Sibylle Lewitscharoff: "Killmousky"
Sibylle Lewitscharoffs
ambivalenter Ausflug ins Krimigenre: die üblichen Verdächtigen
Der Autorin wäre wohl einiges Ungemach erspart geblieben, wäre ihr Krimidebüt
unter Pseudonym erschienen, wenngleich diese Vorgangsweise nicht mit Sicherheit
die intendierten Folgen zeitigt; man denke nur an die (absichtlich?) verfrüht
aufgedeckte "zweite Karriere" der "Harry Potter"-Autorin
J.K. Rowling als
Krimischriftstellerin.
Journalistischer Blitz und publizistischer Donner waren nach der "Dresdner Rede"
vom 2. März 2014 noch nicht verebbt, da entlud sich das deutsche
Feuilletongewitter erneut lustvoll gehässig über Sibylle Lewitscharoff, diesmal
anlässlich ihres ersten Kriminalromans, "Killmousky", erschienen im April 2014.
Das Buch wurde quasi nach allen Regeln der Kunst zerfleischt, wobei man sich
bisweilen nicht des Eindrucks erwehren konnte, die gnadenlosesten
Literaturkritiker hätten es erst gar nicht bis zur letzten Seite gelesen,
sondern sich frühzeitig an einzelnen Passagen festgebissen. Man verspürt eine
gewisse Lust, sich die (freilich nicht ernst gemeinte) Frage zu stellen, wie
Sibylle Lewitscharoff die deutschen Literaturkritiker nur dermaßen enttäuschen
konnte?!
Im "Spiegel" schrieb Sebastian Hammelehle von "leutselig dargebotenen
Ressentiments" und "gediegen konservativem Wohlfühl-Populismus", in
der "Berliner Zeitung" meinte Judith von Sternburg, "'Killmousky' ist dank
des Katers zweifellos das absichtsvoll läppische Gegenstück zu 'Blumenberg'",
in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" ortete Jürgen Kaube "Suhrkamps
grandiose Fehleinschätzung" und sah offenbar den Intellekt der Leserschaft
beleidigt.
Was für ein kurioser Aufruhr um einen durch und durch mittelmäßigen
Kriminalroman, der allerdings offenkundig nichts weiter sein will!
Geht es um die Handlung eines Krimis, sollten vorweg keine entscheidenden
Details verraten werden, um das Lektüreerlebnis nicht zu trüben. Daher lediglich
ein paar Angaben zu den "Zutaten":
Der Münchner Kriminalhauptkommissar a. D. Richard Ellwanger, (er hat einem
Kindesentführer während des Verhörs mit Folter gedroht), Endfünfziger, gerät
plötzlich aus der trauten Rentnervorhölle in das Abenteuer seines Lebens,
nachdem ihn seine wohlhabende Vermieterin, "die Kirchschlagerin", ersucht
hat, hervorragend bezahlte Privatermittlungen im Fall von Vicky, der ums Leben
gekommenen Tochter eines steinreichen Freundes namens Trevillyan, in New York
und Deutschland anzustellen. War es Selbstmord, wie die Untersuchungen der New
Yorker Polizei ergeben haben? War es Mord, wovon sowohl der Vater als auch
Catherine, die ältere Schwester der Umgekommenen, überzeugt sind? Ist der fesche
geheimnisvolle Witwer gar der Täter?
"Killmousky" bietet Anspielungen auf reale Fälle, zeitgeistige Beobachtungen in
München und New York - und glücklicherweise auch einen immerhin recht
interessant gezeichneten gewissenlosen Mörder, der dem Ermittler sowohl
theoretisch als auch praktisch allerhand Schwierigkeiten bereitet.
Sibylle Lewitscharoff hat in ihrem Krimierstling wohl mit Absicht keine
sonderlich komplexen Figuren erschaffen, der Leser muss sogar, für Lokalkrimis
im weiteren Sinn doch recht untypisch, auf Sympathieträger verzichten.
Allenfalls Killmousky, der zugelaufene Kater des Ermittlers, sorgt gelegentlich
für ein bisschen Behaglichkeit in der ansonsten unterkühlten Szenerie, in der
alles ganz nach Plan, also überaus vorhersehbar, innerhalb genretypischer
Muster verläuft, und wo weder vor Konventionen noch vor Klischees Halt gemacht
wird: Es gibt den geschiedenen, eigenbrötlerischen Ex-Polizisten aus einfachen
Verhältnissen, der seine berufsbedingten Kenntnisse und Netzwerke einzusetzen
weiß, was ihn jedoch nicht immer vor Fehlern bewahrt, die reiche kunstsinnige
Gönnerin mit zweitem Standbein in New York, den begüterten Vater und die
alkoholkranke, mannstolle Schwester der Verstorbenen, den zunächst
undurchschaubaren Witwer Larson (ohne Vergangenheit) alias Blaschke (mit
Vergangenheit), den auffallend dienstbeflissenen Sekretär Arrowsmith, zahlreiche
Geheimnisse, Seitensprünge, eine unromantische Liebesnacht, falsche Fährten, die
langerwartete gefährliche Zuspitzung mit brutalem Ausgang und einen einigermaßen
glücklichen Abschluss.
Aber Achtung: "Killmousky" ist wahrlich kein "Katzenkrimi", auch wenn manche
Rezensionen wie auch das Umschlagbild des Buches dies nahelegen würden!
Der Klappentext schießt, wie so oft in unserer Zeit, weit über das Ziel und ist
daher nicht aus der Verantwortung für manch übelmeinende Literaturkritik zu
entlassen, denn laut Verlag handelt es sich um "ein funkelndes sprachliches
Meisterwerk". Dazu ist anzumerken, dass der gattungsgemäß schlichte
Schreibstil durchgehend kurz und bündig bleibt, das "Funkeln" beschränkt sich
auf regional gebrauchte Ausdrücke, wofür an dieser Stelle zwei Beispiele
angeführt werden sollen: "Außerdem roch sie unangenehm und kruschtete ständig
in ihrer Handtasche vor sich hin" (S. 28), "Er war so aufgetummelt, ..."
(S. 86).
"Killmousky" ist schnell gelesen und dabei auch leidlich unterhaltsam, jedoch
wahrlich kein außergewöhnliches Lektüreerlebnis. Angesichts der - warum auch
immer - fehlenden Besonderheiten, die man von einer Autorin von Rang und Namen
durchaus hätte erwarten dürfen, muss die Frage gestattet sein, ob der biedere,
allerdings lernfähige Ermittler Ellwanger als literarische Eintagsfliege sein
Dasein ausgehaucht hat, oder ob er irgendwann abermals in Erscheinung treten
wird ...
(Irmgard Ernst; 04/2014)
Sibylle Lewitscharoff: "Killmousky"
Suhrkamp, 2014. 224 Seiten.
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Sibylle Lewitscharoff, 1954 in
Stuttgart als Tochter eines bulgarischen Vaters und einer deutschen Mutter
geboren, studierte Religionswissenschaften in Berlin, wo sie, nach längeren
Aufenthalten in Buenos Aires und Paris, lebt.
Weitere Bücher der Autorin (Auswahl):
Sibylle Lewitscharoff, Friedrich
Meckseper: "Pong redivivus"
Pong lebt! Mit schallendem Juchhe hat sich am Ende von Sibylle Lewitscharoffs
Erzählung "Pong" der liebenswerte, verrückte Held dem Mond in die Arme geworfen
- und hat, entgegen den Befürchtungen der Leser, diesen kühnen Sprung vom Dach
überstanden. Nun liegt er im Krankenhaus und hat alle Zeit der Welt, sich seinen
Gedanken hinzugeben, die vor allem um rätselhafte Objekte kreisen, die er zu
Hause verwahrt.
Durch "Pong", 1998 mit dem "Ingeborg-Bachmann-Preis" ausgezeichnet, wurde die
literarische Öffentlichkeit auf Sibylle Lewitscharoff aufmerksam. Mit "Pong
redivivus" haben Sibylle Lewitscharoff und Friedrich Meckseper ein sprach- und
bildmächtiges Gesamtkunstwerk der magischen Art erschaffen. (Insel)
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"Blumenberg"
Groß, gelb, gelassen: mit berückender Selbstverständlichkeit liegt eines Nachts
ein Löwe im Arbeitszimmer des angesehenen Philosophen Blumenberg, die Augen
ruhig auf den Hausherrn gerichtet. Der gerät, mit einiger Mühe, nicht aus der
Fassung, auch nicht, als der Löwe am nächsten Tag in seiner Vorlesung den
Mittelgang herabtrottet. Die Bänke sind voll besetzt, aber keiner der Zuhörer
scheint den Löwen zu sehen. Ein raffinierter Studentenulk? Oder nicht doch viel
eher eine Auszeichnung von höchster Stelle - für den letzten Philosophen, der
diesen Löwen zu würdigen versteht?
"Blumenberg" ist nur nebenbei eine Hommage an einen großen Philosophen, vor
allem ist es ein Roman voll mitreißendem Sprachwitz, ein Roman über einen
hochsympathischen Weltbenenner, dem das Unbenennbare in Gestalt eines
umgänglichen Löwen begegnet. (Suhrkamp)
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"Montgomery"
Ein Schwabe in Rom: Der erfolgreiche Produzent Montgomery Cassini-Stahl dreht "Jud
Süß", eine Neuverfilmung des antisemitischen Machwerks. Mitten in den
Dreharbeiten bricht der Titelheld am Morgen nach der Liebesnacht mit einer
jungen Frau vor dem Pantheon tot zusammen. Erzählt wird in Rückblenden - von der
Kindheit des Jungen mit dem exotischen Namen im Stuttgarter Vorort Degerloch,
vom Tod des Bruders, vom Leben in Rom. Schließlich ist aus dem Außenseiter der
große Filmproduzent Cassini-Stahl geworden, der sein bisher größtes Projekt
verwirklicht und dabei selbst in die Rolle des Jud Süß schlüpfen muss.
"Montgomery" ist ein Roman über den Ausbruch aus spießiger Enge, die Suche nach
einer anderen Wahrheit und die Doppelbödigkeit der Dinge. Vor dem glitzernden
Hintergrund der römischen Cinecittà dringt der Filmproduzent Montgomery
Cassini-Stahl in die Tiefen deutscher Vergangenheit ein und wird mit den
Schlüsselerlebnissen des eigenen Lebens konfrontiert. (Suhrkamp)
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"Apostoloff"
Zwei Schwestern, unterwegs im heutigen Bulgarien. Auf der ersten Hälfte ihrer
Reise waren sie Teil eines prächtigen Limousinenkonvois, der die Leichen von 19
Exilbulgaren - in den Vierzigern von Sofia nach Stuttgart ausgewandert - in ihre
alte Heimat überführte. Darunter der frühverstorbene Vater der Schwestern. Jetzt
sind sie Touristinnen, chauffiert vom langmütigen Rumen Apostoloff. Er möchte
den beiden die Schätze seines Landes zeigen, aber für seine Vermittlungsversuche
zwischen Sofia und Stuttgart zeigen die Schwestern wenig Sinn.
Zwei Schwestern, ein Fahrer: Ihre Reise durch Bulgarien wird zur rabenschwarzen,
erzkomischen Abrechnung mit dem Vater und seinem Land. (Suhrkamp)
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"Consummatus"
Stuttgart, Café Rösler, Samstag, den 3. April 2004 (vormittags) - ein Mann
trinkt. Ralph Zimmermann ist allein mit sich und dem Alkohol. Oder auch nicht.
Bei ihm sind Andy Warhol, Edie Sedgwick, Jim Morrison und nicht zuletzt seine
Geliebte Joey. Tot zwar allesamt, aber doch anwesend genug, um einen Stift
zumindest auf glatter Fläche ein paar Millimeter rollen zu lassen. Und
natürlich, um zu kommentieren, was Ralphi-Ralph erzählt: von sich, seinem Leben,
seiner Liebe und seinem eigenen Ausflug ins Totenreich. (Suhrkamp)
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