Toni Morrison: "Heimkehr"
Auch dieses Buch der am 18. Februar 1931 in Lorain, Ohio, geborenen
Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison, ein eher schmaler Roman mit dem Titel
"Heimkehr", beschäftigt sich mit dem Schicksal schwarzer Menschen in einem
bestimmten Abschnitt der us-amerikanischen Geschichte.
Erzählt wird die Geschichte von Frank "Smart" Money, der zusammen mit zwei
Freunden zum Militär geht, im Koreakrieg kämpft, dort Unsägliches erlebt, und
ohne seine beiden Freunde zurückkehrt. Er sah sie sterben, aber er konnte ihnen
nicht helfen. Heute nennt man es wissenschaftlich ein posttraumatisches
Belastungssyndrom. Doch damals in den 1950er-Jahren wurden Soldaten, die nach
ihrer Rückkehr aus dem Krieg ein auffälliges Verhalten zeigten, gleich in die
Psychiatrie gesteckt, besonders dann, wenn sie schwarz waren.
Als Frank in die USA zurückkehrt, wird er nicht nur wegen seines zunächst
haltlosen Vagabundenlebens täglich mit dem ungebrochenen Rassismus des weißen
Amerika konfrontiert. Doch Toni Morrison gelingt es beispielhaft in der
Schilderung seines Lebens, das er wieder in normale Bahnen zu lenken versucht,
auch die Solidarität der Schwarzen untereinander zu beschreiben.
Als Frank Money auf dem besten Wege ist, seine traumatischen Kriegserfahrungen
im Zaum zu halten und zu einem geregelten Leben zurückzukehren, bekommt er eine
Nachricht: Seine jüngere Schwester sei in großer Gefahr und werde sicher
sterben, wenn nicht bald Hilfe komme.
Ohne Geld, mit Bussen und Bahnen und immer wieder mit der Unterstützung
schwarzer Bürgerrechtler, schlägt er sich in seine alte Heimat Lotus durch,
wohin seine Familie vor langer Zeit vor den Angriffen des Ku-Klux-Klan in Texas
geflohen war.
Zu seiner Schwester Cee, vier Jahre jünger als er, hatte er immer ein besonders
gutes Verhältnis, und so ist es keine Frage, dass er alles in Bewegung setzt, um
ihr zu helfen. In Lotus angekommen, entdeckt er, dass seine Schwester das Opfer
eines weißen Arztes geworden ist, der an Cee, die er, ihre Armut ausnutzend,
angestellt hat, medizinische Versuche macht, wie das wohl in weiten Teilen der
USA damals üblich war.
Neben der Schilderung des nach wie vor grassierenden Rassismus und des schwarzen
Widerstands dagegen in den 1950er-Jahren und der psychischen Situation der
Kriegsheimkehrer ist dies das dritte Thema dieses Buches. Die einzelnen
Themenkreise wirken wenig miteinander verbunden, doch am spirituellen Ende des
Buches werden sie auf eine überzeugende Weise wieder zusammengeführt.
Das schmale Buch ist ein bewegendes und mit großer sprachlicher Dichte
geschriebenes Zeugnis des Widerstandes und der Würde des Menschen. Ein
wahrhaftiges Buch, das für die Wahrhaftigkeit kämpft.
(Winfried Stanzick; 03/2014)
Toni Morrison: "Heimkehr"
(Originaltitel "Home")
Aus dem Englischen von Thomas Piltz.
Rowohlt, 2014. 160 Seiten.
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Weitere Bücher der Autorin (Auswahl):
"Gnade"
Milton, Delaware, 1682: Gegen seine Überzeugung nimmt der Pflanzer Vaark aus
Mitleid ein junges Sklavenmädchen in Zahlung. Doch bald stirbt er, und das
Mädchen bleibt mit drei anderen Frauen, die das Schicksal dort zusammengeweht
hat, allein auf seiner Farm zurück. Zusammen kämpfen sie gegen die Wildnis - die
der harschen Natur um sie herum und die in ihnen selbst ...
Eine ergreifende Geschichte über Freiheit, Unabhängigkeit und die
geschichtlichen Ursprünge des Rassismus. (rororo)
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"Menschenkind"
Ein großes Epos über die Sklaverei - der bekannteste Roman der Nobelpreisträgerin
des Jahres 1993.
1885, zwanzig Jahre nach dem us-amerikanischen Bürgerkrieg: Sethe hat den Tod
ihrer kleinen Tochter nie überwunden. Deren Geist treibt nun, achtzehn Jahre
später, in ihrem Haus sein Unwesen. Als Paul D, ein alter Leidensgenosse von der
"Sweet Home"-Plantage, Sethe besucht, ruft er dunkle Erinnerungen wach -
aber er weckt auch Hoffnung auf einen Neuanfang ... (rororo)
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Noch ein Lektüretipp:
Carmen Pinilla, Frank Wegner (Hrsg.): "Verdammter Süden. Das andere Amerika"
Ein Grenzzaun in der nordmexikanischen Wüste, ein hinfälliger Schuppen
in den unwirtlichen Weiten Patagoniens, dazwischen erstreckt sich das
andere Amerika, das schon lange nicht mehr das ist, wofür wir es halten.
Dieses Amerika ist heute widersprüchlicher, rätselhafter, brutaler,
schöner, bizarrer, mit einem Wort: spannender denn je. Und eine ganze
Generation von Autoren ist dabei, diesen Kontinent neu zu entdecken,
kreuz und quer zu vermessen und zu kartografieren - und zwar in Form von
"crónicas", literarischen Reportagen.
"Verdammter Süden" ist eine
kleine Wunderkammer solcher Reportagen, es sind die preisgekrönten
Geschichten namhafter lateinamerikanischer Autoren. Geschichten von
bolivianischen Wrestlerinnen und "Herzblatt" spielenden peruanischen
Gefängnisinsassen, vom Leben und Sterben in Ciudad Juárez, von der
brasilianischen Welthauptstadt der Zwillinge, transzendentaler
Obdachlosigkeit in Patagonien, sechs Monaten mit Mindestlohn in
Medellín, einem argentinischen Dorf, das seine eigene Telenovela
produziert, von Drogenexperimenten im Amazonasdschungel, einem
larmoyanten Beerdigungskomödianten in der Karibik. Seltsame, bewegende,
abgründige und komische Geschichten. Es sind Geschichten, die die Welt
zum Leuchten bringen. (Suhrkamp)
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