Patrick McCabe: "Die heilige Stadt"
Wer
ich nicht alles war ...
"Die heilige Stadt" ist Patrick McCabes neunter Roman, der McCabes
besondere Kennzeichen unverblümt zur Schau stellt.
Ein enttäuschter Ich-Erzähler, der, wie bald deutlich
wird, eine unglückliche Kindheit hatte, die ihn zu einer Art
Randexistenz gezwungen hat, Dorfleben in Irland und eine meisterhafte
Verwendung makabrer Elemente. Ohne zu viel verraten zu wollen, kann man
sagen, dass die Atmosphäre dieses Romans von Verbannung,
Ausbruchsfantasien und mörderischen Tendenzen geprägt
ist.
Der Protagonist dieses Romans ist Chris McCool, der jetzt in seinen
Sechzigern ist. Als Resultat eines einmaligen intimen Zusammenkommens
seiner protestantischen Haushälterin und ihres katholischen
Hausherren unehelich geboren, wächst Chris religionslos auf.
Er zieht seine kindlichen Fantasien aus der Bibel, aus der Poesie, aus
Popliedern und vor allem aus dem Roman "Der Künstler als
junger Mann"
von
James Joyce, der seine persönliche Bibel wird. Alle
anderen Geschichten entspringen seiner eklatanten
Selbsttäuschung und Flucht in eine absurde Scheinwelt. Chris
McCool sieht sich gerne als eleganten Dandy oder
sakkotragenden Roger Moore, während er in Wahrheit
beispielsweise Eier ausliefert.
Seine Erinnerung an die "Swinging Sixties" kontrahiert
mit seiner Mitgliedschaft im "The Happy Club", wo
er mit seiner kroatischen Freundin der Musik der "Carpenters" lauscht.
Seine private Kim Novak, wie er sie nennt, aufgetakelt wie eine echte
Puppe, ist sie eine schwache Kopie seiner Jugendliebe Dolores
McCausland.
In abstruse Gegenden führt der Roman, als McCool sich obsessiv
an einen nigerianischen Jungen erinnert, der Szenen aus dem Leben
verschiedener Heiliger wiedergegeben und McCool Wände der
Kathedrale mit rassistischen Obszönitäten beschmiert
hatte. Aber hier franst die Geschichte ganz seltsam aus.
Während frühere Protagonisten (Francie Brady aus "Der
Schlächterbursche" und Patrick Braden aus "Breakfast on
Pluto") den Leser mit ihrem Charme auf den Weg in ihre irren
Verstrickungen mitgeschleppt hatten, ist Chris McCool eher der Typ, dem
man so schnell wie möglich entkommen wollen würde,
wenn man von ihm in einer schmuddeligen Bar angesprochen werden
würde. Obschon dahinter viel Absicht steckt, ist viel an Chris
McCool nicht überzeugend genug.
Anno 2007 erschien McCabes wunderbarer Roman "Winterwald",
der, ähnlich wie jetzt "Die heilige Stadt", ein Roman
über den Stand der Dinge in Irland ist. Chris McCools Wahn
geht, auch wenn nicht gleich erkenntlich ist, weit über die
Sechziger hinaus. Das Dorf ist zum Vorort geworden, und Apartmentblocks
säumen die Gegend.
Ein resignierendes "Alles ist vorbei" schwingt überall in
McCools mäandernden Ergüssen mit, genauso wie eine
ganz klare und plausible Botschaft, die der Roman mitteilen will:
"Indifferenz ist der wahre Horror", die jedoch seltsam steril
vermittelt wird.
Die Manierismen McCools sowie die unzähligen
Plattitüden, denen man sich hier nicht entziehen kann, ziehen
dem prinzipiell möglichen Biss jedoch die Zähne,
bevor zugebissen werden könnte. So geht leider viel zu viel
Substanz verloren.
McCabe ist in "Die heilige Stadt" nicht ganz auf seinem
üblichen Niveau, auch wenn es immer wieder durchaus
erfreuliche und überzeugende Passagen gibt, was
möglicherweise daher kommt, dass er, vielleicht aus Mangel an
wirklich neuen und zündenden Ideen, etwas zu lange auf den
gleichen, längst bekannten Akkorden herumklimpert ...
(Roland Freisitzer; 09/2012)
Patrick
McCabe: "Die heilige Stadt"
(Originaltitel "The Holy City")
Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser und Paulina Abzieher.
Berlin Verlag, 2012. 237 Seiten.
Buch
bei amazon.de bestellen