Manfred Spitzer: "Digitale Demenz"
Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen
Der
Begriff der digitalen Demenz kommt wohl ursprünglich aus
Südkorea, wo dieses Phänomen sehr stark beobachtet
wird. Neben Japan hat Südkorea die wahrscheinlich aktivste
Computerspielerszene, und dort werden Computerrollenspiele auch als
Wettkämpfe im Fernsehen übertragen, wobei zum Teil
sehr hohe Wetten abgeschlossen werden und die Teilnehmerinnen und
Teilnehmer auch auf Sponsoren hoffen dürfen. Und es gibt
natürlich einen Markt für entsprechende Fanartikel.
Auch hierbei spielt also Geld eine große Rolle.
Manfred Spitzer geht davon aus, dass die digitalen Medien, besonders
die mit dem Internet verbundenen, der geistigen und
körperlichen Entwicklung des Menschen abträglich sind
und dies primär in der Kindheit. Er beginnt bei der
Betrachtung des Orientierungssinns, ausgehend von einem Vergleich
us-amerikanischer und Londoner Taxifahrer und zur Verwendung des
Navigationsgeräts, betrachtet dann die Auswirkungen der
"Kopieren-Einfügen-Kultur" auf die Lese- und
Schreibfähigkeit, Gedächtnisleistung und
Sozialkompetenz, wie sie in Deutschland seit dem "PISA"-Schock immer
wieder thematisiert werden. Dabei kommen "Facebook"
und Konsorten sehr sehr schlecht weg, was ihren Einfluss auf Kinder und
Jugendliche angeht. Und dabei wird noch nicht einmal der aus den
1950er-Jahren stammende Moralbegriff dieser us-amerikanischen Sozialen
Netzwerke problematisiert, die etwa die Darstellung von Nacktheit auf
normalen deutschen Nachrichtenmagazinen zensieren. Von diesen
Beobachtungen ausgehend, befasst sich der Autor im Anschluss kurz mit
"Baby-TV" und "Baby-Einstein-DVDs", die anscheinend aus gegebenem
Anlass von "Disney" wieder vom Markt genommen wurden. Erstaunlich fand
der Rezensent an dieser Stelle, dass der Autor keinen Bezug auf die
Empfehlungen der WHO zur "Bildschirmzeit" bei Kindern und Jugendlichen
in verschiedenen Altersstufen genommen hat, da diese Zahlen wirklich
hilfreich sind - auch im Gespräch mit betroffenen Eltern.
Nach einigen bösen Worten zur Nutzung von Mobilrechnern in
Kindergarten und Grundschule, und dabei auch zu digitalen
Schreibtafeln, zu digitalen Spielen, den "Digital Natives" (bzw. deren
Scheinexistenz) und der Simultanerledigung verschiedener Aufgaben als
Quelle von anerzogenem ADHS - wie man sie ja auch bei Hüther
findet -, geht Manfred Spitzer noch auf die Probleme der geringeren
Selbstkontrolle bzw. -disziplin von Jugendlichen ein, die man zunehmend
beobachten kann, sowie auf die körperlichen Konsequenzen eines
zunehmend "digitalen" Lebensstils. Hierbei wird der Autor im Ton
zunehmend schärfer, was den Eindruck einer wissenschaftlichen
Objektivität, (so sie denn überhaupt möglich
ist), mehr und mehr verloren gehen lässt.
Nachdem in den bisherigen Kapiteln allerlei böse Worte durch
Studien ausgiebig belegt wurden, gleiten die letzten beiden Kapitel
zunehmend in die Polemik ab, was wohl vor allen Dingen zeigt, wie sehr
dem Autor der Schutz der künftigen Generation am Herzen liegt,
wobei er sich aber dadurch, dass er seine eigenen Grundideen
ähnlich unhinterfragt lässt, wie er dies seinen
Gegnern vorwirft, selbst ein wenig in ein schlechtes Licht
rückt. Mehr Sachlichkeit - auch im Ton - hätte dem
Buch und der Sache hier wesentlich besser getan. Eine allgemeine
Politiker- und Medienschelte ist in diesem Zusammenhang nicht unbedingt
zielführend. Und auch ein paar Positivbeispiele aus dem
schulischen Bereich wären ielleicht interessant gewesen, um
auch ein wenig Hoffnung zu wecken.
Ein ausgiebiger Anmerkungsapparat, eine Bibliografie und
dankenswerterweise ein Register schließen das Buch ab, das,
neben den erwähnten Kritikpunkten, viele wichtige
Informationen und Interpretationsansätze zu einer Thematik,
die uns wirklich alle betrifft, liefert.
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 08/2012)
Manfred
Spitzer: "Digitale Demenz.
Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen"
Gebundene Ausgabe:
Droemer, 2012. 368 Seiten.
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Digitalbuchausgabe:
Knaur, 2012.
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Weitere Buchtipps:
Tanja und Johnny Haeusler: "Netzgemüse. Aufzucht und Pflege
der Generation Internet"
Schluss mit Panik und Sorgen, hier kommt das einzige Buch, das Eltern
brauchen, um sich bei den Themen Internet, Social
Networks, Videospiele,
Smartphones und dem ganzen anderen modernen Kram nicht mehr
wie digitale Analphabeten zu fühlen.
Als Eltern zweier Heranwachsender können die Autoren, beide
langjährige
Internet- und Familienstreit-Fachleute und
"Grimme-Preis"-prämiert in einem der beiden Gebiete, ein Lied
vom Leid beim Heranziehen der digitalen Generation singen. Doch sie
versprechen: Nach der Lektüre von "Netzgemüse" werden
Eltern
den Kulturraum Internet mehr lieben, als es
ihre Kinder tun. Und sie werden ihnen daher entspannt und mit
Spaß auf ihrem Weg durch die allgegenwärtigen Online-Welten
zur Seite stehen können. (Goldmann)
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Klaus Raab: "Wir sind online - wo seid ihr? Von wegen
dummgesurft. Die unterschätzte Generation"
Klaus Raab ist bei "Facebook", er chattet, kann ein
Blog einrichten und beherrscht Online-Banking
besser als Überweisungen auf Papier - aber er kennt auch noch
eine Welt ohne "Google" und Mobiltelefone. Und es irritiert ihn, dass
ältere Menschen "der Jugend" Realitätsferne und
Desinteresse vorwerfen und das Internet als
Untergang des Abendlandes ansehen. "Wir sind online - wo seid ihr?"
verleiht der jungen Generation eine Stimme. Und die ist genauso
engagiert, klug, politisch und modern wie früher. Nur besser
vernetzt. (Blanvalet)
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Petra
Schuhler, Monika Vogelsang: "Abschalten statt Abdriften. Wege aus dem
krankhaften Gebrauch von Computer und Internet. Mit Online-Materialien"
Immer mehr, vor allem junge Erwachsene kommen wegen exzessiven
PC-/Internetgebrauchs in Psychotherapie, weil sie, ohne es zu merken,
in eine Abhängigkeit abgedriftet sind. Dieses
Therapiebegleitbuch hilft ihnen, sich über die Therapie und
ihre Krankheit zu informieren.
Wie konnte es zur Abhängigkeit von PC und Internet kommen?
Warum ist das Medium für manche Personen gefährlich?
Welche Rolle spielt die Familie? Was wird in der Therapie gemacht?
Diese und andere Fragen, die in einer Therapie bearbeitet werden,
werden in "Abschalten statt Abdriften" ausführlich
beantwortet. In jedem Kapitel gibt es Arbeitsmaterial und Fragebogen,
die in der Therapie eingesetzt werden können.
Viele Bilder und der gut lesbare Text machen aus diesem Buch - trotz
seiner ernsten Thematik - eine abwechslungsreiche Lektüre, die
auch Angehörigen den nötigen Durchblick gibt. (Beltz)
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Andrew
Blum: "Kabelsalat. Wie ich einem kaputten Kabel folgte
und das Innere des Internets entdeckte"
Wir sind ständig online, ziehen Daten aus
der Cloud, alles funktioniert wireless.
Was das heißt, hat Andrew Blum nie richtig verstanden. Als
ein Eichhörnchen das Internetkabel in seinem Garten
anknabbert, wird ihm klar: Das Internet ist ein
Ding zum Anfassen. Er folgt dem Kabel und eine faszinierende Reise zu
den verborgenen Orten und Knotenpunkten des
World Wide Web beginnt: So analog ist digital.
Andrew Blum besucht die physischen Kathedralen der digitalen Welt und
vollbringt das Wunder, dass wir uns das "Zauberding" Internet
endlich vorstellen können. Er führt uns
beispielsweise durch den DE-CIX in Frankfurt, einen gigantischen
Knotenpunkt, den alle deutschen Mails auf ihrem Weg
in die Welt passieren. In die monumentalen Datenspeicher von "Google",
"Microsoft" und "Facebook", die ganzen Städten gleichen und in
denen Nanosekunden eine Ewigkeit bedeuten. Und wir sehen Kabel, die in
abgeschiedenen Küstenorten im Ozean verschwinden, wo sie am
Meeresgrund die Kontinente miteinander verbinden. Letztlich ist das Internet
so real wie jedes Straßen- oder Eisenbahnnetz zuvor - und
genauso angreifbar. Wir alle sind online. Wir
sollten wissen, was das bedeutet. (Knaus)
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Julia Schramm: "Klick
mich. Bekenntnisse einer
Internet-Exhibitionistin"
Sie leben im Netz. Sie kommen aus dem Netz. Sie kennen die echte Welt
und haben noch eine Welt hinter dem Monitor, mit allen Geschichten,
allen Bildern, allem Wissen der Menschheit. Von dort aus erobern sie
die Wirklichkeit. Die Kinder des digitalen Zeitalters sitzen
mittlerweile in den Parlamenten und stehen mächtigen Firmen
vor. Wir müssen sie kennenlernen. Julia Schramm - die, die aus
dem Internet kommt - erzählt ihre Geschichte. Was sie macht.
Wie sie lebt. Wie sie denkt.
"Mein Name ist Julia und ich lebe im Internet. Ich bin da
ziemlich glücklich, habe Freunde, die ich nur digital kenne
und abschalten kann, wann ich will. Ich kann im Internet alles sein:
Mafiaboss, Barbie, Hitler,
Hotelbesitzer und ein kleines
grünes Krokodil. Am Computer bin ich Gott. Und dabei
fühle ich mich großartig - großartig
böse, kalt und berechnend. Bereits in jungen Jahren, mit 13
oder 14, war ich mir über die schier endlosen
Möglichkeiten der Identitätskonstruktion bewusst. Das
Internet war der Ort, wo ich alles zum ersten Mal erlebte: Liebe, Sex
und Verrat. Aufklärung, Freiheit und Politik.
Dort rede,
lache, weine und denke ich. Denn ich bin ein Kind des digitalen
Zeitalters, ich bin die, die aus dem Internet kommt. Und das ist meine
Geschichte." (Knaus)
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Martin Korte: "Jung im Kopf. Erstaunliche Einsichten der
Gehirnforschung in das Älterwerden"
Altern,
so der bekannte Hirnforscher und Lernexperte Martin Korte, ist
keineswegs gleichbedeutend mit körperlichem und geistigem
Verfall. Das mittlere und das höhere Alter sind vielmehr
menschliche Entwicklungsphasen mit bestimmten Eigenheiten,
Schwächen, aber auch besonderen Fähigkeiten und
Stärken, die wir erkennen und nutzen sollten.
Auf der Grundlage neuester Forschung stellt Korte die Alterungsprozesse
des Gehirns dar. Er räumt mit dem Mythos auf, dass Denk- und
Gedächtnisfähigkeiten im Alter vor allem schwinden,
und zeigt, wie wir dem Älterwerden entschlossener begegnen
können, und zwar frühzeitig: Denn Altern beginnt
weder erst mit der Rente, noch verläuft es in starren,
unveränderlichen Bahnen. So wirkt sich zum Beispiel auch die
eigene Erwartungshaltung auf die geistige Leistungsfähigkeit
im höheren Alter aus. Und das bedeutet: Wir können
den Alterungsprozess unseres Gehirns beeinflussen. (DVA)
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Jörn Klare: "Als meine Mutter
ihre Küche nicht mehr fand. Vom Wert des Lebens mit Demenz"
Erst verlegte sie ihre Brille, dann vergaß sie ein paar
PIN-Nummern, schließlich fand Jörn Klares Mutter
ihre Küche nicht mehr. Am Ende stand die Diagnose Demenz. Die
Besuche im Heim werfen Fragen auf: Sind Erlebnisse nur dann etwas wert,
wenn wir uns daran erinnern? Kann man seine Würde oder gar
"sich selbst" verlieren? Und liegt in den Begegnungen
im Hier und Jetzt nicht auch ein Trost? Jenseits der Klischees von
grauen Heimen und überfordertem Personal sucht Jörn
Klare nach anderen, weniger bedrückenden Sichtweisen auf diese
immense gesellschaftliche Herausforderung. Ausgehend von den bewegenden
Besuchen bei seiner Mutter, macht er sich auf den Weg zu Experten und
Praktikern, zu Ärzten und Juristen, Philosophen und
Altenpflegern. Mit ihnen spricht er über das Leben, den Tod
und das, was dazwischen liegt. (Suhrkamp)
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