechen"
Die Geschichte des Kongo um die Jahrhundertwende ist eine Geschichte
von Blut und Gewalt. Getrieben von der Gier nach Geld, Macht
und Ruhm,
brachte König Leopold II. von Belgien den Kongo 1885 in seinen
Privatbesitz. In der Folgezeit ließ er das Land mit auch
für damalige Verhältnisse beispielloser Grausamkeit
ausbeuten und plündern.
Geiselnahme, Vergewaltigung, Misshandlung und Mord waren die
Instrumente, die Leopolds Statthalter einsetzten, um den kongolesischen
Ureinwohnern die geforderten Quoten an Kautschuk und Elfenbein
abzupressen. Wer Widerstand leistete, wurde umgebracht oder
verstümmelt. Als die Kampagnen der Menschenrechtsbewegung um
Edmund Morel den König 1908 zur Aufgabe seiner Kolonie
gezwungen hatten, war die Bevölkerungszahl des Kongo um etwa
zehn Millionen Menschen gesunken.
Adam Hochschild geht den Spuren dieser Schreckensherrschaft nach. Er
erzählt von den Abenteurern, die das riesige und nahezu
undurchdringliche Gebiet um den Kongo-Strom erforschten, von
politischen Ränkespielen und von der Entschlossenheit, mit der
Männer wie Morel ohne Rücksicht auf ihre berufliche
Karriere und allen Repressalien zum Trotz den Kampf gegen Leopolds
Terrorsystem aufnahmen. (Klett-Cotta)
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Benedikt
Stuchtey: "Die europäische Expansion und ihre Feinde.
Kolonialismuskritik vom 18. bis in das 20. Jahrhundert"
Die koloniale Expansion Europas wurde seit ihren Anfängen von
kritischen Stimmen begleitet, die als präzise
Kolonialismustheorien zutage traten. Durch den Streit der
Imperialismusgegner und -befürworter gewannen beide Seiten ein
scharfes Profil.
Benedikt Stuchtey untersucht die kommunikativen Kontexte der gelehrten
Öffentlichkeiten der Kolonialmächte und bezieht dabei
auch den us-amerikanischen Imperialismus vom 18. bis ins 20.
Jahrhundert ein. Kolonialismuskritik kann im Zusammenhang
transnationaler Verflechtungen von der europäischen
Aufklärungsphilosophie bis zur pluralisierten
Massenkommunikationsgesellschaft des 20. Jahrhunderts nachvollzogen
werden. (Oldenbourg Wissenschaftsverlag)
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Frederick
Cooper: "Kolonialismus denken. Konzepte und Theorien in kritischer
Perspektive"
In den Geschichts- und Sozialwissenschaften ist der Kolonialismus mit
seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen und Auswirkungen
mittlerweile ein häufig und kontrovers diskutiertes
Forschungsfeld. Mit Frederick Cooper bietet einer der weltweit
renommiertesten Forscher zur Geschichte Afrikas eine umfassende
theoretisch-methodische Auseinandersetzung mit dem Thema.
Zunächst schildert er die Entstehung und Entwicklung der
"kolonialen" und "postkolonialen Studien" und unterzieht beide
Zugänge einer kritischen Analyse. Anschließend
untersucht er, inwiefern die drei Konzepte Identität, Moderne
und Globalisierung
für die Kolonialismusforschung sinnvoll und
fruchtbar sind. Cooper zeigt, dass das Phänomen des
Kolonialismus sich nur aus dem Zusammenspiel von regionalen,
transnationalen und globalen Entwicklungen erklären
lässt. Sein Buch liefert eine wesentliche Grundlage
für alle, die zu diesem Thema lehren und forschen. (Campus)
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Ulrike
Lindner: "Koloniale Begegnungen. Deutschland und
Großbritannien als Imperialmächte in Afrika
1880-1914"
Kolonialherrschaft betraf nie nur Afrikaner und Kolonialherren, sie
entwickelte sich vielmehr in einer Welt der Konkurrenz, des Austauschs
und der Kooperation zwischen den europäischen
Imperialmächten. Ulrike Lindner untersucht daher die
Interaktionen zwischen Deutschland und Großbritannien in
deren benachbarten afrikanischen Kolonien. Sie schildert die
Begegnungen der Kolonialherren im Alltag und den jeweiligen Umgang mit
der afrikanischen Bevölkerung. Ihre Verflechtungsgeschichte
zeigt den deutschen
Kolonialismus erstmals in globaler Sicht als Teil
eines gemeinsamen, imperialen europäischen Projekts. (Campus)
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