Simon Mawer: "Die Frau, die vom Himmel fiel"
Eine spannende Geschichte mit
Schwächen
Simon Mawer ist ein äußerst interessanter Autor, der bis zu seinem fulminanten,
vielschichtigen und komplexen Roman "The Glass House", (Kurzliste des "Booker-Preises"),
immer zur Riege der Geheimtipps, oder auch Eingeweihtentipps in Großbritannien
gezählt hat. Seine Romane "Mendels Zwerg", (bisher die einzige Übersetzung ins
Deutsche, doch längst vergriffen), "The Gospel According to Judas", "Swimming
to Ithaca" und "The Fall" sind sehr gelungen, haben aber auch unter
anglophilen Lesern nie den Erfolg bei der breiten Masse der Leser gefunden. "The
Glass House" hat mit dem berechtigten Aufscheinen in der Kurzliste für den "Booker-Preis",
(den am Ende dann Hilary Mantel für ihren Verkaufsschlager "Wolf Hall"
gewann), endlich großes Aufsehen erregt und dem Autor plötzlich viel
Aufmerksamkeit beschert.
"Die Frau, die vom Himmel fiel", sein erstes Buch nach "The Glass Room",
greift wieder auf die Zeit des Zweiten Weltkrieges in Europa zurück und ist, im
positiven Sinn, ein Buch mit Verkaufsschlagerqualitäten. Genau da sind aber auch
die negativen Seiten dieses Romans versteckt, denn allzu sehr scheint der Autor
versucht zu haben, sein neu gewonnenes Publikum zu halten oder auch noch mehr
Leser zu akquirieren.
Nach einem großartigen prologartigen Kapitel, in dem der Leser die
fallschirmspringende
Agentin
Marian Sutro knapp vor dem Absprung über Frankreich kennenlernt, rollt Simon
Mawer ihre Geschichte im Dienst des britischen Geheimdiensts eher schematisch
auf.
Marian Sutro ist eine junge Britin mit europäischen Wurzeln, als
Diplomatentochter hat sie in ihrer Jugend viele Jahre in Paris und Genf
verbracht und spricht daher auch fließend Französisch.
Bereits im eher langweiligen, hauptsächlich mit dem Einordnen von Akten
verbundenen administrativen Dienst, erhält sie überraschend die Einladung zu
einem Vorstellungsgespräch bezüglich der Möglichkeit, in den Außendienst zu
wechseln. Stolz auf diese Ehre, nimmt sie die Einladung gern an und schafft auch
die Eignungstests. Ab hier beschäftigt sich Simon Mawer extensiv mit ihrer
Einschulung für den Dienst in
Frankreich. In
diese Zeit fallen auch Bekanntschaften mit Menschen, die später, während sich
der Roman entwickelt, wesentliche Rollen einnehmen werden.
Während ihrer Zeit in Paris hatte Marian Sutro ein kurzes, inniges, aber
schiefgelaufenes Liebesverhältnis mit dem jungen Atomphysiker Clement Pelletier,
der mittlerweile für die Nazis arbeitet und das Ziel ihrer Tätigkeit ist. Marian
Sutros Bruder, Ned, ist ebenfalls Atomphysiker, und da beide Seiten an der
Entwicklung der Atombombe arbeiten, sind die Briten besonders daran
interessiert, den jungen Franzosen zum Überlaufen zu bewegen. Genau das soll,
zusätzlich zu einigen anderen Tätigkeiten, Marian Sutros Aufgabe sein.
Positiv ist Simon Mawers genaue Beobachtungsgabe, die er in vielen kleinen
Details eindrucksvoll zur Schau stellt, es gibt an diesem Agentenroman nichts,
was man als Leser irgendwie als "an den Haaren herbeigezogen", "überzeichnet"
oder "schlecht recherchiert" bezeichnen könnte. Alles plausibel und glaubhaft,
immer wieder freut man sich auch über das Erkennen von kleinen, feinen Details.
Während der Ausbildung Marian Sutros wird ihr eingebläut,
Kaffee immer ohne
Zucker zu bestellen, später weiß man, dass der Grund natürlich der ist, dass es
in Frankreich einen Zuckermangel gibt und sich jemand, der im Café Zucker
bestellt, leicht seine Tarnung kaputtmachen könnte.
Da sich zwischen ihr und ihrem zugeteilten Partner auch Gefühle anbahnen, bietet
sich auch eine ideale Ausgangsposition für eine Entwicklung des hin- und
hergerissenen Gefühlslebens der jungen Agentin.
Das einzige Problem bei diesem Werk ist, dass diese Art von Buch bereits einige
andere Autoren abgeliefert haben. Unter Anderem Sebastian Faulks mit "Charlotte
Gray", das einerseits viel spannender, aber auch literarisch überzeugender
gelungen ist. Auch
John Le Carré
hat ähnliche Handlungsverläufe entwickelt. Genau da fällt das Buch durch: Für
Spannungsliteratur fehlen ihm der Schwung und die Konzentration auf die
Handlung, für Liebhaber anspruchsvoller Literatur ist hier nicht genug
vorhanden. Und so ergibt sich eine kuriose Gleichgültigkeit des Texts, der
irgendwie entkeimt scheint, irgendwie blutleer und leblos. Der Rezensent hat
nach der Lektüre der deutschen Fassung aus diesem Grund auch die Originalausgabe
gelesen, die sich stilistisch deutlich besser liest, (Simon Mawer ist eigentlich
ein begnadeter Stilist), weil sich die englische Sprache für einfachere Prosa
besser eignet als die deutsche, die gleichen Probleme bestehen aber leider auch
dort, wenngleich nicht so stark.
Möglicherweise schwingt auch leicht die Enttäuschung des Rezensenten mit, dass
Simon Mawer auf "The Glass Room" nicht einen wenigstens ebenso ambitionierten
Roman nachgelegt hat.
Trotzdem ist "Die Frau, die vom Himmel fiel" ein Roman, den man nicht bereut,
gelesen zu haben; ein Roman, der wahrscheinlich auf Reisen ideal ist, weil man
jederzeit leicht in die Geschichte Marian Sutros einsteigen und aus selbiger
aussteigen kann. Allerdings bleibt, bis auf die Handlung, nicht viel im
Gedächtnis zurück.
(Roland Freisitzer; 01/2013)
Simon Mawer: "Die Frau, die vom Himmel fiel"
(Originaltitel "The Girl Who Fell from
the Sky")
Übersetzt von Klaus Timmermann, Ulrike Wasel.
DVA, 2012. 378 Seiten.
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Simon Mawer wurde 1948 als Kind eines Soldaten der Royal Airforce in England geboren und wuchs u.A. in Zypern und Malta auf. Sein Werk umfasst etliche Romane, viele davon internationale Erfolgstitel. Mawer lebt heute in Italien.