Renato Baretić: "Der achte Beauftragte"
Drei Romane hat der 1963 geborene Renato Baretić
seit 2003 in Kroatien auf den Markt gebracht und sich mit ihnen zu einem der
meistgelesenen Autoren des Landes gemacht. Der erste davon, "Der achte
Beauftragte", liegt seit letztem Jahr auch in deutscher Sprache vor.
Der Prolog spielt in Zagreb. Siniša ist ein junger, charismatischer Politiker, dem viele schon die Nachfolge seines Parteifreunds und amtierenden Premierministers zutrauen, da gerät er in eine politische Falle: das Foto, das ihn schwerberauscht mit einer weißrussischen Prostituierten am Steuer seines Wagens zeigt, könnte beinahe schon das Ende seiner Karriere bedeuten, doch sein väterlicher Freund, der um die Vergesslichkeit des Wahlvolks bestens Bescheid wissende Premierminister, gibt ihm eine zweite Chance. Freilich, untertauchen muss Siniša fürs erste, und damit er nicht außer Form kommt und für die Partei auch etwas Sinnvolles leistet, wird er als Beauftragter der Republik Kroatien auf die Insel Drittchen,
die vom Festland am weitesten entfernte, wie es heißt, versetzt. Sein Ziel dort
soll es sein, ordnungsgemäße und einer ordentlichen Demokratie geziemende Wahlen
mit zumindest zwei Parteien abzuhalten, etwas, das bisher nicht möglich war, da
sich die Inselbewohner als diesem Vorhaben gegenüber äußerst widerspenstig
erwiesen und dabei schon sieben Beauftragte - manche seitdem spurlos
verschwunden - verbraucht haben.
Somit also zum wunderlichen Ort der Handlung, der Insel Drittchen, die sich in ihrer schrägen Andersartigkeit gut als Spielwiese für die unterschiedlichsten Einfälle des Autors und hin und wieder womöglich auch als Spiegel für die recht andersartige Schrägheit eines urban geprägten Zagrebers eignet. Vieles ist anders auf Drittchen, Internet und Telefon kennt man nicht, die einzige Anlegebucht ist durch eine zu durchfahrende Untiefe für größere Fahrzeuge tabu. Die renitenten, mit den Nachbarinseln Erstchen und Zweitchen seit Jahrzehnten auf Distanz lebenden Einheimischen sind fast durchwegs Heimkehrer, Drittchenenser,
die jahrzehntelang in australischen Bergwerken gearbeitet haben, nach der
Pensionierung auf die Heimatinsel zurückgekehrt sind und einen ihr Eigensein
betonenden kaum verständlichen Dialekt, eine wüste Mischung aus Kroatisch,
australischem Englisch und Italienisch (vom Übersetzer wird diese Kunstsprache
so wiedergegeben, dass man sie mit minimalen Englisch- und
Italienischkenntnissen problemlos bewältigen kann, die eine oder andere
sprachliche Feinheit und Anspielung wird hier wie auch in einem ebenfalls in dem
Roman verwendeten bosnischen Dialekt unvermeidlich auf der Strecke geblieben
sein) sprechen. Versorgt werden die Insulaner nicht vom Mutterland, sondern von
der anderen Küste aus von italienischen Mafiosi, die regelmäßig Bestellungen
entgegennehmen und Waren, Solarzellen, Kaffeemaschinen, australisches Bier und
was man sonst so braucht, liefern.
Dem 8. Beauftragten ergeht es zunächst nicht anders als seinen Vorgängern, indem sein Versuch, den Einheimischen Wahlen schmackhaft zu machen, auf höfliche Fassade und taube Ohren stößt. Mehr und mehr drängt sich jedoch anderes in den Vordergrund, Siniša wird zunehmend von den neuen Eindrücken, Regeln und Bekanntschaften in Beschlag genommen. Die wichtigsten weiteren Personen der Handlung sind: der einzige Hochkroatisch sprechende Drittchenenser, der dem Beauftragten als Dolmetscher dienen soll und mit dem ihn bald eine konfliktreiche Freundschaft verbindet; ein untergetauchter, aus Bosnien stammender Ganove und Flunkerer; dessen Landsfrau, ein den Künstlernamen "das gierige Krümelchen" führender Pornostar, zwar zierlichen Wuchses, jedoch - um mit Vatsyayana zu sprechen - vom Typ "Elefantenkuh"; ein besonders renitenter Einheimischer nebst seiner in Medizin und Magie versierten Aboriginefrau, die ihm aus Australien in die Adria gefolgt ist; Tristan und Isolde, zwei "seeloit", in der Hochsprache "Mönchsrobben" genannt; der steinreiche, ebenfalls aus Drittchen
stammende, von der australischen Ferne aus Einfluss nehmende Bergwerksbesitzer;
ein geheimnisvoller Leuchtturmwächter.
Der aufzudeckenden Geheimnisse und zu erlebenden Abenteuer warten viele auf Siniša. Renato Baretić führt seinen nicht nur sympathischen Helden dabei durch mehr oder weniger populäre Gebiete: Sexualität und Liebe, Selbstbesinnung, Umwelt- und Tierschutz, alte Bräuche und die Moderne mit ihren einschneidenden Veränderungen, Freund- und Feindschaften, menschliche Vorurteile und nicht zuletzt die Machenschaften der Politik, all dies klingt an, ohne sich zum Hauptthema aufzuschwingen. Hie und da, besonders, wo seitens des Autors eine gewisse Zurückhaltung zu spüren ist, bei den natürlich nicht nur Kroatien betreffenden miesen Politpraktiken etwa oder den Mann-Frau-Beziehungen, mag man bedauern, dass er zu sehr an der Oberfläche geblieben ist, insgesamt aber ist "Der achte Beauftragte" ein auf intelligente Weise unterhaltsames, lust- und humorvoll geschriebenes Buch geworden.
(fritz; 06/2014)
Renato Baretić: "Der achte Beauftragte"
(Originaltitel "Osmi povjerenik")
Aus dem Kroatischen von Alida Bremer.
Dittrich Verlag, 2013. 336 Seiten.
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Noch ein Buchtipp:
Alida Bremer: "Olivas Garten"
Die Erzählerin, die seit Langem schon in Deutschland lebt, erfährt eines Tages,
dass sie von ihrer Großmutter einen Olivenhain geerbt hat, in Vodice, an der
östlichen Adriaküste. Sie weiß genau: Das wird ein waghalsiges Abenteuer werden,
eine Don Quichotterie gegen die eigenwillige südländische Bürokratie. Es wird
Chaos, Leidenschaften, Lachen, Tränen und viel zu essen geben. Von ihrem
vorbildlich organisierten norddeutschen Ehemann unterstützt, macht sie sich auf
in die Sehnsuchtslandschaft ihrer Vergangenheit. Sie taucht in die hinreißenden
Erzählungen ihrer weitverzweigten Familie ein. Und in die grausamen
Auseinandersetzungen eines blutigen Jahrhundert. (Eichborn)
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