Andreas Platthaus: "1813"
Die Völkerschlacht und das Ende der Alten Welt
Als die Welt gebannt nach
Leipzig blickte. Rückblick nach 200 Jahren.
Im Oktober 2013 jährt sich zum zweihundertsten Mal die Völkerschlacht von
Leipzig, ein Wendepunkt der europäischen Geschichte. Napoleon hatte seine im
Vorjahr beim Russlandfeldzug vernichtete Armee neu aufgestellt und marschierte
gegen die Verbündeten Preußen, Russland, Österreich und Schweden. Im
unmittelbaren Leipziger Umland kam es zur vier Tage währenden Völkerschlacht,
die gewissermaßen einen schaurigen Rekord aufstellte. Etwa 600.000 Soldaten
standen einander gegenüber. Einmalig ist auch die Anzahl der Opfer dieser einen
Schlacht: an die hunderttausend Gefallene und rund halb so viele zivile Tote -
sämtliche Zahlen schwanken allerdings je nach Quelle.
Manche Strategie, etwa der regierende Monarch als Heerführer, sollte zum letzten
Mal in größerem Umfang zum Einsatz kommen, während sich die eine oder andere
Neuerung künftig etablieren würde. Napoleons Rheinbund löste sich auf. Keine
Frage, die Völkerschlacht bildet eine gewaltige Zäsur in der europäischen
Geschichte.
Andreas Platthaus erzählt in seinem Buch den Verlauf der Schlacht nach, er
erläutert die Vorgeschichte, umreißt die Folgen; aber auch die Viten und
Persönlichkeiten der einzelnen Protagonisten, darunter neben den beteiligten
Monarchen - Napoleon, dem Zaren, dem preußischen König, dem österreichischen
Kaiser und dem schwedischen Thronfolger sowie dem mit Napoleon verbündeten und
höchst unglücklich situierten sächsischen König - einige bedeutende militärische
Befehlshaber, der mit der Berichterstattung beauftragte Verleger F. A. Brockhaus
und nicht zuletzt auch Goethe, der vom Napoleon-Verehrer schließlich zu einem
Befürworter des sich nach der Völkerschlacht etablierenden deutschen
Nationalismus wurde.
Der Autor lässt häufig einheimische Augenzeugen zu Wort kommen, deren
Erinnerungen oder Briefe wertvolle und anschauliche Quellen darstellen und nicht
zuletzt die Entbehrungen der ausgeplünderten Zivilbevölkerung drastisch
schildern, etwa eine Pastorentochter oder einen Totengräber. Auch erläutert
Platthaus in Form regelrechter eingearbeiteter Essays Themen wie die erstmals in
Europa bei dieser Schlacht in größerem Umfang als Waffe eingesetzten Raketen.
Schließlich geht der Autor selbst auf Spurensuche, jeweils auf den Tag genau 199
Jahre nach den vier dramatischen Tagen im Jahre 1813. Manchen Ort findet er
wenig verändert wieder, an den meisten ist es nicht einfach, die damaligen
Ereignisse wieder auferstehen zu lassen.
Dieses Buch, von einem Feuilletonisten und nicht einem Historiker verfasst,
bietet eine überwiegend spannende und abwechslungsreiche Lektüre, es wirkt
sorgfältig recherchiert und bezieht, wie erwähnt, auch interessante Quellen mit
ein, die unmittelbare Erfahrungen enthalten. Viele weitere Informationen lassen
den Leser auch den historischen Kontext der Schlacht verstehen und bieten somit
die Möglichkeit, deren Bedeutung zu erfassen.
Gerade diese thematische Breite führt allerdings auch zu einigen Problemen, denn
aufgrund der eingestreuten Kurzbiografien und sonstigen Exkurse wird die
Schilderung der eigentlichen Schlacht recht gründlich zerstückelt, sodass der
Leser den roten Faden verliert und diesen allenfalls durch Zurückblättern wieder
findet. Zudem kommt es bisweilen zu inhaltlichen Redundanzen. Das Buch enthält
zwar einige Abbildungen hübscher Stiche von Protagonisten oder Situationen rund
um die Schlacht einschließlich der Verhältnisse in den Ortschaften, doch die
historischen Karten, die sich im Buch finden, taugen wenig bis gar nicht dazu,
die Truppenbewegungen und kriegerischen Aktionen während der vier Tage
nachzuvollziehen. Gerade wegen der thematischen Zerstückelung wären extra
angefertigte Karten für jeden einzelnen Tag sehr hilfreich gewesen. Wer nicht
ortskundig ist, dürfte Schwierigkeiten haben, anhand der eingestreuten
Schilderungen die einzelnen Ortschaften und Landmarken oder auch die
wesentlichen Punkte innerhalb von Leipzig auf einer Art innerer Landkarte zu
verorten.
So übertrifft dieses Buch in mancher Hinsicht die Erwartungen - sogar deutlich
-, bleibt aber unter anderen Gesichtspunkten hinter ihnen zurück.
Fazit:
Empfehlung, jedoch mit gewissen Abstrichen.
(Regina Károlyi; 09/2013)
Andreas Platthaus: "1813. Die Völkerschlacht
und das Ende der Alten Welt"
Rowohlt Berlin, 2013. 476 Seiten.
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Andreas Platthaus, geboren 1966 in Aachen, hat Philosophie, Rhetorik und Geschichte studiert und ist Redakteur im Feuilleton der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung"; seit 2008 verantwortet er dort die Wochenendbeilage "Bilder und Zeiten". Zahlreiche Veröffentlichungen, zuletzt die Biografie "Alfred Herrhausen. Eine deutsche Karriere" (2006) und der Roman "Freispiel" (2009).