Gunther Geltinger: "Moor"
Worte aus den Tiefen der Sümpfe
Das Moor verleiht dem stotternden Dion, der
mit seiner Mutter außerhalb des kleinen, engstirnigen Ortes Fenndorf
lebt, seine Stimme und erzählt Dions Geschichte voller Metaphern,
Vergleiche und Naturbeschreibungen. Aus den Tiefen der Sümpfe dringen
die Worte, die Dion selbst nicht finden kann.
Dion liebt das Moor und seine Bewohner. Im Schutz des Dickichts fühlt er
sich zuhause und kann Libellen stundenlang beobachten. Am liebsten
sammelt er die Larven dieser vielfältigen Insektenart. Von der Mutter
missbraucht und von den Mitschülern gehänselt, ist es ihm nicht möglich,
sich auf jene Weise auszudrücken, die ihm gerecht wäre. Wie die Hoffnung
versinken auch seine Worte im Sumpf und der Tiefe des alles
verschlingenden Moores. Das rücksichtslose Verhalten seiner Mutter Marga
prägt den Jungen auf dem Weg zum Erwachsenwerden und wird ihn sein Leben
lang nicht loslassen. Ihre Stimmungsschwankungen, die Leidenschaft zur
Malerei, die ins Nichts führt, und die Unfähigkeit, ihren Sohn
loszulassen, lähmen sie bis hin zum Selbstmordversuch. Dion fühlt sich
zunehmend eingesperrt und gefangen in den erstickenden Armen seiner
Mutter. Die Bewunderung für den Cousin und die Verbundenheit zu Tanja,
die genauso wie er nicht diejenige sein kann, die sie sein möchte, finden ein
jähes Ende in der Ungestümheit und Erbarmungslosigkeit des Moores. Es
soll Jahre dauern, bis Dion endlich die Worte findet, die er all die
Jahre nicht sagen konnte, nicht sagen durfte.
Gunther Geltinger versteht es wie kaum
ein Anderer, sein Wissen über die Natur in den Roman einzubinden. Das
gestörte Mutter-Sohn-Verhältnis spiegelt sich in den Eigenheiten des
Moores wider. Detailgetreu werden Naturphänomene geschildert und halten
dem Leser immer wieder die Erbarmungslosigkeit der Natur und des Lebens
vor Augen. Erbarmungslos ist auch die Wortgewalt, mit der Dions Leben
beschrieben wird. Die Gehässigkeit und das krankhafte Verhalten der
Mutter werden in den schauerlichen Beschreibungen passend in Szene
gesetzt.
Schauderhaft erzählt der Autor von einem Menschen, der versucht, aus der
zerstörerischen Beziehung zu seiner Mutter auszubrechen. Die Bilder, mit
denen der Roman spielt, erzeugen im Leser Verstörung und Verzweiflung.
Die Hoffnungslosigkeit lässt einen nicht mehr los. Auch wenn der
Ausbruch aus der Hilflosigkeit schließlich erfolgreich ist, das Gefühl
der Verstörung bleibt und begleitet den Leser bis zum letzten Wort.
Fazit:
Keine leichte Kost und nicht als Einschlaflektüre geeignet.
(Sabrina Brugner; 02/2014)
Gunther Geltinger: "Moor"
Suhrkamp, 2013. 440 Seiten.
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